Den Chip-Herstellern und ihren Zulieferern eine neutrale und sichere Plattform zu geben, über die sie Daten austauschen und analysieren können – mit diesem Ansatz will Athinia den Ramp-up neuer Fabs und neuer Prozesse deutlich beschleunigen.
»Schon beim Übergang zu Prozessknoten unterhalb von 28 nm trat ein damals neues Phänomen auf«, erklärt Laura Matz, CEO von Athinia. »Beim Hochfahren einer neuen Fab zeigte sich, dass die Ausbeute plötzlich nicht mehr nur von den traditionellen Skalierungsfaktoren bestimmt wurde, sondern dass leichte Variationen der Eigenschaften von bestimmten Materialien einen starken Einfluss auf die Entwicklung der Ausbeute nahmen.« Das Schwierige dabei sei gewesen, dass erst nach der statistischen Auswertung von Hunderttausenden von Wafern Aussagen darüber getroffen und Gegenmaßnahmen eingeleitet werden konnten.
Also überlegte Laura Matz – damals noch Mitarbeiterin von Versum –, ob sich nicht Machine-Learning (ML) und KI anwenden ließen, um die Daten, die während des Prozesses anfallen, zu analysieren und mit den Maßnahmen nicht erst warten zu müssen, bis die statistische Auswertung der vielen Wafer abgeschlossen wäre. »Es wurde sehr schnell klar, dass sich die Analyse über die gesamte Wertschöpfungskette erstrecken muss, also nicht nur die Hersteller der Chips, sondern auch ihre Zulieferer wie Equipment- und Materialienhersteller einbezogen werden müssen«, erklärt Laura Matz.
Zur selben Zeit hatte Merck beschlossen, in den vielversprechenden Markt von Materialien für die Halbleiterproduktion einzusteigen Deshalb kaufte Merck 2019 die amerikanische Versum für 5,8 Mrd. Euro. Auf diese Weise stieß Laura Matz zu Merck, wo sie heute nebven ihrer Tätigkeit als CEO von Athinia die Position des Chief Science & Technology Officer innehat. »Ende 2018 hatten EMD Digital, eine Tochtergesellschaft von Merck, und Palantir das Joint Venture Syntropy gegründet, das mithilfe von ML und KI die kollaborative Nutzung biomedizinischer Daten zur Beschleunigung der wissenschaftlichen Forschung ermöglichen sollte«, erinnert sich Matz. »Dieses Modell wollten wir auf den Halbleitersektor übertragen. 2021 wurde Athinia als Joint Venture von EMD Digital (Merck) und Palantir gegründet – mit ausschließlichem Fokus auf die Halbleiterfertigung«, so Matz. Sie war sich sicher, dass Athinia auf diese Weise eine Plattform zur Analyse der Daten aufbauen könnte, die den Beteiligten so tiefe Einsichten in die Auswirkungen der Materialvariationen auf die Fertigungsprozesse liefern, wie es in der Vergangenheit nicht möglich war – um beispielsweise beim Hochfahren neuer Fabs und Prozesse die erforderlichen Ausbeuten deutlich früher als bisher zu erreichen.
Wie bereits angedeutet, hängt der Erfolg aber davon ab, dass die Beteiligten – Hersteller von den Materialien über das Equipment bis zu den ICs – ihre Daten teilen. Das wäre zum damaligen Zeitpunkt kaum denkbar gewesen, denn das hätte ja bedeutet, dass die Unternehmen ihre jeweiligen IPs, also ihre wichtigsten Differenzierungsfaktoren, offenlegen müssten. Das würde selbstverständlich niemand tun.
»Hier kommt die Rolle von Palantir im Joint Venture ins Spiel. Das Unternehmen sorgt mit seinem Know-how im Rahmen von Palantir Foundry dafür, dass jeder Beteiligte alleiniger Herr über seine Daten bleibt, sie gehören den jeweiligen Unternehmen wie zuvor. Weder Athinia noch Palantir besitzen die Daten. Kein anderer kann Einblick in sie nehmen, sofern dies nicht vom Dateninhaber zugelassen wird«, erklärt Laura Matz.
Doch lassen sich die Unternehmen so ohne weiteres davon überzeugen, dass ihre Daten tatsächlich vor dem unbefugten Zugriff Dritter geschützt sind? »Wir gehen mit den interessierten Unternehmen sämtliche Sicherheitsaspekte sehr detailliert durch. Bisher konnten wir alle überzeugen; die Unternehmen zeigen sich mit der Sicherheit, die Palantir bietet, zufrieden.« Derzeit darf Athinia offiziell zwei Unternehmen nennen, die sich an der Plattform beteiligen: Speicher-IC-Hersteller Micron stieß Ende 2022 dazu, Equipment-Lieferant Tokio Electron (TEL) Ende vergangenen Jahres.
Dass das Interesse an Athinia groß ist, ist im Grunde nicht überraschend. Denn erstens spielen Materialien in der Halbleiterfertigung eine immer größere Rolle, schon weil die Zahl der verwendeten Materialien stark steigt. Waren es vor 30 Jahren nur wenige der Elemente des Periodensystems, die benötigt wurden, so sind es heute bereits die Hälfte, mit steigender Tendenz. Und mit weiter schrumpfenden Strukturgrößen wird der Einfluss der Materialien auf die Ausbeute noch deutlich wachsen.
Dazu kommt, dass in vielen Regionen der Welt die Produktionskapazitäten der Halbleiterindustrie kräftig ausgebaut werden. »Entsprechend den Ausbauplänen werden zwischen 2025 und 2030 sehr viele neue Fabs ihre Produktion aufnehmen. Darauf muss sich die Industrie jetzt vorbereiten«, sagt Matz.
Denn all die neuen Fabs müssen so schnell wie möglich mit den jeweils neusten Prozessknoten hochgefahren werden, um wirtschaftlich produzieren zu können, es muss so schnell wie möglich eine sinnvolle Ausbeute erreicht werden. Mit der Plattform von Athinia könnten die Hersteller dies erreichen, ist sich Matz sicher. Es wäre an der Zeit, dass die Hersteller auf dieser vorwettbewerblichen Ebene vertrauensvoll zusammenarbeiteten. Sie ist sich bewusst, dass dies einen Mentalitätswechsel voraussetzt und seine Zeit dauern werde, aber ohne den sei die große Aufgabe kaum zu bewältigen.
Welche Prozessschritte sind nun die wichtigsten für das Zusammenspiel von Materialien und Ausbeute? Da fallen Matz gleich mehrere ein. Selbstverständlich spielt die Lithografie eine wichtige Rolle, genauso aber auch die verschiedenen Ätz- und Abscheideprozesse, CMP, Ion-Implant und nicht zu vergessen die Reinigungsprozesse. Gerade die letztgenannten sind oft entscheidend, und sie stellen eine große Herausforderung dar. Denn es ist nicht so einfach, die Unterschiede vor und nach der Reinigung genau zu messen und zu bewerten. Der erste Prozessschritt, auf den Athinia ihre Plattform angewendet hat, war übrigens ein CMP-Prozess.
Neu hinzu kommen jetzt auch die Advanced-Packaging-Prozesse, allen voran die Chiplets. »Hier sehe ich für die Zukunft noch sehr viel Potenzial«, freut sich Matz.
Das große Ziel für das kommende Jahr sieht Matz also darin, das Hochfahren der vielen neuen Fabs ab 2025 vorzubereiten: »Wir können helfen, den Ramp-up der Fabs deutlich zu beschleunigen; was früher zwei Jahre gedauert hat, können wir potenziell auf sechs Monate reduzieren.«
Der Ausgangspunkt für die Plattform von Athinia sei dabei sehr gut: »Wir sind die einzige neutrale Plattform, die es derzeit gibt, die sich ausschließlich auf die Halbleiter-Wertschöpfungskette fokussiert und einen durchgängigen IP-Schutz bietet.« Zwar gebe es in der Industrie Ansätze, spezielle dedizierte Plattformen aufzubauen, »aber sind sie nicht neutral, dann können die Zulieferer einfach nicht das tiefe Wissen bekommen, das sie eigentlich benötigen.« Auf diese Weise können die Materialhersteller analysieren, wie sie die Leistungsfähigkeit ihrer Produkte verbessern müssen, die Equipment-Hersteller können ihre Maschinen und die darauf ablaufenden Prozesse optimieren und den Chipherstellern stehen alle relevanten Daten zur Verfügung, um ihre Ausbeuten und die Effizienz ihrer Produktionen zu verbessern. »Weil jetzt alle an der Wertschöpfungskette Beteiligten auf Basis unserer neutralen Plattform die Daten austauschen können, werden plötzlich Zusammenhänge offenbar, die bisher versteckt bleiben mussten«, erklärt Matz. »Das führt dazu, die Effizienz der Produktion deutlich steigern und die Kosten senken zu können.«