Industrielle Kommunikationstechnik dient längst nicht mehr nur dazu, Maschinen und Anlagen zuverlässig zu betreiben und am Laufen zu halten. Vielmehr soll sie heutzutage auch dabei helfen, Energieeffizienz- und Nachhaltigkeitsziele zu erreichen.
Stefan Angele, Geschäftsführer von Systemtechnik Leber, erläutert die Hintergründe.
Markt&Technik: Welchen Beitrag kann die industrielle Kommunikationstechnik zu Energieeffizienz und Ressourcenschonung leisten?
Stefan Angele: Die Kommunikationstechnik bildet – in Analogie zum menschlichen Körper – sozusagen das Nervensystem automatisierter Systeme. In uns Menschen stellt das Nervensystem sicher, dass die Reize, die unsere Sensoren – Augen, Ohren, Nase, Zunge, Haut – aufnehmen, in der passenden Geschwindigkeit mit dem passenden Informationsumfang an unser Gehirn als zentrale Datenverarbeitungseinheit weitergeleitet werden. Dort werden all diese Daten dann in Echtzeit mithilfe »echter« menschlicher Intelligenz verarbeitet, und wir reagieren dann entsprechend über unsere Aktoren wie etwa Hände oder Füße.
Unser Körper hat im Laufe der Evolution ein abgestuftes Nervennetzwerk zur Anbindung des Gehirns an unsere komplexe, hocheffiziente Sensorik und Aktorik entwickelt, um unsere Reaktionen und Bewegungen so zu koordinieren und zu optimieren, dass sie uns nicht nur helfen zu überleben (Fluchtreflex), sondern auch gewährleisten, dass wir effizient mit den für unseren Körper lebensnotwendigen Ressourcen wie etwa Sauerstoff oder Energie umgehen.
Hier lässt sich die Brücke zum Thema Energie- und Ressourceneffizienz industrieller Systeme schlagen. Denn auch dort müssen immer mehr Sensoren und Aktoren über geeignete Kommunikationsinfrastrukturen (»Nervensysteme«) mit intelligenten Steuerungs- und Datenmanagementsystemen vernetzt werden, damit der Verbrauch von Energie oder anderen Verbrauchsressourcen erfasst und bei Bedarf optimiert werden kann.
Um eine erweiterte Sensor-Aktor- und Kommunikations-Infrastruktur auch für Energieeffizienz und Ressourcenschonung zu nutzen, ist es notwendig, die akquirierten Daten im konkreten Anwendungsfall so aufzubereiten und intelligent auszuwerten, dass man Einsparpotenziale oder auch ungewollte Verschwendung möglichst vorausschauend erkennt und die Ursachen dann vermeiden kann. Dies geht über die bisher etablierten Steuerungs- und Überwachungsfunktionen hinaus und erfordert eine Ausrichtung des Systemaufbaus im Sinne eines »Design for Efficiency«. Wenn dies konsequent gedacht und umgesetzt wird, dürfte das Einsparpotenzial gerade in energieintensiven Systemen wie etwa der Prozessindustrie groß sein.
Welche Trends und Herausforderungen für die industrielle Kommunikationstechnik ergeben sich daraus?
Industrielle Kommunikationstechnik und die daran angeschlossene Sensorik und Aktorik wird künftig nicht nur in höherer Anzahl gebraucht werden, sondern auch zunehmend intelligenter und leistungsfähiger sein müssen. Dies ist notwendig, damit Daten aus dem Feld zielgerichtet erfasst und vorverarbeitet einer Auswertungseinheit zugeführt werden können, die dann Szenarien von Energieverschwendung erkennt und zu verhindern hilft. Zudem kann man davon ausgehen, dass Anlagen, die mit sehr großen Energie- und Ressourcenmengen arbeiten, oft weit verteilt und unter Umständen auch schlecht zugänglich sind.
Unter diesen Voraussetzungen wird es also immer wichtiger sein, Kommunikationslösungen in Hard- und Software zu haben, die einerseits auf Standards beruhen (Integrationsfähigkeit), andererseits zuverlässig, hochverfügbar und mit ausreichend Rechen-Power für eine Datenvorverarbeitung ausgestattet sind (Leistungsfähigkeit). Dabei müssen sie in dem für Anwendungen jeweils geeigneten Reifegrad und Kostenrahmen (Rentabilität) vorliegen. Nur dann lassen sie sich effizient in neue und bestehende Systeme implementieren.
Welche Rolle spielen und welche Vorteile haben Sensor-Aktor-Kommunikationsstandards und drahtlose Sensornetzwerke für die Erfassung von Daten in weit verteilten Umgebungen und damit auch für Energieeffizienz und Ressourcenschonung?
Im Grunde verfolgen alle Standards, so unterschiedlich sie sein mögen, dasselbe Ziel: eine Vereinfachung der Integration in Anwendungen und der Interoperabilität mit anderen Geräten. Um beim Vergleich mit dem menschlichen Körper zu bleiben, sind Sensor-Aktor-Kommunikationsstandards hier für die feinen Verästelungen im Nervensystem von Maschinen und Anlagen verantwortlich. Im Gegensatz dazu repräsentieren die heutzutage meist Ethernet-basierten Feldbusstandards eher den Vagusnerv. Sensor-Aktor-Kommunikationsstandards wie IO-Link und AS-Interface sind einfach zu konfigurieren und zu integrieren sowie kostengünstiger als die leistungsfähigeren Standards auf Ethernet-Basis. Single-Pair-Ethernet dient hier als Verbindungstechnik zwischen den beiden Welten.
Diese Kommunikationsstandards bilden unabhängig vom Thema Energieeffizienz ein Ecosystem, das eine durchgehend digitalisierte Automatisierungstechnik erst wirklich effizient ermöglicht. Ein hoher Grad an Digitalisierung – und damit ist besonders die Verfügbarkeit vieler Sensordaten in einem harmonisierten Format gemeint – ist aber sicherlich die Voraussetzung dafür, um unter Umständen sehr komplexe Zusammenhänge über lange Laufzeiten eines Systems hinweg zu erkennen. Und dann auch Szenarien zu identifizieren, die den unnötigen Verbrauch oder die Verschwendung von Ressourcen betreffen.
Wenn man dann davon ausgeht, dass die großen Energieverbraucher eher in großen, weit verteilten Anlagen zu finden sind, dann ist die Integration drahtlos angebundener Sensoren und Aktoren in eine zentrale Steuerungs- und Überwachungstechnik künftig ein ganz wichtiger Aspekt. Je nachdem, wie weit die zu überbrückenden Distanzen sind und welche Infrastruktur für die Drahtlosübertragung vorliegt, können das lokale Bluetooth- oder WiFi-Verbindungen oder auf Mobilfunk beruhende NB-IoT-Lösungen sein.
Welche dieser Techniken sich individuell am besten eignet, hängt von der Verfügbarkeit der Netze und dann vor allem von der Verfügbarkeit einer Drahtlosanbindung in den Sensor-Aktor-Systemen ab. Hier gibt es aus unserer Sicht noch viel Spielraum, weil sich die Anbieter ganz offensichtlich schwer damit tun, die »eine richtige« Lösung für die vielen unterschiedlichen Branchen und Anwendungsvorgaben bereitzustellen. Das ist der Punkt, an dem wir als Entwicklungsdienstleister ansetzen wollen, indem wir unsere Kunden dabei unterstützen, die jeweils passende Connectivity in ihre Produkte zu integrieren.
Welche Rolle spielen aus Ihrer Sicht Cloud und Edge für die Realisierung energieeffizienter und ressourcenschonender Produktion?
Ohne durchgängige Sensor-to-Cloud-Lösungen dürfte es schwierig sein, Informationen in ausreichender Menge und Qualität zu bekommen, um Zusammenhänge zu identifizieren, die über das Offensichtliche hinausgehen. Auch das ist zunächst völlig unabhängig vom Thema Energieeffizienz, aber dennoch auch dafür wichtig. Schließlich geht es in der Industrie nicht nur darum, jeden Abend das Licht auszuschalten. Welche Kommunikationstechniken sich hier besonders eignen, kann ich nicht wirklich bewerten.
Ich gehe aber davon aus, dass Lösungen für die Steuerung und Überwachung von Anlagen auch um das Erkennen von Ressourcenverschwendung ertüchtigt werden können. Wir haben hier als Experten für die Integration von Kommunikationsfunktionen in Sensoren oder Aktoren zunächst keine Präferenzen, sehen uns aber mit unserem Know-how in WiFi, Bluetooth und NB-IoT-Technologien sowie unserer langjährigen Erfahrung im Design-in von Hilscher-Produkten sehr gut aufgestellt, um den meisten Anforderungen gewachsen zu sein.
Welche weiteren, ergänzenden Kommunikationstechniken sind zur Realisierung energieeffizienterer Produktionssysteme erforderlich? Wie sieht ein optimales Zusammenspiel mit den bestehenden Kommunikationstechniken aus?
Ich denke, dass wir über die bereits genannten Technologien hinaus keine wesentlichen weiteren Technologien benötigen. Allerdings würde ich uns keine repräsentative Aussage zu sämtlichen aktuellen und zukünftigen Anforderungen in sämtlichen Anwendungsgebieten zutrauen. Aus unseren bisherigen Projekten heraus aber stellen wir einen steigenden Bedarf an der Ertüchtigung bestehender Systeme, Sensoren und Aktoren fest.
Das betrifft zum einen deren Connectivity, also die Fähigkeit, über verschiedene drahtgebundene, aber auch drahtlose Kommunikationsprotokolle integriert werden zu können. Gleichzeitig geht es aber oft auch darum, Systeme autark zu machen, etwa indem man über ein intelligentes Energiemanagement mit Batterien oder mithilfe von Energy-Harvesting dafür sorgt, dass diese über lange Zeit ohne Wartung zuverlässig Daten liefern.