Nach Atom und Kohle

Kommt der Benzin- und Diesel-Ausstieg?

5. September 2019, 9:25 Uhr | Von Burkhard Fraune | dpa
Ein Autofahrer steckt an einer Tankstelle einen Diesel-Zapfhahn in die Tanköffnung seines Fahrzeugs.
© Felix König | dpa

Die Klimadebatte verstärkt die Hoffnung, die auf E-Autos ruht. Eine Fülle neuer Modelle ist angekündigt. Doch elektrisch ist nicht sofort umweltfreundlicher. Und der Weg zum Verbrenner-Ausstieg ist lang.

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Es ist noch kein Jahr her, da hieß es: kein Zweifel an der Sauberkeit modernster Diesel. Nicht die Autobranche sagte das, sondern der ökologisch orientierte Verkehrsclub Deutschland (VCD), als er seine jährliche Auto-Umweltliste vorlegte. Am Mittwoch nun erschien eine Spezial-Auflage: nur mit Elektroautos. Vom Diesel und reinen Benzinern will der Club darin nicht mehr viel wissen.

»Jedes Auto mit Verbrennungsmotor, das heute neu auf die Straßen kommt, stößt noch die nächsten 15 Jahre klimaschädliches Kohlendioxid aus«, sagte der verkehrspolitische Sprecher Michael Müller-Görnert. »Darum muss der Ausstieg bei Benzin und Diesel jetzt erfolgen.«

Und inzwischen wächst für Käufer tatsächlich das Angebot. Die deutschen Autobauer brüsten sich: »Unsere Hersteller und Zulieferer investieren in den kommenden drei Jahren 40 Milliarden Euro in die Elektromobilität, sie verfünffachen bis 2023 ihr Angebot an E-Modellen auf 150

Die »ADAC Motorwelt« titelt schon: »Endlich erschwinglich und alltagstauglich«. Die Autobauer machten nun Ernst mit dem E-Auto – auch wenn sie sich noch nicht von der Entwicklung großer »PS-Monster« verabschiedet hätten.

Noch aber immer sieht man wenige Strom-Autos auf der Straße, 200.000 von 47 Millionen seien es, stellt der VCD ernüchtert fest. Gründe liefert ein Blick auf die neue Umweltliste: Die meisten E-Autos sind noch immer vergleichsweise teuer, und vollelektrisch kommt man mit einer Batterieladung noch immer nicht so weit wie mit einer Tankfüllung. Von 200 bis 450 Kilometern reicht die Spanne.

Doch die Liste ist sehr unvollständig, nur 19 Modelle stehen drauf, der VW eGolf und der BMW i3 als einzige deutsche Marken. Laut VCD lieferten viele Hersteller entweder keine Daten oder unrealistische. Nächste Woche werden die Kunden vermutlich genau nachfragen: Dann beginnt in Frankfurt die Internationale Automobilausstellung (IAA).

Die Autobranche steht unter Druck. Das gesellschaftlich-politische Umfeld habe sich geändert, bemerkte Bernhard Mattes, der Präsident des Verbands der Automobilindustrie (VDA), dieser Tage. Demonstranten wollen in Frankfurt gegen Klimaschäden durch Autofahren protestieren.

Es drohen Strafzahlungen wegen überhöhter Kohlendioxid-Werte. Bis 2030 will die Industrie in Deutschland 7 bis 10,5 Millionen E-Autos auf die Straßen bringen, um die Grenzwerte einzuhalten. Doch hinter glänzenden neuen Elektroautos in der ersten Reihe werden auch in Frankfurt wieder schwere SUV und Sportwagen mit Verbrenner stehen.

Vor allem die Sportgeländewagen (SUV) treffen den Geschmack der Kunden: Im August waren sie zum ersten Mal das stärkste Segment in der Zulassungsstatistik, wie das Kraftfahrt-Bundesamt am Mittwoch mitteilte. Mit einem Marktanteil von gut 22 Prozent verdrängten sie die bis dahin führenden Kompaktwagen der Golf-Klasse. Hinzu kommen noch zehn Prozent herkömmliche Geländewagen – die Deutschen kaufen also immer mehr große und schwere Autos.

Der E-Auto-Absatz steigt, aber noch immer auf niedrigem Niveau. Nach amtlichen Angaben fuhr im ersten Halbjahr 2019 nicht einmal einer von 50 neu zugelassenen Autos ausschließlich mit Batterie. In jedem 18. Neuwagen unterstützt ein Elektromotor den Verbrenner.

Es fehlten Ladepunkte, argumentieren die Hersteller. Bundesweit gibt es rund 20.650 öffentliche und teilöffentliche Ladepunkte, wie der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) gezählt hat. Gebraucht würden eine Million, meint der VDA.

Daneben bremsen lange Lieferfristen den E-Auto-Verkauf, wie es beim VCD heißt. Wer sich ein reines Batterieauto kauft, kann einen Zuschuss von 4.000 Euro bekommen, bei Hybridautos sind es 3.000 Euro. Dennoch bleiben E-Autos auch in den nächsten Jahren in der Anschaffung deutlich teurer, ist der VCD gewiss. Die laufenden Kosten lägen mit 1,30 Euro je Kilometer nur etwas unterm Benziner (1,60 Euro), vom Diesel ganz zu schweigen. Dagegen steht: keine Kfz-Steuer und geringere Wartungs- und Reparaturkosten.

»Bislang rechnen sich E-Autos vor allem dann schnell, wenn sie einen kleinen Akku haben, wenig Strom verbrauchen, oft gefahren werden und wenn man eine günstige Lademöglichkeit nutzen kann», folgert der VCD – etwa für Pendler, die täglich 50 bis 70 Kilometer fahren und zu Hause oder bei der Arbeit laden können.

Auch seinen »ökologischen Rucksack« legt ein E-Auto nur langsam ab. »Die Batterieproduktion benötigt große Mengen Energie und Rohstoffe, wie Kobalt aus dem Kongo oder Lithium aus Bolivien«, gestehen die Umweltliste-Autoren zu. »Emissionen entstehen auch bei der Produktion des Ladestroms.«

Im Stadtverkehr ist das E-Auto nach 40.000 Kilometern die am wenigsten klimaschädliche Variante, auf der Autobahn erst nach 140.000 Kilometern, wie es unter Bezug auf eine Studie des Heidelberger Instituts für Umwelt und Energie heißt. Voraussetzung: Der Ökostrom-Anteil im Netz steigt wie geplant.

»In der Pflicht sind nicht nur Autohersteller und die Politik, sondern jede und jeder Einzelne«, fügt VCD-Sprecher Müller-Görnert hinzu. Die Menschen müssten mehr zu Fuß gehen, Rad fahren, Bus und Bahn nutzen. Emissionsfreie Autos seien nur eine Ergänzung.


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