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Vier Allokationen in 20 Jahren FBDi

26. April 2023, 11:40 Uhr | von Thomas Gerhardt, Managing Director bei Glyn und Vorstandsmitglied im Fachverband Bauelemente Distribution
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Ein Beispiel

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FBDi Umsatz Deutschland in Mrd. Euro
© FBDi

Angenommen ein normal wachsendes Sägewerk ordert vielleicht acht neue vollautomatische Holzbearbeitungsmaschinen pro Jahr. In jeder sind, sagen wir, 1.000 elektronische Bauelemente verbaut – insgesamt also 8.000 Stück. Weil man dort jedoch gehört hat, dass die Lieferzeiten sich deutlich verlängern, bestellt man sicherheitshalber zehn Anlagen für sofort. Besser lagern und lieferfähig bleiben, als zu warten. Beim Hersteller der Maschine kommt also ein „Bedarf“ von 10.000 Bauteilen an. Weil auch er Nachrichten geschaut hat, kauft er bei seinem Auftragsfertiger lieber 20 % mehr. Vielleicht will sein Kunde ja nächstes Jahr sogar zwölf Maschinen. Der EMS sieht nun einen „Bedarf“ von 12.000 Bauteilen. Vorausschauend bestellt er jedoch etwas dazu, also beispielsweise 14.000 Stück. Packt der Distributor auch noch etwas drauf, kommen beim Hersteller 16.000 Stück an – also das Doppelte des tatsächlichen Bedarfs und für sofort. Da er jedoch seine Produktionskapazität nicht so schnell hochfahren kann, kommuniziert er neue längere Lieferzeiten ins System. Diese führen dann automatisch wieder zu weiteren Bestellungen.

Mein lieber, ebenfalls sehr erfahrener Kollege im FBDi, Dietmar Jäger, sagt dann immer: „Der Auftragseingang ist eine Funktion der Lieferzeit und umgekehrt.“ Wie recht er doch hat.

Das System gerät aus den Fugen

Genau das passiert in jeder Allokation. Es gibt einen x-beliebigen Auslöser, der eine Panik erzeugt. Diese nährt sich selbst und kocht solange hoch, bis alle Lager voll sind, also der angebliche „Bedarf“ zurückgeht oder der Hersteller mehr produzieren kann. Meist kommt sogar beides zusammen. Daher rührt auch die typische Dauer von Allokationen. Es benötigt immer etwa 18-24 Monate, bis diese beiden Bedingungen in unserer Branche erfüllt sind.

Statt dieser dominant ursächlichen systemimmanenten Psychologie und der Latenzzeiten im System werden aber lieber andere Gründe diskutiert. Es wird darüber nachgedacht, ob die Kapazitäten von Legacy-Produkten überhaupt erhöht werden, ob die Corona-Politik der chinesischen Regierung die Allokation verlängert, ob Vorprodukte knapp bleiben, ob die Energiewende zu einem exponentiellen Gesamtwachstum führt, ob der Krieg die Lieferketten nachhaltig unterbricht, ob es genug Fracht-Container gibt, um nur einige zu nennen. Ich antworte darauf sinngemäß mit der unnachahmlichen Art eines Peter Ustinov als Meisterdetektiv Hercule Poirot im Film „Tod auf dem Nil“, nachdem ihm Dr. Ludwig Bessner einige Argumente gegen seine Lösungstheorie präsentiert hatte: „Das mag ja auch alles sein, … aber es ist … irrelevant!“ Der Auslöser für den Anfang ist beliebig und der fürs Ende ebenfalls. Dazwischen läuft ein gut erforschter massenpsychologischer Prozess ab, und hauptsächlich dieser ist entscheidend.

Kann man dann überhaupt etwas machen?

Am Ende fast jeder Allokation gehen die Umsätze wieder zurück. Das angebliche Marktwachstum entpuppt sich als „Vorschuss“. Etwa 75 % der Rollenspieler fahren das System dabei komplett an die Wand und erzeugen den größtmöglichen Schaden. 15 % schneiden etwas besser und 10 % sehr viel besser ab als die anderen – Erfolg ist also trotzdem durchaus möglich!

Was gerade passiert, ist jedoch nicht der Versuch, es besser zu machen. Vielmehr liest man jetzt überall von Schuldzuweisungen. Die Distributoren sind angeblich schuld, weil sie nicht liefern konnten. Die Hersteller sind schuld, weil sie nicht genug produziert haben und keine Termine nennen konnten. Die Kunden sind schuld, weil sie nicht früh genug bestellt haben. Die Broker sind schuld, weil sie sich an der Not eine goldene Nase verdient haben. Alles falsch! Keiner ist alleine schuld. Wenn überhaupt, dann alle zusammen. Aber eher noch das System.

Auch wähnt sich nun jeder eingeklemmt in einer „Sandwich-Position“. Das ist logisch, denn in einer langen Lieferkette vom Endverbraucher über den Einzelhändler, den Produkthersteller, den Maschinenproduzenten, den Produktionsdienstleister, den Distributor, den Bauteilher­steller, den Vorproduktelieferanten bis zur Minengesellschaft, ist ausnahmslos jeder in einer Sandwichposition. Und alle zeigen nach links und rechts, um einen Schuldigen zu finden. Nicht wirklich hilfreich und unter Berücksichtigung des eigenen Beitrages auch nicht fair.


  1. Vier Allokationen in 20 Jahren FBDi
  2. Ein Beispiel
  3. Was also ist zu tun?
  4. 20 Jahre FBDi

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