Eine neuartige, intelligente Steuerung ermöglicht schnelles Laden von E-Fahrzeugen, ohne dabei das elektrische Netz zu überlasten. Der Ansatz dahinter: Eine KI liefert einer KI Informationen. Diese Idee könnte der Elektromobilität in Deutschland weiter auf die Sprünge helfen.
Aus der Garage heraus, über die Einfahrt hinweg schlängelt sich das Kabel. »Ein Fahrzeug allein ist nicht das Problem«, sagt Michael Kelker, steckt den Stecker in den Anschluss am Auto und startet die Ladung. Aber wenn es in fast jedem Haushalt ein E-Auto gibt, und alle wollen nach Feierabend ihr Fahrzeug zeitgleich aufladen?
»Das könnte das elektrische Netz derzeit überlasten. Die Sicherung würde ausgelöst, und die Häuser hätten keinen Strom mehr.« Soweit muss es nicht kommen, findet Kelker. Er setzte in seiner Dissertation an der Fachhochschule (FH) Bielefeld auf Künstliche Intelligenz (KI), um Elektrofahrzeuge schnell und sicher zu laden.
Der 32-Jährige hat sich bereits im Bachelor Regenerative Energien intensiv mit der Energiewende befasst und sich im Master Elektrotechnik auf die elektrischen Netze spezialisiert. Das Forschen hat es ihm angetan. Bei der FH-Arbeitsgruppe Netze und Energiesysteme (AGNES) ist der Ingenieur genau richtig: Geleitet von Prof. Dr.-Ing. Jens Haubrock, im Fachbereich Ingenieurwissenschaften und Mathematik zuständig für das Lehrgebiet Regenerative Energiesysteme und Elektrotechnik, forscht die Arbeitsgruppe in verschiedenen Projekten an technischen Lösungen zur Beobachtung, Steuerung und Führung elektrischer Netze.
Seit 2018 ist Michael Kelker als Wissenschaftlicher Mitarbeiter dabei, und seit kurzem ist er der erste Promovierte der Gruppe: Im Dezember hat er seine Doktorarbeit verteidigt, als kooperative Promotion mit der Technischen Universität (TU) Ilmenau.
Die Arbeit ist im Rahmen des Projekts KI-Grid entstanden, das die Integration von Elektrofahrzeugen in das elektrische Netz mit Hilfe von KI erforscht. »Elektrofahrzeuge sind eine große neue Last für das Niederspannungsnetz«, sagt Kelker. »Ein Privathaushalt benötigt allerhöchstens 20 kW Leistung für sämtliche Geräte. Wenn dann ein Elektrofahrzeug mit einer maximalen Ladeleistung von 11 kW hinzukommt, steigt der Verbrauch in Spitzen um gut 50 Prozent.« Den neuen, hohen Verbrauchern steht – durch den Ausbau der erneuerbaren Energien – eine schwankende Energieerzeugung gegenüber.
Die Lösung könnte ganz einfach sein: Lädt man Elektrofahrzeuge bei minimaler Leistung, kann man Überlastungen der Netze vermeiden. Aber »Das dauert«, sagt Michael Kelker. Und eine stundenlange Ladedauer trägt nicht unbedingt zur Akzeptanz von Elektromobilität bei. Die Idee von Kelker: »Die Steuerung der Ladung durch eine KI, die je nach Auslastung des Netzes die Ladeleistung erhöht oder reduziert. So wird eine möglichst schnelle Ladung erreicht, ohne das Netz zu überlasten.«
Der Haken daran: Wie soll die KI die Auslastung des Netzes erkennen? Entsprechende Messtechnik, die die benötigten Daten liefern könnte, fehlt im Niederspannungsnetz weitgehend. Kelkers setzt nun für die Datengenerierung ebenfalls eine KI ein, genauer ein künstliches neuronales Netz (Artificial Neural Network (ANN)) und trainiert es so, dass es der anderen KI eine möglichst genaue und realistische Netzzustandsschätzung für die Steuerung der Ladeleistung liefert. Zwei verschiedene KIs werden also miteinander gekoppelt.
Bei aller Anwendungsbezogenheit – zur Ausarbeitung seines Ansatzes ist Michael Kelker dann doch ins Labor gegangen und nicht ins reale Netz mit echten Fahrzeugen, bedeutet seine Forschung doch ausprobieren, verändern, weiter ausprobieren und auch mal scheitern.
»Das sollte dann besser im geschützten Raum passieren und nicht im realen elektrischen Netz«, sagt Kelker. Im Labor der Arbeitsgruppe lassen sich am Computer reale Netzabschnitte simulieren. »Mit Hilfe dieser Simulationen habe ich dann die Daten generiert, die ich für das Training meines ANN zur Netzzustandsschätzung brauchte«, so Kelker weiter. Im realen Niederspannungsnetz würde das ANN beispielsweise in den Ortsnetzstationen, bekannt als Trafohäuschen, platziert werden.
Die Einstellung der zweiten KI war eine besondere Herausforderung. Sie würde beispielsweise in einer Ladesäule integriert sein und aus den von der ersten KI gelieferten Eingangsdaten erkennen, ob sie die Ladeleistung erhöhen oder reduzieren soll.»Der entsprechende Algorithmus ist so komplex, dass man nur mit sinnvollem ‚Trial and Error‘ herausfinden kann, welche Parameter man zur Optimierung wie verändern muss«, erklärt Michael Kelker.
Als Methode hat er auf das Reinforcement Learnings gesetzt. Das bedeutet bestärkendes Lernen. Hierbei ist die KI in einem sogenannten Agenten implementiert, der durch Interaktion mit der Umwelt lernt, ein Problem immer besser zu lösen.
»Ähnlich wie bei einer KI mit Reinforcement Learning, die trainiert wird, das Videospiel Super Mario zu spielen«, erläutert Kelker. Als Umgebung dient das zu spielende Level mit den typischen Interaktionen der Spielfigur wie Springen und Laufen. Die Hauptfigur lernt nach mehreren Fehlversuchen, was sie tun muss, um das Level zu schaffen. »In meinem Ansatz ist die Umwelt dann das elektrische Netz und die Interaktion die Regelung der Ladeleistung der Elektrofahrzeuge.«
Für Kelker bedeutete das Training vor allem geduldiges Warten: »Etwa eine Woche dauert ein Trainingsdurchgang, so lange braucht der Computer für die Berechnung. Wenn sich dann eine vermeintlich sinnvolle Änderung als Verschlechterung herausstellte, war das schon frustrierend.«
Aber das Warten hat sich gelohnt, das Training war erfolgreich: Um fast ein Drittel konnte Michael Kelker kritische Überlastungen des Netzes mit seiner Methode reduzieren. Und vor allem: »Die Autos können annähernd doppelt so schnell geladen werden wie mit der minimalen Ladeleistung.«