Serielle Schnittstellen wie RS-232 waren lange Zeit State-of-the-Art für den Austausch von Daten zwischen PC und Peripherie. Heute werden sie oftmals durch Ethernet und USB verdrängt. Doch in vielen Bereichen sind sie nach wie vor unverzichtbar – beispielsweise in Fahrzeugen von Autobahnmeistereien.
Vor allem in der Industrie hat die RS-232-Schnittstelle aufgrund ihrer einfachen Anwendbarkeit Bestand – aber auch im Automotive-Bereich kommt sie noch zum Einsatz: Zum Beispiel in den Streufahrzeugen einer Autobahnmeisterei, bei denen das Streugerät – hinten am Fahrzeug montiert – über RS-232 an seine Steuereinheit im Führerhaus angebunden ist. Über diese Datenverbindung lassen sich Konfigurations- Überwachungsfunktionen am Streugerät realisieren.
Aufgrund der anspruchsvollen Umweltbedingungen kommt es jedoch vermehrt zu Schäden durch Kabelbrüche und Korrosion; der Wartungsaufwand ist hoch. Um dieses Problem anzugehen, griffen die Ingenieure der ETO-Gruppe eine Erfindung der Softwareschmiede Netwake auf, um auf dieser Basis eine wartungsfreie Lösung mit funkbasierter Datenübertragung über Bluetooth Low Energy (Bluetooth LE) zu entwickeln. Dafür wurde speziell für den Anwendungsfall im Streufahrzeug eine schlüsselfertige Dongle-Paar-Lösung zur Nachrüstung konzipiert, die in dieser Form auch in vielen anderen Anwendungsfeldern einsetzbar ist.
Der Clou: Die Nachrüstlösung basiert auf dem inzwischen patentierten Prinzip des Signal Energy Harvestings – und kommt dadurch ohne eigene Stromversorgung oder Batterie aus. Für die Umsetzung und Industrialisierung des Projekts wurden die Bluetooth-Spezialisten von Systemtechnik Leber an Bord geholt.
Energy Harvesting bedeutet, dass für Geräte mit entsprechend kleinem Energiebedarf – im Falle von ETO autarke Sensoren – geringe Mengen elektrischer Energie aus Bewegung, elektromagnetischen Wellen oder auch Temperaturunterschieden gezogen werden.
Beim Signal Energy Harvesting wird die benötigte Energie direkt aus den ohnehin vorhandenen Signalpegeln der Kommunikations-Schnittstelle gezogen. Mit dieser Technik werden sowohl Datenkabel als auch eine externe, kabelgebundene Stromversorgung oder Batterie für das Bluetooth-Modul überflüssig und entsprechende Ressourcen geschont.
Die Geräte arbeiten vollständig autark und bedürfen keiner Wartung. Gerade bei größeren Infrastrukturen mit Kabellängen von mehreren hundert Metern, wo es zum Beispiel aufgrund widriger Wetterbedingungen immer wieder zu Kabelschäden kommt, ist die Bluetooth-Lösung deutlich wirtschaftlicher. Vor allem räumlich weit entfernte beziehungsweise stand-alone arbeitende Sensoren (wie im vorliegenden Anwendungsfall die Sensoren in den verschiedenen Streufahrzeugen) profitieren von dieser Technik.
Grundidee hinter dem neuen ETO RS-232 BLE Harvesters war eine Plug&Play-Dongle-Lösung zur sicher verschlüsselten Bluetooth-Datenübertragung, die die herkömmliche, oftmals sehr lange Kabelstrecke ersetzt. Auf diese Weise lassen sich Bestandsgeräte einfach nachrüsten und zukunftsfit machen.
Erste Prototypen hat das ETO-Entwicklerteam im Alleingang aufgebaut, um die Realisierbarkeit der Idee nachzuweisen. Sie wurden in den Streufahrzeugen der Autobahnmeisterei getestet – mit positivem Ergebnis. Allerdings war das Entwicklungsprojekt bis zu diesem Zeitpunkt mit den von der Autobahnmeisterei benötigten geringen Stückzahlen kalkuliert worden.
Im nächsten Schritt sollte das Produkt auch für größere Mengen und andere Anwendungsfälle umsetzbar gemacht werden. Aus Kapazitätsgründen, aber auch wegen ihrer Bluetooth-Expertise wurden die Ingenieure von Systemtechnik Leber ins Boot geholt. Sie übernahmen die Prüfung des Proof-of-Concepts, die nachfolgende Hard- und Softwareentwicklung, den Entwurf des Gehäuses sowie die abschließende EMV-Prüfung, so dass am Projektende nach zehn Monaten der Prototyp des neuen RS-232 BLE Harvesters in seiner serienreifen Bauform für die Markteinführung zur Verfügung stand.
Phase 1: Prüfung und Erweiterung Proof-of-Concept
Gestartet wurde im Juni 2021 mit einer gemeinsamen Anforderungsanalyse, um die spätere Produktentwicklungsphase festzulegen. Dabei wurden Elektronik- und Mechanik-Design mit dem Ziel zusammengefügt, das vom ETO-Softwarepartner übernommene Proof-of-Concept genau zu prüfen, zusätzlich um einen neuen Dual-Core-Controller zu ergänzen und die Lösung insgesamt robuster zu gestalten beziehungsweise auf eine neue Bauform hin anzupassen. Insgesamt haben die Ingenieure, unter anderem im Rahmen einer Machbarkeitsanalyse, das Proof-of-Concept als sehr solide bewertet, so dass auf seiner Basis die Planung eines Prototyps für die Serienfertigung gestartet werden konnte.
Phase 2: Entwicklung Elektronik- und Mechanik-Design
Dank der akribischen Vorbereitungen in den ersten beiden Projektphasen, gab es in der Umsetzungsphase nur noch wenig Abstimmungsbedarf. Der Startschuss für die Entwicklung fiel im September 2021. Dabei erfolgte im Bereich Hardware die Schaltplan- und Layouterstellung, in deren Rahmen für das Mechanik-Design mit Oxxid ein weiterer externer Partner an Bord geholt wurde. Seine Aussteuerung erfolgte über die Leber-Ingenieure, die ihn bezüglich Bauraum und Platinenkontur kontinuierlich auf dem Laufenden hielten. Zeitgleich startete das gemischte Leber- und ETO-IT-Team mit der Entwicklung der Soft- und Firmware. Dazu wurde die ursprüngliche Prototypenlösung für den neuen Dual-Core-Controller neu entwickelt.
Phase 3: Prototypenbau und -inbetriebnahme mit Verifikation
Anschließend erfolgte die Inbetriebnahme der gelieferten Prototypenplatinen durch die Leber-Ingenieure. Dabei überprüfte man die Platinen auf ihre Funktionsfähigkeit, bevor schließlich Elektronik und Mechanik zusammengebracht wurden. Außerdem wurde in dieser Projektphase die Firmware aufgespielt und auf der kundenspezifischen Hardware getestet. Bereits vor Lieferung der Platinen begannen die Ingenieure mit der Programmierung auf Evalierungsboards, die mit demselben Chip ausgestattet waren wie die Platine.
Parallel dazu hatten die Ingenieure ein Evaluation Kit (voll funktionsfähiges Versuchssetup) entwickelt. Dieses verwendet denselben neuen Dual-Core-Controller, sodass die damit optimierte Firmware unmittelbar in den neuen Prototypen portiert werden konnte.
Phase 4: Laborbegleitung und EMV-Messungen
Da die neue Dongle-Lösung unter anderem der europäischen EMV-Richtlinie sowie der Richtlinie 1999/5/EG (Radio Equipment Directive, RED) entsprechen musste, wurde der Prototyp in einem externen Labor für EMV- und Funk-Prüfungen auf seine elektromagnetische Verträglichkeit beziehungsweise Anfälligkeit gegenüber Störungen von außen geprüft. Die Leber-Ingenieure übernahmen dabei die Vorbereitung und Durchführung von vorausgehenden Inhouse-EMV-Messungen, bevor der Prototyp an das Testlabor ging.
Phase 5: Anpassen der Hardwaredaten nach dem Testen
Im Rahmen der Inbetriebnahme und der Tests entdeckte man kleinere Auffälligkeiten am Hardwaredesign, die dann in aktualisierten Designdaten (Schaltplan und Platinenlayout) behoben wurden.
Phase 6: Serienreife Gehäuse erstellen
Das bis zu diesem Zeitpunkt für den Prototypen im 3-D-Drucker hergestellte Gehäuse musste nun durch eines aus Spritzguss ersetzt werden, um die Gehäuse auch in großer Stückzahl in Serie produzieren zu können. Eine entsprechende Spritzgussform wurde zur Herstellung einer ersten Kleinserie in Auftrag gegeben.
Der ETO RS232 BLE Harvester wurde als Plug&Play-Dongle-Lösung konzipiert. In diese sollte, um eine maximale Rechenleistung zu gewährleisten, ein neues Chipmodell mit Dual Core integriert werden. Dabei lag die Herausforderung darin, dass das Modul vom Chiphersteller erst kürzlich eingeführt worden war und seine Funktionen beziehungsweise die Firmware erst bewertet werden mussten – unter anderem auch im Hinblick auf deren Einfluss auf die integrierte Software.
Bei der Entwicklung sind die Ingenieure iterativ vorgegangen: nach Besprechung verschiedener Platzierungskonzepte gab es regelmäßigen Austausch dazu, an welcher Stelle im Gehäuse welche Elektronikkomponenten optimalerweise anzuordnen sind.
Für die Softwareentwicklung hatte das ETO-Team im Rahmen der Anforderungsdefinition eine High-Level-Software-Architektur, den Aufbau eines automatisierten Buildsystems und die Erstellung detaillierter Dokumentation vorgegeben, mit der ETO nach Übergabe der Software diese künftig selbst weiterpflegen und den Code erweitern kann. Dies ist insbesondere dann relevant, wenn neue Funktionen hinzugefügt werden sollen. Die Ingenieure von Leber entwickelten die Software entsprechend der Vorgaben und testeten diese in einer von ETO bereitgestellten Umgebung. Im Rahmen der Übergabe wurde die Lösung dann vom ETO IT-Team eingehend geprüft und freigegeben.
Eine kleine Herausforderung stellte die Tatsache dar, dass Secure Boot eingesetzt werden sollte, das Gerät also nur von ETO signierte Software ausführen darf. Dazu stellte ETO ein cloudbasiertes Hardware Security Modul (HSM) zur Verfügung, dass es den Entwicklern der Leber-Ingenieure ermöglichte, Programmdateien mit eigene Test-Signaturen zu schützen.
Martin Tiller
ist Entwicklungsleiter Elektronik bei der ETO-Gruppe
Jörg Klenke
ist Projektleiter bei Systemtechnik Leber