A propos Energie. Wie stark wirken sich die höheren Energiepreise bereits aus?
Reiterer: Betroffen sind vor allem die produzierenden Firmen. Auch wir als Distributor haben Stromkosten, aber wir generieren einen Anteil an Strom selbst durch PV-Anlagen auf dem Dach unseres Zentrallagers.
Wollen bzw. können Sie den wirtschaftlichen Erfolg von TTI in konkreten Zahlen beziffern?
Reinecke: Wir bitten um Ihr Verständnis, dass wir dies nicht in Zahlen publizieren, aber lassen Sie es mich so ausdrücken: Wir sind alles andere als unzufrieden über die Gesamtentwicklung der vergangenen Jahre. Wir sind überzeugt, dass vieles von dem, was wir machen, nicht allzu verkehrt sein kann und unsere Kunden auch und gerade in schwierigen Zeiten sich auf TTI verlassen können. Dadurch haben wir die Position als europaweite Nummer 1 im IP&E-Segment erreicht und bauen diese Position auch kontinuierlich aus.
Reiterer: Hinzu kommt auch, dass die Anzahl der kaufenden Kunden weiter zunimmt und das Geschäft mit Kunden, die früher in der Geschäftsbeziehung mit uns eher unstet waren, sich verfestigt. Die Rückverlagerung aus China in andere Regionen nimmt zu. Das stärkt einerseits auch die produzierenden Firmen in Europa und anderen Regionen, andererseits birgt es auch wieder neues Potenzial für die Distribution.
Reinecke: Viele Elektronikfertiger planen wieder lokale Investitionen, weil Projekte zurückgeholt werden, v. a. aus China. Nicht nur nach Europa, sondern auch nach Mexiko/NAFTA. Wir gehen davon aus, dass die EMS-Welt in Europa künftig wieder stärker wird.
Wie ist es um die Zukunft der Distribution bestellt? Es gibt insbesondere aus der EMS-Industrie immer wieder Unmutsäußerungen über die Distribution im Allgemeinen.
Reinecke: Wir als TTI lösen sehr viele Probleme von produzierenden Firmen. Ein Beispiel: Wir fahren mit einigen größeren EMS in Deutschland seit einigen Jahren konsolidierte Logistikprogramme für mehrere Hersteller. Diese EMS-Partner hatten über die gesamte Pandemiezeit keine signifikanten Probleme mit der Belieferung, obwohl viele Lieferanten an mehreren Stellen Probleme bereitet haben. Insofern stellt sich schon die Frage, ob solche Kritik fundiert ist oder einfach Stimmungsmache, wenn sich ein EMS beispielsweise über einen Preis ärgert. Aber – was hilft mir der vermeintlich bessere Preis, wenn die Ware nicht da ist?
Reiterer: Wir verzeichnen seit einiger Zeit beständig Anfragen von Unternehmen, dass sie Direktgeschäft zu uns transferieren wollen. Und das aus gutem Grund. Seit 50 Jahren lautet unsere Philosophie: Wir sind ein Stocking-Distributor und sehen Ware als Investment in unsere Kundenbeziehung und Customer-Service. Bei uns geht es um Versorgungssicherheit und nicht um den schnellen Euro. Viele andere sehen Ware als notwendiges Übel, um zu Umsatz zu kommen; das ist eine ganz andere Denke. Wie Uwe schon sagte, bei den Kunden, mit denen wir Logistiksysteme aufgesetzt haben, hatten wir in den letzten beiden Jahren keinen signifikanten Line-Down. Es knirscht immer mal, aber es gibt auch immer eine Lösung. Wir haben sogar vermehrt Geschäft von EMS-Firmen bekommen, das früher direkt gelaufen ist. Service kostet Geld, aber dafür bekommt der Kunde eine verlässliche Supply-Chain. Was wir aber auch sehen, ist, dass viel Geschäft vom Markt zusammengesammelt wird und zu uns verlagert wird, weil die Kunden unsere Logistik schätzen.
Momentan klagen viele Elektronikfertiger über zu volle Lager einerseits und fehlende Teile andererseits.
Reiterer: Das Hauptproblem des EMS ist, dass der Cash-Flow nach unten geht, weil die Läger voll sind, aber eben genau die eine sprichwörtliche goldene Schraube fehlt, um ein Produkt produzieren zu können. Wir müssen unseren Kunden einen Mehrwert bieten, und unser Mehrwert besteht darin, dass wir durch unsere Lager-Philosophie viel puffern können. Und das finden Kunden momentan sehr attraktiv.
Reinecke: Wir sehen uns als Volumendistributor und als Spezialist für IP&E. Wir sehen unser Geschäft langfristig und nicht quartalsgetrieben und haben mit so gut wie keinem Kunden Probleme am Ende eines Jahres oder Quartals, weil wir immer Lösungen finden. Wir sind nicht Shareholdergetrieben, aber natürlich nehmen auch wir unsere Kunden in die Verpflichtung. Wenn die Partnerschaft ausgerufen wird, gilt es für beide Seiten. Aber wir helfen zu vermeiden, was viele Kunden gemacht haben, nämlich sich alles aufs Lager zu legen. Dadurch, dass viele Einkäufer forciert wurden, die BOM zu bestellen unabhängig von Lieferzeiten, wurde alles vorgehalten, und das resultiert in einem kapitalbindenden Volumen, obwohl einige Teile gar nicht kritisch waren.
2018 hat der Markt eine Lernkurve mit MLCCs hingelegt. Im Falle von MLCCs kann man erkennen, dass die Hersteller ihre Hausaufgaben gemacht haben; Investitionen wurden vorgenommen, aber auch die Preise gingen hoch und MLCCs sind in der aktuellen Allokation kein Thema. Im Bereich Widerstände war es etwas anders, hier haben wir in gewissen Bereichen wieder Allokation; trotzdem wird ständig über die Preise diskutiert. Man muss lernen, dass auch die Commodity-Hersteller Geld verdienen müssen, um Investitionen vorzunehmen.
Andererseits werden etwa im Automotive-Segment z. B. für Controller anstatt 3,50 Euro jetzt 150 Euro bezahlt, aber beim Widerstand, der 0,00XX kostet, will man weiterhin einen Preisnachlass. Glücklicherweise sehen viele Kunden – EMS und Industriekunden – aber auch ein, dass Supply-Chain-Sicherheit mehr Geld spart als der billigste Stückpreis.
Reiterer: Für die Kunden, mit denen wir eine Partnerschaft haben, geht man sozusagen durchs Feuer und man findet für alles eine Lösung. Aber man hat auch das rühmliche Drittel der Opportunisten, die kaufen heute hier und morgen da. Es wird doppelt und dreifach platziert. Und dann wird von uns oder einem anderen Distributor erwartet, dass die Drittplatzierung storniert werden kann. Diese Klientel lassen wir schon für ihre Verpflichtung uns gegenüber geradestehen.