Herausforderung Elektromobilität

Die Autoindustrie braucht ein Update ihrer Lieferketten

28. Juni 2021, 11:30 Uhr | Autor: André von de Finn, Redaktion: Irina Hübner

Zwar haben Digitalisierung und die Corona-Pandemie massiven Einfluss auf die Lieferketten in der Industrie. Doch für Autobauer kommt die E-Mobilität als weitere Herausforderung hinzu. Wie sich Lieferketten optimieren lassen, erklärt André von de Finn, Regional Vice President Sales DACH bei OpenText.

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Im Oktober letzten Jahres einigten sich die EU-Umweltminister rechtsverbindlich auf das Ziel, die Wirtschaft bis 2050 klimaneutral zu gestalten. Dieses Klimaschutzgesetz wird die Grundlage für Europas Plan zur Senkung der Treibhausgasemissionen bilden, der alle Sektoren umgestalten wird. Um diese Ziele zu erreichen, will die Europäische Union bis 2030 30 Millionen Elektrofahrzeuge auf die Straßen bringen. Eine Studie von McKinsey zeigt, dass Europa jetzt auf der Überholspur ist, wenn es um Elektromobilität geht. Denn während der Absatz von E-Fahrzeugen in China schleppend verläuft und in den USA sogar rückläufig ist, steigen die Verkaufszahlen in Europa sprunghaft an.

Produkte und Produktion werden digital

Der Übergang zur Elektromobilität – zusammen mit der Entwicklung von vernetzten und autonomen Fahrzeugen – erfordert Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft. Das bedeutet einerseits Gesetzesänderungen und eine neue Steuerpolitik, die Anreize für die Elektrifizierung von Flotten schafft und die private Anschaffung von E-Autos stärker fördert. Andererseits werden sich die Lieferketten der Hersteller verändern müssen, um den neuen Produktionsanforderungen gerecht zu werden.

Hinzu kommt, dass die Fahrzeugherstellung stark von der Digitalisierung des Produktionsprozesses und von Innovationen wie KI, Cloud, Big Data oder IoT beeinflusst wird, um nur einige zu nennen. Das Ziel hinter all diesen Veränderungen in der Lieferkette ist es, diese intelligenter zu machen. Aspekte wie Resilienz, Flexibilität und Effizienz sind aktuelle Maximen, die jede Organisation berücksichtigen muss, um erfolgreich mit Störungen, wie sie durch COVID-19 ausgelöst werden, umzugehen. Und das kann nur durch die Nutzung datengetriebener Analysen und den Einsatz modernster Technologie erreicht werden. Anders werden sich die aktuellen Herausforderungen für die Automobilhersteller, worunter der veränderte Rohstoffbedarf eine der dringendsten ist, nur schwer lösen lassen.

Neue Schlüsselrohstoffe schaffen neue Komplexität

Lange Zeit waren Eisen und Stahl die wichtigsten Rohstoffe im Automobilbau. Später kamen noch Leichtmetalle, vorwiegend Aluminium, hinzu. Auf den Weltmärkten für diese Rohstoffe herrscht heute ein Überangebot und ein starker Preiskampf. Diese Metalle einzukaufen bedeutet für Automobilhersteller also in der Regel keine Schwierigkeit. Mitunter haben sie auch Lieferbeziehungen, die sich über eine sehr lange Zeit etablieren konnten. Durch das Überangebot sind auch Ausfälle einzelner Produzenten oder lokale Lieferschwierigkeiten lösbare Probleme.

Elektroautos ohne Motorblock und komplexe Mehrganggetriebe erfordern weniger der reichlich vorhandenen Rohstoffe, dafür sind jedoch ihre Batterien ein neues Nadelöhr für die Produktion. Dabei geht es insbesondere um den Rohstoff Lithium, der in aktuellen Akkus Verwendung findet. Hier ergibt sich eine gänzlich andere Situation als auf dem Stahlmarkt. Die weltweite Nachfrage ist in den letzten Jahren explodiert, während sich die Lithiumgewinnung auf wenige Standorte verteilt. Führende Produzenten sind Australien (mit großem Abstand) und Chile. Auch wenn in Europa, besonders in Deutschland, große Ressourcen erwartet werden, findet Abbau in nennenswertem Ausmaß aktuell lediglich in Portugal statt.

Gleichzeitig investierten die Abbauländer – allen voran Australien – massiv in den Ausbau ihrer Minen. Dadurch ergibt sich momentan tatsächlich ein Überangebot für Lithium auf den Weltmärkten. Die Entwicklung der letzten Jahre zeigt allerdings starke Schwankungen im Lithiumpreis. Beispielsweise war im Jahr 2017 ein enormer Anstieg zu verzeichnen. Mit dem weiteren Voranschreiten der Elektromobilität ist jedoch mit einer anziehenden Nachfrage zu rechnen. So oder so ist der Lithiummarkt hinsichtlich seiner Konzentration und Volatilität kaum mit den Rohstoffmärkten der Vergangenheit vergleichbar und die Versorgung mit diesem kritischen Rohstoff ist entscheidend für eine erfolgreiche Batterieproduktion.

Jüngst bewies erst die Havarie des Containerschiffs Ever Given im Suezkanal, wie anfällig der Welthandel für Störungen ist – auch noch im langen Nachhall des eigentlichen Ereignisses. Solche akuten Ereignisse treffen auf einen globalen Warenverkehr, der mit tiefen strukturellen Problemen zu kämpfen hat. Von diesem Warenverkehr ist, aktuell zumindest noch, jede europäische Batterieproduktion abhängig. Das heißt, Hersteller müssen ihre Lieferketten überdenken, optimieren und vor allem auch an deren Resilienz arbeiten.

Die Supply Chain des 21. Jahrhunderts

Automobilhersteller auf der ganzen Welt erweitern seit einiger Zeit ihre Produktionsstätten und Lieferketten – so gesehen ist das keine gänzlich neue Herausforderung, sie wird im Zuge der E-Mobilität allerdings noch verschärft. Dadurch entstehen neue und komplexe digitale Ökosysteme, da sie mit mehr Lieferanten – traditionellen und neuen – zusammenarbeiten. Innovation und Zusammenarbeit werden durch Lieferketten gefördert, die zunehmend nicht nur Lieferanten, sondern auch Kunden, Drittlogistikunternehmen und andere Partner der Wertschöpfungskette miteinander verbinden.

Unternehmen haben diese sich entwickelnden und zunehmend digitalen Lieferketten genutzt, um Agilität, Flexibilität und Reaktionsfähigkeit voranzutreiben. Doch Größe und Komplexität haben eine strukturelle Schwachstelle geschaffen, die durch die Pandemie voll zum Vorschein gekommen ist. Diese kann nur durch einen resilienteren Ansatz bekämpft werden.

Um unabhängig von diesen Umständen schnell und effektiv reagieren zu können, müssen Informationen reibungslos und sicher in viele Richtungen im Unternehmen sowie zwischen Mitarbeitern, Geschäftsabteilungen und über das gesamte Unternehmensnetzwerk hinweg fließen können. Um das zu erreichen, müssen Unternehmen ihre digitale Transformation beschleunigen und Datenanalysen, Transaktionsinhalte und Cybersicherheit integrieren, während sie gleichzeitig robuste Funktionen für Aktivitätsberichte sowie die Erstellung und den Empfang von Inhalten und Dashboards bereitstellen.

Darüber hinaus ist die Nutzung von KI und Analytik jetzt ein wichtiger Faktor für Automobilunternehmen, da sie versuchen, Betrieb und Produktion besser aufeinander abzustimmen, um die Anforderungen ihrer Kunden zu erfüllen. Diese Innovationen geben ihnen auch die Flexibilität, die sie benötigen, um auf unvorhergesehene Ereignisse zu reagieren, ihr Geschäftsmodell schnell zu ändern und sich an neue Anforderungen anzupassen.

Auch ethische Fragen stehen im Fokus

Kunden wollen heute wissen, unter welchen Bedingungen Produkte hergestellt wurden und woher die Rohstoffe stammen. Gerade der Lithiumabbau in Südamerika wirkt sich durch den hohen Wasserbedarf enorm auf die Umwelt aus. Unternehmen müssen sich neben wirtschaftlichen Aspekten auch mit diesen externen Faktoren befassen, um Antworten für die Öffentlichkeit geben zu können und die Situation vor Ort zu verbessern. Transparenz in den Lieferketten ist unabdingbar, um gegen Ausbeutung von Arbeitskräften und Umweltverschmutzung anzukämpfen. Das geschieht heute auch nicht mehr nur aus altruistischen Motiven: Die Verbraucher verlangen vielmehr ethisches Handeln von Unternehmen, was somit zu einem ernsthaften Wettbewerbsfaktor wird.

Weltweit vernetzt und transparent

Eine moderne Lieferkette muss Innovationen wie die Cloud, IoT oder Big Data nutzen, um auf allen Produktionsstufen und in allen Funktionsbereichen vernetzt zu sein, sei es in Fertigungsanlagen, Büros oder in der Logistik. Dies ermöglicht die Zusammenarbeit mit Ansprechpartnern über das gesamte Ökosystem hinweg, bietet aber auch eine sichere Möglichkeit, Konstruktions- und Produktionsinformationen zwischen einzelnen Werken und Partnern auszutauschen.

Letztendlich wird die Kombination aus IoT, KI und Analytik Automobilunternehmen einen durchgängigen Zugang zu intelligenten Lieferkettendaten ermöglichen, um alle internen und externen Aspekte zu messen und zu analysieren. Dadurch wird nicht nur eine effiziente und resiliente Rohstoffversorgung gewährleistet, Unternehmen erlangen so maximale Transparenz bei Arbeits- und Umweltbedingungen entlang ihrer Supply Chains.


 

 

André von de Finn, OpenText.
André von de Finn, OpenText.
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Der Autor

André von de Finn
beschäftigt sich seit über 13 Jahren mit der Digitalisierung und Optimierung von Purchase-to-Pay- sowie Order-to-Cash-Prozessen. Er verfügt über umfassende Erfahrung im Umfeld des elektronischen Datenaustauschs und der Digitalisierung von Geschäftsprozessen im internationalen, industriellen Umfeld. Aktuell ist er Regional Vice President Sales DACH bei OpenText.


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