Oberstes deutsches Arbeitsgericht klärt

Beleidigungen per WhatsApp - Kündigung erlaubt

24. August 2023, 9:06 Uhr | Nach Unterlagen von Simone Rothe, dpa
© Fabian Sommer/dpa

Wie privat sind Chatgruppen bei WhatsApp? Und welche Folgen hat es, wenn Beleidigungen und Beschimpfungen von Kollegen oder Vorgesetzten aus geschlossenen Gruppen dennoch öffentlich werden? Diese Fragen hat das Bundesarbeitsgericht in Erfurt nun geklärt.

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Hate Speech ist im Internet ein Problem. Auch Führungskräfte und Arbeitnehmer werden hier häufig Opfer übler Beleidigungen. Werden solche Schmähungen von Kollegen öffentlich gemacht, können außerordentliche Kündigungen im Raum stehen. Doch wie öffentlich oder privat sind beleidigende Äußerungen in geschlossenen Chatgruppen wie dem Nachrichtendienst WhatsApp?

Diese Frage beschäftigte bislang die Arbeitsgerichte in einigen Bundesländern. Nun hat sich auch erstmals das höchste deutsche Arbeitsgericht in Erfurt damit befasst.

Ergebnis: Mitglieder geschlossener Chatgruppen im Internet können bei rassistischen Äußerungen oder Beleidigungen von Arbeitskollegen nur im Ausnahmefall auf den Schutz durch Vertraulichkeit setzen. Ihnen kann eine außerordentliche Kündigung drohen, wenn menschenverachtende Pöbeleien öffentlich werden, entschied das Bundesarbeitsgericht am Donnerstag in Erfurt (2 AZR 17/23) im Fall einer WhatsApp-Gruppe bei der Fluggesellschaft TUIfly GmbH in Niedersachsen. Eine Vertraulichkeitserwartung hänge von der Art der Nachrichten und der Größe der Gruppe ab.

Deutschlands höchste Arbeitsrichter beschäftigten sich in dem Verfahren erstmals mit der Frage, ob eine kleine WhatsApp-Gruppe eine Art geschützter, privater Raum ist, in dem Vertraulichkeit gilt und Beschimpfungen oder Beleidigungen ohne arbeitsrechtliche Sanktionen ausgetauscht werden können. Die Rechtsprechung zu ehrverletzenden Äußerungen in geschlossenen Gruppen von Messaging-Diensten war nach Angaben von Fachleuten bisher uneinheitlich in Deutschland.

Der Präzedenzfall, zu dem nun entschieden wurde, stammt aus Niedersachsen

Mitarbeiter einer Fluggesellschaft TUIfly, darunter zwei Brüder, hatten sich jahrelang über ihre privaten Smartphones in einer WhatsApp-Gruppe ausgetauscht. Als ihr Arbeitgeber in Schwierigkeiten geriet und Umstrukturierungen geplant waren, sollten die Gruppenmitglieder 2022 in eine Transfergesellschaft wechseln. Monate zuvor wurde ein Teil ihres Chat-Gesprächs mit unflätigen Beschimpfungen eines Vorgesetzten kopiert und zunächst an den Betriebsrat und dann an den Personalchef weitergeleitet - ein 316 Seiten langes Dokument. Einer der Beteiligten bestätigte schriftlich die Echtheit, wie aus dem Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom Dezember 2022 hervorgeht. Hintergrund war ein Arbeitskonflikt.

Der Personalleiter war bei der Lektüre des Chats schockiert: Die Nachrichten enthielten beleidigende, rassistische, menschenverachtende und sexistische Äußerungen sowie Aufrufe zur Gewalt, darunter "in die Fresse hauen". Der Arbeitgeber sprach daraufhin außerordentliche Kündigungen aus, die vom Betriebsrat unterstützt wurden.

Die Bundesarbeitsrichter standen nun vor der Frage, ob eine WhatsApp-Gruppe unter Kollegen eine Art geschützter Raum ist, in dem private Meinungen und Beleidigungen des Chefs ohne arbeitsrechtliche Konsequenzen ausgetauscht werden können. Und ob kopierte Chatprotokolle in einem Rechtsstreit überhaupt verwertbar sind.

«Bei kleinen, geschlossenen Chatgruppen, wie sie bei WhatsApp häufig sind, ist die bisherige Rechtsprechung der Arbeitsgerichte unterschiedlich», sagte der Bonner Arbeitsrechtler Gregor Thüsing vor dem Erfurter Urteil der Deutschen Presse-Agentur. Fälle seien unter anderem von Gerichten in Berlin-Brandenburg und Nordrhein-Westfalen verhandelt worden.

Die Beleidigungen in dem niedersächsischen Fall bezeichnete Thüsing als krass und menschenverachtend

«Die Frage ist, ob das noch privat und damit geschützt ist.» Die Inhalte der Chats könnten schließlich weitergegeben und gespeichert werden. Beleidigungen mit betrieblichem Bezug seien «ein klassischer Grund für eine außerordentliche Kündigung», so Thüsing.

Grobe Beleidigungen und Ehrverletzungen von Kollegen und Arbeitgebern in sozialen Medien spielen nach Angaben des Arbeitsrechtlers auch zunehmend eine Rolle bei Streitigkeiten vor deutschen Gerichten. Das Spektrum sei breit - von der Weiterleitung intimer Fotos von Kolleginnen bis zur Kündigung per WhatsApp. Die Rechtsprechung sei mittlerweile eindeutig. Wenn »Beleidigungen nicht im Schutze einer kleinen Chatgruppe ausgesprochen werden«, könne dies eine außerordentliche fristlose Kündigung rechtfertigen.
 


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