Ethernet im Auto

Standards, Konsortien und Produkte

3. Juni 2015, 13:46 Uhr | Von Günter Sporer und Dr. Wilfried Steiner
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Fortsetzung des Artikels von Teil 1

Time-Sensitive Networking

Während die Standardisierung von AVB in den IEEE-802-Standards bereits abgeschlossen ist, geht zur Zeit die Standardisierung der nächsten umfangreichen Technologiegruppe in ein fortgeschrittenes Stadium: In der IEEE 802.1 Time-Sensitive Networking (TSN) Task Group entstehen Standards, die Ethernet fit machen für harte Echtzeitanforderungen sowie für Kommunikationsrobustheit und Fehlertoleranz. Konkret geht es um folgende Ziele:

  • IEEE 802.1AS-Rev verbessert die Uhrensynchronisation
  • IEEE 802.1Qbv definiert zeitgesteuerte Kommunikation für Ethernet
  • mit IEEE 802.1Qca können redundante Kommunikationspfade erstellt werden
  • IEEE 802.1CB standardisiert ein Redundanzmanagementverfahren, welches vorschreibt, wie redundante Kopien von Nachrichten, die über disjunkte Kommunikationspfade transportiert werden, im Empfänger (oder auch auf gemeinsamen Knoten der disjunkten Kommunikationspfade) behandelt werden, d.h. welche redundante Kopie weiterverarbeitet wird und welche verworfen wird
  • IEEE 802.1Qcc bringt Verbesserungen, um Ressourcen zu reservieren
  • IEEE 802.1Qbu standardisiert gemeinsam mit IEEE 802.3br die Möglichkeit, Nachrichten während des Transports zu unterbrechen, um wichtigere Nachrichten minimal zu verzögern.

Besonders hervorzuheben ist IEEE 802.1Qbv, die TSN-Variante von zeitgesteuerter Kommunikation. Zeitgesteuerte Kommunikation zeichnet sich durch zwei wesentliche Elemente aus: Erstens, die Kommunikationsteilnehmer (Endknoten und optional auch Switches) sind miteinander synchronisiert (z.B. durch ein gemeinsames Uhrensynchronisationsprotokoll wie IEEE 1588, IEEE 802.1AS oder SAE AS6802). Zweitens, die Kommunikationsteilnehmer arbeiten synchronisiert einen Kommunikationsplan („Schedule“) ab, d.h. eine Liste von Kommunikations-Events, denen jeweils ein Zeitpunkt in der synchronisierten Zeit zugewiesen ist.

TSN-Kommunikationsszenario: Zeitgesteuerte Nachrichten (blau) werden im Switch 1 mit nicht zeitgesteuerten Nachrichten (orange) integriert
Bild 2. TSN-Kommunikationsszenario: Zeitgesteuerte Nachrichten (blau) werden im Switch 1 mit nicht zeitgesteuerten Nachrichten (orange) integriert.
© TTTech

In traditionellen zeitgesteuerten Kommunikationsprotokollen, wie FlexRay, TTP und TTEthernet, sind diese Kommunikations-Events auf Nachrichtengranularität definiert. D.h. hier werden pro Nachricht Zeitpunkte definiert, an denen die Nachrichten verschickt, weitergeleitet und gegebenenfalls auch empfangen werden. TSN fügt nun das Prinzip der Zeitsteuerung harmonisch zu bestehenden Ethernet-Switch-Architekturen in das IEEE-Standardwerk ein. Dazu standardisiert TSN die Kommunikations-Events nicht auf Nachrichtengranularität, sondern auf Warteschlangengranularität. Das heißt, die Kommunikations-Events im Schedule definieren Zeitintervalle, zu denen Warteschlangen an den ausgehenden Ports der Switches (und ggf. auch Endknoten) aktiviert und deaktiviert sind. Nur wenn eine Warteschlange aktiviert ist, können Nachrichten aus der Warteschlange zum Weiterleiten ausgewählt werden. Ein Beispiel für die zeitgesteuerte Kommunikation in TSN ist in Bild 2 dargestellt (das Kommunikationsszenario nimmt Bezug auf das Netzwerk in Bild 1).

Die AVnu Alliance

IEEE-Standards sind der Allgemeinheit zugänglich, teilweise sogar kostenlos. Typischerweise definieren diese Standards auch Bedingungen, die erfüllt sein müssen, um eine Implementierung als konform zum Standard auszuweisen. Einerseits sind diese Bedingungen in Form von Anforderungen (Requirements; Shall, May und Should Requirements) im Text verteilt. Andererseits enthalten die Standards sogenannte Performance Implementation Conformance Statements (PICS). Das sind Checklisten von Fragen, die mit Ja/Nein oder gegebenenfalls N/A beantwortet werden können. Diese Basisinstrumente stellen eine Grundkompatibilität von Implementierungen unterschiedlicher Hersteller sicher.

Trotzdem, IEEE-Standards sind informelle Beschreibungen und unterliegen dadurch Unschärfen, die sich zum Beispiel schon alleine aus der Ambiguität der englischen Sprache ergeben. Interoperabilitätstests, wie sie zum Beispiel vom University of New Hampshire (UNH) InterOperability Laboratory für Ethernet angeboten werden, sind daher notwendig, aber außerhalb des Wirkungsbereichs der IEEE. Die Sicherstellung der Interoperabilität von AVB- (und in Folge auch von TSN-) Geräten war daher die Motivation für die Gründung der AVnu Alliance. 

Bei Plugfests vernetzen unterschiedliche Hersteller ihre Produkte, um deren Interoperabilität zu testen
Bild 3. Bei Plugfests vernetzen unterschiedliche Hersteller ihre Produkte, um deren Interoperabilität zu testen.
© UNH InterOperability Laboratory

Dieses Konsortium hat das Ziel, ein interoperables Ökosystem zu erzeugen, dessen Fokus auf präzisem Zeitverhalten und geringer Übertragungslatenz für unterschiedliche Anwendungen liegt. Erreicht werden soll das Ziel mittels offener Standards und Zertifizierungen. Gründungsmitglieder der AVnu Alliance sind Broadcom, Cisco, Harman, Intel und Xilinx. Mittlerweile ist das Konsortium auf über fünfzig Mitglieder angewachsen; dazu gehören auch wichtige Unternehmen aus dem Automotive-Bereich, wie zum Beispiel BMW, GM, Hyundai, Bosch, NXP, Renesas und Texas Instruments. Konkrete Maßnahmen zur Sicherung der Interoperabilität sind regelmäßige „Plugfests“, also Ereignisse, zu denen unterschiedliche Hersteller ihre Produkte vernetzen und die Interoperabilität direkt testen (Bild 3).

Außerdem hat die AVnu Alliance gemeinsam mit dem UNH InterOperability Laboratory einen Konformitätstest entwickelt, der sowohl die AVB-Anforderungen der IEEE-802.1-Standards als auch die Anforderungen der AVnu Alliance abdeckt. Seit 2014 vergibt die AVnu Alliance ein Zertifikat für Produkte, die diese Konformitätstests erfüllen. Über die Interoperabilität hinausgehend engagiert sich AVnu auch bei gemeinsamen Marketingaktivitäten. So findet zum Beispiel am 28. und 29. April 2015 im kalifornischen Santa Clara die erste „Time-Sensitive Networks and Applications (TSNA) Technical Conference“ mit Unterstützung von AVnu statt.

Konkrete Produkte

NXP hat zum Beispiel von TTTech ein Ethernet Switch IP lizenziert, das in einem der ersten automotiven Switch-Chips Anwendung findet. Der Halbleiterbaustein wird um einen Entwicklungs-Switch, Konfigurations- und Testing Tools und weitere Produkte ergänzt, um den Umstieg auf Ethernet-basierte Kommunikation zu beschleunigen und zu vereinfachen.

Der Switch-Chip implementiert AVB; eine weitere Version wird Teile von TSN (z.B. das zeitgesteuerte Kommunikationsverfahren) abdecken. Außerdem schließt die Funktionalität den TTEthernet-Standard SAE AS6802 mit ein, der eine fehlertolerante Uhrensynchronisation definiert sowie zeitgesteuerte Kommunikation auf Nachrichtengranularität ermöglicht. Darüber hinaus wird NXP, wie bereits erwähnt, mit dem TJA1100 sehr bald einen OABR-PHY auf den Markt bringen.

 

Die Autoren

 

Günter Sporer
 
studierte an der Fachhochschule Augsburg sowie an der Universität von Missouri Electrical Engineering. Er ist Leiter des Produktsegmentes „Ethernet“ innerhalb der Produktlinie In-Vehicle Networking bei NXP. Er verfügt über langjährige Managementerfahrung in den Bereichen Personalführung, Produktentwicklung, Marketing, Strategieplanung sowie Produktmanagement. 
Dr. Wilfried Steiner
 
hat Technische Informatik an der TU Wien studiert. Er ist Corporate Scientist bei TTTech und entwickelt in dieser Position Algorithmen und Services für zuverlässige und ausfallsichere Systeme sowie für Echtzeitkommunikation in Netzwerken. Dr. Steiner ist zur Zeit Voting Member für den ­IEEE-802.1-Standard. 

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