Verständlich … Aber wie kommen beide Seiten, also Distribution und Elektronikfertiger, langfristig zu einer verträglichen Lösung?
Reinecke: In erster Linie sollte mehr kommuniziert werden. Solche Extremsituationen in einem Marktgefüge sind nicht an einem Schuldigen festzumachen, und vor allem sollte man vorsichtig sein, etwas zu pauschalisieren. Ich glaube, dass zu viel Augenmerk beim EMS immer noch auf dem Stückpreis liegt. Wenn die Einkäufer-KPIs nur am Stückpreis festgemacht werden, dann kommt so eine Situation wie gerade beschrieben zustande. Der Materialeinsatz eines EMS ist extrem hoch, und selbstverständlich muss der Materialeinsatz kontrolliert werden, um die Kosten im Griff zu haben, aber der Blick rein auf Teilenummern verfälscht das Bild. Und wir haben erfolgreiche Beispiele und Modelle, mit denen wir aufzeigen können, dass Kommunikation und eine enge Zusammenarbeit zu guten Ergebnissen führt.
Reiterer: Der Einkäufer schaut auf sein Bauteil und seinen Preis. Er eskaliert seine Bauteile, die überfällig sind, aber nicht auf Produktionsebene – oder BOM-Ebene. Viele Kunden eskalieren auf Bauteileebene und dann ist das Lager voll. Es gilt zu verstehen, dass diese Eskalationsstrategie zu dem Problem führen, das sie jetzt haben: volle Läger mit 99 Prozent der Bauteile, aber ein Prozent fehlt, anstatt spezifisch auf Produktionsebene zu gehen. Aber oft gibt es das System des Kunden gar nicht anders her.
Reinecke: Wir monitoren regelmäßig die Push-out-Rate und haben damit gerechnet, dass in Q4 diese Rate nach oben geht. Aber diese ist in Q4 nicht aus dem Korridor gelaufen. Daher gibt es viele Aussagen im Markt, die nicht zueinander passen, eben weil nicht produktspezifisch differenziert wird. Es ist schade, dass wir als Distribution uns immer rechtfertigen müssen. Unsere Intention ist, 90 Prozent der ABC-Mover jederzeit im Lager frei verfügbar zu haben. Momentan schaffen auch wir das nicht, weil wir zum einen nicht genügend Ware bekommen und andererseits mit der verfügbaren Ware die Absicherung unserer Programmkunden trotz langer Wiederbeschaffungszeiten realisieren müssen. Für uns ist ein Lager ein Werkzeug für unser Geschäftsmodell, denn unsere Maxime lautet: »Wir investieren in People and Parts.«
Welche Faktoren haben im Allgemeinen Einfluss auf die Preisgestaltung eines Distributors?
Reinecke: Der Preis wird individuell festgelegt und ist jedem Distributor selbst überlassen. Natürlich werden wir auch bei unseren Produkten häufig mit der Forderung von Preisreduktionen konfrontiert, die es in der Halbleiterwelt aufgrund kürzerer Lebenszyklen der einzelnen Key-Komponenten wie Mikrocontroller durchaus gibt. Wenn man über Halbleiter spricht und vielleicht auch Preisreduktionen, dann hat die Halbleiter-Branche mehr Möglichkeiten, weil der Lebenszyklus eines Controllers wesentlich kürzer ist als der eines Widerstands, Kondensators oder einer Spule. Wir sprechen über viele Produkte, die schon zehn Jahre oder mehr auf dem Markt sind und nur bedingt die Möglichkeiten haben, die Skaleneffekte noch in einem hohen prozentualen Bereich auszuleben – und dieses Verständnis muss einfach generiert werden. Und jeder sollte sich überlegen, was er aus der Pandemie lernen kann. Es werden einerseits enorme Preise an Broker in Vorkasse bezahlt und andererseits wird sich über eine Preiserhöhung von beispielsweise 7 Prozent beschwert, die aufgrund von Rohstoffen, Energie und Logistikkosten bei einem passiven Bauteil oder Stecker zustande kommt.
Reiterer: Der Verkaufspreis steht und fällt mit den Einkaufspreisen. Hersteller honorieren die technische Arbeit, die ein Distributor leistet. Und was man nicht vergessen darf: Natürlich bekommt man auch als Distributor volumenabhängige Einkaufspreise.
Sie haben vorhin davon gesprochen, dass es durchaus Kunden gibt, denen Supply-Chain-Sicherheit wichtiger ist, als immer den günstigsten Stückpreis zu bekommen. Diese Lernkurve wurde also doch gemacht?
Reiterer: Es gibt solche und solche Kunden. Was wir schon sehen, ist, dass die KMUs eher mit dem spitzen Stift unterwegs sind als die Großen. Wir als Distributor müssen erkennen, was der Kunde braucht, um die TCOs nach unten zu bekommen: nämlich Versorgungssicherheit und Automatisierung.
Mit Automatisierung meinen Sie die direkte Systemanbindung zum Kunden bzw. Distributor?
Reiterer: Ja, das ist ein großes Thema bei unseren Kunden, egal ob EMS oder Industriekunden. Das Spektrum erstreckt sich von der API bis hin zum möglichst automatisierten Datenaustausch über EDI oder anderen, teils kundenspezifischen Systemanbindungen. Außerdem ist das Thema wichtig, weil sich Firmen immer schwerer tun, Personal zu finden.
Wie viel Prozent der Kunden sind auf diese Weise in etwa direkt mit TTI verbunden?
Reiterer: Etwa 70 Prozent EMS, etwas weniger sind es bei den Industriekunden.
Gibt es das klassische Fax eigentlich noch? Noch bis vor der Pandemie haben mir Distributoren immer wieder davon berichtet, dass sie noch Bestelleingänge per Fax erhalten.
Reinecke: Der Anteil ist inzwischen verschwindend gering.
Wie hoch ist der Anteil der Kunden, mit denen TTI seine Logistikprogramme umsetzt?
Reinecke: Wir haben circa 35 Prozent Programmkunden. Da zählt die normale EDI-Anbindung aber gar nicht dazu.
Reiterer: Und das Volumen, das wir dabei abbildenm ist wesentlich höher als 35 Prozent.