Wie alle Embedded-Unternehmen steht auch Advantech vor großen Herausforderungen. Corona-Pandemie, Ukraine-Krise, Lieferschwierigkeiten, um nur einige zu nennen. Dennoch zaubert das Unternehmen aus Taiwan neue Produkte aus dem Hut – und formuliert ehrgeizige Klimaschutzziele, berichtet Dirk Finstel.
Markt & Technik: Herr Finstel, die Lieferengpässe bestimmen auch in diesem Jahr die Strategie vieler Unternehmen. Wie gehen Sie damit um und welche Strategie haben Sie sich zurechtgelegt?
Dirk Finstel: Auch Advantech als Hersteller und Lieferant von elektronischen Baugruppen ist von der leider bereits sehr lange anhaltenden Bauteileknappheit betroffen. Um die negativen Effekte für unsere Kunden so gering wie möglich zu halten, haben wir verschiedene Maßnahmen ergriffen: Wir haben alle Aufträge unserer Kunden für die Jahre 2022 und 2023 bei unseren Lieferanten platziert, um die Allokation bei unseren Lieferanten vorsorglich bekannt zu geben. Zudem haben wir weltweit Lagerbestände im Wert von etwa 500 Mio. US-Dollar aufgebaut. So möchten wir bei Standard- und stark nachgefragten Produkten lieferfähig bleiben.
Besonders wichtig ist außerdem ein regelmäßiger Informationsaustausch mit Lieferanten. Im Moment gibt kein Unternehmen eine Liefergarantie. Aus dem Grund beobachten und analysieren wir die Lieferketten sehr genau, um Engpässe rechtzeitig zu erkennen. Darüber hinaus haben wir für alle kritischen Bauteile Second Sources qualifiziert, um auf Ausweichmöglichkeiten zurückgreifen zu können.
Wie haben sich im Zuge der Engpässe die Beziehungen zu Lieferanten verändert?
Als Unternehmen mit mehr als 2 Mrd. US-Dollar Umsatz pro Jahr weltweit haben wir ein entsprechendes Gewicht und eine hohe Priorität bei unseren Vorlieferanten – das ergibt im Endeffekt höhere Allokationsraten. Es hilft uns, die Lieferketten aufrechtzuerhalten, selbst wenn wir einmal nicht 100 Prozent unseres ursprünglich georderten Bedarfes erhalten.
Weiterhin führen wir wöchentliche Meetings mit allen wesentlichen und kritischen Lieferanten durch, um den aktuellen Lieferstatus zu überprüfen und eine Disruption bei unseren Kunden zu verhindern. Außerdem fertigen wir alle unsere Produkte inhouse und sind somit wesentlich flexibler hinsichtlich Beschaffung und Fertigungsplanung als Wettbewerber, die auf externe Fertiger angewiesen sind. Wir können kurzfristig auf veränderte Liefermengen in der Produktion reagieren und unsere Prioritäten entsprechend anpassen.
Als Unternehmen mit Hauptsitz in Taiwan fertigen Sie zu hundert Prozent in Asien. Inwieweit hilft Ihnen das, lieferfähig zu bleiben und neue Kunden zu gewinnen?
Unsere Fertigungsstandorte in Taiwan, China und Japan bieten uns neben den bereits genannten Vorteilen und einer optimalen Qualitätskontrolle zudem die Garantie für ein sehr gutes Preis-Leistungs-Verhältnis unserer Produkte – selbst in herausfordernden Zeiten wie diesen. Weiterhin ist der Marktzugang in Asien ein nicht zu vernachlässigender Vorteil, da im weltweit größten Markt immer Überkapazitäten an Bauteilen vorhanden sind, auf die wir Zugriff haben. Darüber hinaus verschaffen sie uns eine hohe Flexibilität und Sicherheit. Außerdem ist es immer von Vorteil, wenn Fertigung und Entwicklung eng verzahnt arbeiten, gerade bei neuen Produkten. Last but not least können wir so Forderungen einzelner Länder zum Produktursprung einfach erfüllen.
Welche Strategie verfolgen Sie für Europa im Jahr 2022?
In diesem Jahr verfolgen wir den kontinuierlichen Ausbau unseres Produktportfolios auf Basis neuer CPU-Generationen und Technologien. Wir arbeiten zudem mit neuen Anbietern in unserem Arm-Portfolio wie Nvidia, MediaTek und Rockchip zusammen. Sie eröffnen neue Märkte und Untersegmente und stellen Alternativen zu unseren aktuellen Lieferanten wie TI und NXP dar.
Außerdem wollen wir uns im Bereich Cloud Business kontinuierlich weiterentwickeln: zusammen mit unserem Partner Microsoft und deren Azure-Plattform sowie bei den von uns angebotenen Software Services. Hierzu setzen wir auf ein neues Software-Team, welches sich dem Support der Azure Cloud und KI-Modellen widmet. Außerdem managt es die Anpassung der BSPs lokal. Hiermit reduzieren wir die Komplexität und erreichen eine kürzere Time to Market im Software-Bereich.
Ein weiterer Baustein ist der Ausbau unserer Design and Manufacturing (DMS) und Design-in Services. Das heißt, neben der Unterstützung unserer Kunden beim Design-in der Produkte entwickeln und fertigen wir europaweit mit lokalen Teams kundenspezifische Applikationen. Hierbei variiert die Bandbreite vom Anpassen bereits existierender Standardprodukte aus unserem Portfolio bis hin zum Entwickeln komplett neuer kundenspezifischer Systeme. Zudem investieren wir weiter in unsere europäische Organisation und richten uns lokaler aus.
Eine umfassende KI-Strategie ist hierfür unerlässlich. Wie sieht der KI-Fahrplan für 2022 aus?
Basis hierfür sind neue CPU-Generationen mit integrierter KI-Engine. Als Beispiel kann man die neuen Intel-CPUs der 11. und 12. Generation nennen oder die neue Nvidia-Produktpalette. Sie besitzen eine oder sogar mehrere solcher integrierter Engines. Zusammen mit den von uns angebotenen Software Services helfen wir unseren Kunden, auf Basis von vortrainierten Modellen Applikationen umzusetzen und mit unserer Cloud-Plattform zu kombinieren.
Weiterhin arbeitet Advantech sehr eng mit der Fima Edge Impulse zusammen, an welcher wir uns beteiligt haben. Unsere Experten können ihr KI-Know-how einsetzen, um schnell fertige Applikationen umzusetzen. Zudem launchen wir mit dem »EPC-R7200« und dem »AIR-020« demnächst zwei auf Nvidias Jetson-Familie basierende industrielle Box-PCs.
Immer mehr Workloads werden am Edge verarbeitet. Hierfür bietet Advantech ein umfassendes Produktportfolio. Welche Neuigkeiten gibt es hier – auch in Bezug auf COM-HPC?
Der neue Standard COM-HPC wird seine Berechtigung in neuen Märkten und Applikationen finden. Wir sehen nicht, dass Kunden bestehende Applikationen mit aktuell eingesetzten Standards auf den neuen Standard ändern, sofern es aus technischer Sicht nicht nötig ist. Jedoch kann man einen langsam entstehenden und wachsenden Markt für spezielle Daten- und leistungshungrige Applikationen entdecken. Wir bieten sowohl Server- als auch Client-COM-HPC-Module auf Basis der aktuellen Intel-CPU-Generation an.
Gerade im Software-Bereich zeigt sich der Ingenieurmangel deutlich. Wie gehen Sie hiermit um – können Sie noch genug Entwickler akquirieren?
Generell ist die Fachkräfte-Armut in Europa seit mehreren Jahren ein sehr großes Thema, welches viele Branchen und Firmen regelmäßig ansprechen. Auch Advantech leidet darunter – die durchschnittliche Besetzungszeit einer solchen Stelle beträgt derzeit mehr als neun Monate. Wir haben die Vergütungspakete signifikant erhöht, erlauben Homeoffice und gehen über die deutschen Grenzen hinweg, um attraktiver zu sein. Zum Glück können wir auf einen globalen Pool von Entwicklern für Projekte zugreifen, um diese zeitgerecht und qualitativ hochwertig durchführen zu können. Es hemmt jedoch unser Wachstum, wenn wir die Fachkräfte nicht ausreichend bekommen.
Nachhaltigkeit tritt zunehmend in den Fokus der Aufmerksamkeit. Inwieweit gehen Sie dem Trend nach – sei es bei der Entwicklung, der Energieversorgung oder der Logistik?
Es steht außer Frage, dass jeder Einzelne und jedes Unternehmen auf diesem Planeten eine Verantwortung tragen, nachhaltig zu wirtschaften und zu agieren. Wir haben 2019 einen Zehnjahresplan aufgesetzt, den wir dieses Jahr bis 2032 erweitert haben; darunter fallen folgende Maßnahmen:
Advantech ist erst das dritte High-Tech-Unternehmen aus Taiwan, welches sich diese Ziele gesetzt hat. Die Maßnahmen reichen von der eigentlichen Reduktion aller Materialien und der aufzuwendenden Energie bei der Herstellung in unseren Werken und unserer Vorlieferanten bis hin zum Einsatz erneuerbarer Energien und Prüfen der Logistikkette auf nachhaltige Strukturen.
Beim Entwickeln unserer Produkte steht das Reduzieren des Energiebedarfs schon seit Jahren im Lastenheft. Hier sind wir gerade dabei, langfristige Ziele mit unseren Halbleiterlieferanten zu definieren. Als Beispiel haben wir gerade die gesamte Außenbeleuchtung unseres Gebäudes in Eindhoven auf eine Versorgung mit Strom aus Photovoltaikanlagen umgestellt.
Herzlichen Dank für das Gespräch Herr Finstel.