Kommentar

Die Gretchenfrage der KI

13. Mai 2025, 8:27 Uhr | Ingo Kuss
Ingo Kuss, Chefredakteur, IKuss@componeers.de
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Bei all dem Staunen – oder auch Erschrecken – darüber, was generative KI bereits jetzt schon leisten kann beziehungsweise in naher Zukunft noch alles beherrschen wird, geht leicht unter, welche Rückschläge auch immer wieder zu verzeichnen sind.

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Dass etwa Open AI sein aktuelles ChatGPT-Update GPT-4o wegen irritierender Unterwürfigkeit im Kommunikationsverhalten zurückziehen musste, ist wohl eher eine Lappalie. Deutlich schwerer wiegt dagegen, dass es bei einem schon so lange angestrebten KI-Ziel wie dem autonomen Fahren immer noch zugeht wie bei der Echternacher Springprozession: zwei Schritte vor, einer zurück.

Kaum machten beispielweise erste Meldungen die Runde, wie erfolgreich in China sogar schon Robotertaxis unterwegs seien, kündigte die chinesische Regierung eine deutlich schärfere Regulierung von automatisierten Fahrfunktionen an: So sind unter anderem bislang tolerierte „Beta-Testprogramme“, bei denen Kunden neue autonome Fahrfunktionen schon vor der offiziellen Freigabe in der Öffentlichkeit testen konnten, zukünftig nicht mehr erlaubt. Auch dem offensiven Werben mit Begriffen wie „selbstfahrend“, oder „automatisches Fahren“ will das chinesische Ministerium für Industrie und Informationstechnologie (MIIT) einen Riegel vorschieben. Hintergrund ist wohl ein viel diskutierter schwerer Unfall mit einem Xiaomi SU7, bei dem drei Personen ums Leben kamen, offenbar weil sie die Leistungsfähigkeit der Fahrassistenzsoftware überschätzt hatten.

Automatisierungsstufe „Level 2++“

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch die neu eingeführte Automatisierungsstufe „Level 2++“. Gemeint sind damit teilautomatisierte Fahrfunktionen sowohl auf der Autobahn als auch im dichten Stadtverkehr. Volkswagen hat bei der Vorstellung neuer Modelle auf der Shanghai Autoshow diese Fähigkeit besonders hervorgehoben. Die neue Stufe mit Doppelplus erinnert ein wenig an die alten Energieeffizienzklassen, wo zur ursprünglichen Bestnote „A“ eine Zeitlang immer mehr Pluszeichen addiert wurden, bis schließlich neue, schärfere Bewertungskriterien für die Rückkehr zum üblichen „ABC-Schema“ sorgten.

Das krampfhafte Festhalten an Level 2 trotz deutlich erweiterter automatisierter Fahrfunktionen ist natürlich kein Zufall: Zwischen Stufe 2 und 3 verläuft eine wichtige Grenze, deren Überschreitung von vielen OEMs als großes rechtliches Risiko eingeschätzt wird, da ab Stufe 3 die Haftung im Falle eines Unfalls zumindest vorübergehend auf den Hersteller übergeht. Bei Level 2 bleibt der Fahrer dagegen immer in der Verantwortung.

Knackpunkt Haftung

Die Gretchenfrage der KI lautet also: Nun sag‘, wie hast du’s mit der Haftung? In puncto automatisierten Fahrfunktionen fällt die Antwort noch bescheiden aus: Bislang reicht das Vertrauen in die eigenen KI-Lösungen in der Regel nur für ausgewählte Modelle in eng begrenzten Einsatzgebieten aus. Die Anbieter von generativer KI sind nicht einmal dazu bereit: Open AI & Co. lehnen bislang jegliche Verantwortung für die Korrektheit der erzeugten Ergebnisse kategorisch ab. Sie werden ihre Gründe haben.


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