Bedienschnittstellen

Vorbild für das Auto von morgen

2. November 2016, 15:22 Uhr | Von Huibert Verhoeven
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Fortsetzung des Artikels von Teil 1

Kapazitive Berührungserkennung in Smartphones

Die Erfahrungen, welche die Firma Synaptics vor einigen Jahren mit der Umstellung von resistiven Touchscreens auf die kapazitive Erkennung bei Smartphones gemacht hat, liefern bei der konkreten Umsetzung dieser Zielvorgaben einige Anhaltspunkte. Es war klar, dass die kapazitive Berührungserkennung funktionelle Vorteile haben würde: Ihre höhere Empfindlichkeit erkennt auch einen weniger stark ausgeführten Druck des Fingers und sie erkennt Eingaben mit mehreren Fingern. Doch zuerst bestand der Ansatz der Smartphone-Hersteller einfach darin, das grobe Gittermuster der Schnittstelle ihres bisherigen resistiven Sensors mit einem neuen, kapazitiven Sensor nachzubilden. In mancher Hinsicht funktionierte das noch schlechter als mit den alten, resistiven Sensoren.

Erst als die Smartphone-Hersteller die alten Designregeln über Bord warfen und die Bedienschnittstelle sozusagen neu erfanden, erkannte die Welt, wie viel besser die kapazitive Erkennung im Vergleich zur resistiven Variante ist. Bevor die heute als selbstverständlich betrachtete Bedienung per Touchscreen – wischen, drücken und halten, Drag&Drop, vergrößern/verkleinern mit zwei Fingern usw. – erfunden waren, wussten die Anwender noch gar nicht, dass sie diese überhaupt brauchen.

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Beispiel für einen kapazitiven Bildschirm in einem Fahrzeug in Gestalt eines BMW-iDrive-Display
Bild 2. Beispiel für einen kapazitiven Bildschirm in einem Fahrzeug in Gestalt eines BMW-iDrive-Display.
© Synaptics

Auch im Auto ist die kapazitive Berührungserkennung eine MMI-Technologie, die das Potenzial hat, Automotive-Bedienschnittstellen zu revolutionieren. Kapazitive Touchscreens sind bei Neuentwicklungen von Fahrzeugen mittlerweile Standard und ersetzen endlich die resistive Erkennung (Bild 2). Das grafische Design muss allerdings automobilspezifisch – z.B. sehr viel größere Icons als bei einem Smartphone und einfache Hintergründe zur leichteren Erkennbarkeit – ausgelegt sein. Zugleich können die neuen kapazitiven Bildschirme vom Einsatz intuitiver Bedienkonzepte mit einem und mehreren Fingern sowie Gesten profitieren. Das sind lauter Eigenschaften, die die resistive Technik nicht unterstützt.

Tatsächlich wecken die von Synaptics eingeführten Innovationen bei der Berührungserkennung – zum Beispiel die Druckauswertung und die Haptik – Hoffnungen dahingehend, dass die Bedienung über einen Touchscreen noch einfacher und angenehmer als bisher abläuft. Ein von MMI-Spezialisten erstelltes Produktkonzept zeigt, wie das Display in der Mittelkonsole mit Druckauswertung und Haptik so gestaltet werden kann, dass Icons oder virtuelle Tasten beim Berühren aufleuchten und erst dann aktiviert werden, wenn sie gezielt gedrückt werden. Die Druckauswertung erlaubt außerdem intuitive graduelle Steuerungen, wobei zum Beispiel die Lautstärke der Medienwiedergabe schneller erhöht wird, wenn die Taste „Lauter“ kräftig, und weniger schnell, wenn sie leichter gedrückt wird. Die haptische Rückmeldung signalisiert dem Fahrer ferner, dass eine Taste auf den Druck angesprochen hat, ohne dass er auf den Bildschirm blicken muss.

Touchscreen – eine Option unter mehreren

Ein Touchscreen ist aber nicht immer das am besten geeignete Mittel, um die Funktionen des Fahrzeugs zu steuern. Tatsächlich erfolgt die Entwicklung neuer automobilspezifischer Bedienschnittstellen unter der Grundvoraussetzung, dass sie jederzeit intuitiv zu erlernende Möglichkeiten zum Ansteuern, Auswählen und Aktivieren einer einzelnen – aus Hunderten möglicher – Steuerfunktionen bieten. Gleichzeitig dürfen diese Eingaben nur so wenig wie möglich vom eigentlichen Fahren ablenken.

Dabei ist „jederzeit“ der entscheidende Punkt: Verschiedene Fahrsituationen erfordern ein unterschiedliches Maß an Aufmerksamkeit für die Straße. Wenn der Fahrer in einer Schlange vor einer roten Ampel steht, kann er Bedienelemente des Touchscreen gefahrlos mehrere Sekunden lang nutzen. Bei schneller Fahrt auf einer verkehrsreichen Autobahn ist eine sichere Bedienung des Touchscreen unter Umständen völlig unmöglich.

Die Antwort darauf ist eine Schnittstelle mit mehreren Modi – also mit verschiedenen Eingabemethoden, um dasselbe Ergebnis zu erreichen. Genau hier kann die neue Technologie den OEM-Entwicklern Optionen zur Verfügung stellen, mit denen sie die Bedienerfahrung völlig neu gestalten.

Die Schnittstellenmodi, die in der neuen Bedienschnittstelle kombiniert werden können, sind Berührung, Sprache und Schalter mit haptischer Rückmeldung – also Schalter, Tasten oder Knöpfe, die eine fühlbare Rückmeldung liefern. Der kapazitive Touchscreen behält dabei seine wichtige Rolle in der Bedienschnittstelle. Neue Produkte und Konzepte, die sich bereits in der Entwicklung befinden, zeigen zudem, wie die übrigen Modi so angepasst werden können, dass sie eine sichere Bedienung ständig eingeschalteter Infotainment-Systeme sicherstellen.

orführmodell für das Konzept kapazitiver Touchpads mit Cursor-Steuerfunktion am Lenkrad
Bild 3. Vorführmodell für das Konzept kapazitiver Touchpads mit Cursor-Steuerfunktion am Lenkrad, erstellt von Synaptics.
© Synaptics

Touchpad plus Head-up Display

Synaptics hat zum Beispiel zwei kapazitive Touchpads in den Speichen des Lenkrads vorgeführt, die mit den Daumen des Fahrers bedient werden (Bild 3). Diese Touchpads mit Druckerkennung unterstützen verschiedene Funktionen und Gesten – einschließlich Drücken von Tasten, Scrollen, Pan und Zoom. Die Druckerkennung sorgt zudem dafür, dass die Taste nicht versehentlich bedient werden kann.
In Kombination mit einem Head-up Display ermöglicht es diese Technologie dem Fahrer, dass er durch Menüs navigiert und Optionen wählt, ohne jemals seine Augen von der Straße und die Hände vom Lenkrad nehmen zu müssen. Beim Einsatz in Verbindung mit dem Display in der Mittelkonsole ist so eine Steuerung aller vom Display unterstützten Funktionen möglich – auch hier, ohne die Hände vom Lenkrad zu nehmen. Wie bei der Bedienschnittstelle eines Smartphone wird diese Art der Interaktion als intuitiv, schnell und natürlich empfunden.

Diese per Berührung gesteuerten Funktionen der Fahrzeug-Bedienschnittstelle können durch biometrische Fähigkeiten ergänzt werden. Auch hierfür hat der MMI-Spezialist ein Vorführmodell entwickelt, bei dem ein Fingerabdrucksensor mit einem Touchpad zur Cursor-Steuerung am Lenkrad kombiniert worden ist und eine Personalisierung der Fahrzeugfunktionen unterstützt. Denkbar sind zum Beispiel Vorzugseinstellungen zur Klimasteuerung sowie für Medien und Sitzposition: Diese lassen sich mit der Möglichkeit kombinieren, gesicherte Bezahlvorgänge (z.B. für Brückenmaut oder Parkgebühren) auszuführen, ohne die Hände vom Lenkrad zu nehmen. Die Funktionen zur Cursor-Steuerung des Pad unterstützen darüber hinaus Gesten-Eingaben wie „aufwärts“, „abwärts“, „links“ und „rechts“ sowie „einzelne Taste“.

Die Herausforderung – Integration mehrerer Bedienmodi

Es besteht heute schon die Möglichkeit, eine Auswahl von Schnittstellenmodi – Touchscreen, berührungsempfindliche Bedienelemente am Lenkrad, Sprache sowie eventuell zusammen mit konventionellen Schaltern – anzubieten. Dabei kann der Fahrer den Modus, der am besten zur jeweiligen Fahrsituation passt, auswählen; oder er bekommt ausschließlich die am besten geeignete Option angeboten. Um diese Auswahl effektiv zu implementieren, müssen die Fahrzeughersteller das Wechselspiel der verschiedenen Modi sorgfältig planen.

Eine kritische Komponente des gesamten Systems ist nämlich die Software. Diese erst ermöglicht eine ganzheitliche, von oben nach unten strukturierte Vision hinsichtlich der Art und Weise, wie die Bedienerfahrung überarbeitet werden muss, damit sie mehr Spaß macht, die Bedienung erleichtert und den gewünschten Funktionsumfang sicherstellt.

Neue Ansätze bei der Entwicklung von Bedienschnittstellen werden sich folgerichtig nicht daran orientieren, vorhandene Systeme um neue Optionen zur Berührungs- und Sprachsteuerung zu ergänzen. Dieser Ansatz würde eine Bedienschnittstelle, die von Verbrauchern im Vergleich zu ihrem Smartphone jetzt schon als schwierig und umständlich empfunden wird, noch komplizierter machen. Vielmehr muss ein neuer Ansatz bei der Entwicklung von Bedienschnittstellen Hand in Hand mit der neuen Technologie gehen. Wie der Übergang von resistiven Telefon-Displays zur kapazitiven Erkennung gezeigt hat, lässt sich nur so eine Bedienerfahrung erreichen, die Fahrer genauso wie bei ihrem Smartphone wertschätzen.

 

Der Autor

Huibert Verhoeven
ist als Senior Vice President und General Manager für den Bereich Benutzerschnittstellen bei der Firma Synaptics tätig. Bevor er zu Synaptics wechselte, war er als Vice President and General Manager für die Flash Components Division bei LSI Corp. verantwortlich.

 

huibert.verhoeven@synaptics.com



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