Wenn es um die Einführung von KI in Unternehmen geht, empfiehlt es sich in vielen Fällen, zunächst die niedrig hängenden Früchte zu ernten – in Form von Micro-KI. Worum es sich dabei handelt und welchen Nutzen sie bringt, erläutert Johannes Diedrich, Geschäftsstellenleiter Hannover bei Synostik.
Markt&Technik: Was verstehen Sie unter Micro-KI?
Johannes Diedrich: Mit Micro-KI (µKI) meinen wir, dass es bei der Anwendung künstlicher Intelligenz nicht gleich die vollumfängliche, bis ins kleinste Detail durchdachte und ausgeklügelte Super-Anwendung sein muss. Wir verfolgen nicht eine Super-KI, die alles weiß, alles kann und sich völlig eigenständig und unabhängig vom Menschen weiterentwickelt. Besonders in verteilten Systemen ist es möglich, zunächst nur ausgewählte Teilanwendungen einer KI anzuvertrauen. Außerdem werden bei µKI aus den vielfältigen Ausprägungen von KI meist nur einzelne Aspekte herausgegriffen und gezielt zur Anwendung gebracht.
Wodurch unterscheidet sich Micro-KI von »normaler« KI?
Jetzt bräuchten wir zunächst mal eine allgemeingültige Definition von normaler KI. Tatsächlich wird KI in unterschiedlichen Bezugsgruppen unterschiedlich besetzt und wahrgenommen. Eine Definition habe ich ja schon angesprochen: Die allwissende, allmächtige Super-KI. Sie ist zurzeit noch Gegenstand der Forschung – und diverser Hollywood-Produktionen. Eine andere, häufig angeführte Meinung definiert KI als die Übernahme von Tätigkeiten, die zuvor von Menschen ausgeführt wurden, durch Computer. Damit wäre jede Form von Automatisierung und Digitalisierung, bei der Rechenwerke eingesetzt werden, schon KI.
Uns ist wichtig, deutlich zu machen, dass Unternehmen die Chancen der Automatisierung und Digitalisierung konsequent nutzen sollten. Wenn Sie schon Computer etwa zur Zustandsüberwachung und zur Umsetzung deterministischer Wenn-Dann-Logiken einsetzen oder auch wenn Sie noch ganz am Anfang stehen: Trauen Sie sich, gehen Sie den nächsten Schritt! Wichtig ist, dass Sie sich darüber klar werden, welche Aufgaben und Tätigkeiten in Ihrem Unternehmen anfallen. Der nächste Schritt ist, zu prüfen, welche dieser Tätigkeiten (zusätzlich) automatisiert werden können. Wie diese Automatisierung dann geschieht und ob Sie das am Ende des Tages KI nennen wollen, bleibt Ihnen überlassen.
Hat Synostik den Begriff Micro-KI geprägt oder handelt es sich um einen allgemein gängigen Begriff?
Wir haben den Begriff für uns definiert und verwenden ihn in diesem Kontext. Zum Zeitpunkt unserer Recherche haben wir im deutschsprachigen Raum keine anderweitige Verwendung gefunden. Es mag inzwischen andere Definitionen und Verwendungen geben, diese sind mir jedoch nicht bekannt.
Welche Möglichkeiten eröffnet Micro-KI in der Automatisierungstechnik?
Wenn Sie einen Überblick über die Teilbereiche und Tätigkeiten in Ihrem System haben, können Sie gezielt solche Teilbereiche auswählen, die sich für Techniken wie etwa Mustererkennung oder Machine-Learning eignen. Setzen Sie kleine Projekte auf, probieren Sie aus, sammeln Sie Erfahrungen und bauen Sie Vertrauen auf! Verstehen Sie Schritt für Schritt, wie Sie KI für sich einsetzen können! Die Investitionen können dabei überschaubar bleiben.
Welche konkreten Aufgaben kann Micro-KI in der Automatisierungstechnik übernehmen?
Bleiben wir beim Beispiel Zustandsüberwachung und Instandhaltung. Hier lassen sich Mustererkennungs-Algorithmen einsetzen, die in die Lage versetzt werden können, sich auf Basis von ebenfalls digital überwachten Ergebnissen eigenständig zu verbessern. Zusätzlich oder auch unabhängig davon können Expertensysteme oder Chatbots auf Basis des Wissensschatzes eines Unternehmens aufgebaut werden, die bei der Inbetriebnahme, Fehlersuche oder Störungsbehandlung unterstützen. Die Möglichkeiten sind unglaublich vielfältig.
Wie kann eine schrittweise Automatisierung mittels Micro-KI vor sich gehen?
Wir haben beispielsweise im Auftrag eines Kunden ein Expertensystem für ein komplexes Werkzeug zur Anwendung an einem Roboterkopf entwickelt. Ziel war es, den Menschen bei der Endkontrolle des Werkzeugs in der Produktion, bei der Inbetriebnahme und der Entstörung beim Endkunden zu unterstützen und so die Notwendigkeit herstellerseitigen Supports signifikant zu reduzieren. Wir haben zunächst auf Basis von Konstruktionsdokumenten und Experteninterviews einen Überblick über die Bauteile und Funktionen des Werkzeugs geschaffen. Anhand dieses Schaubilds haben wir mögliche Fehlerursachen und deren Auswirkungen zusammengetragen, bevor wir Algorithmen beschrieben haben, wie die Fehlerursachen erkannt und behandelt werden können.
Für die allermeisten dieser Algorithmen haben wir zunächst Schritt-für-Schritt-Anleitungen für die Menschen am Roboter hinterlegt. Einige der Algorithmen wie etwa die Erkennung von Verschleiß an bestimmten Bauteilen sind automatisierbar. Hierzu wird das Werkzeug mit entsprechender Sensorik ausgestattet und mit der Datensammlung begonnen. Mittels Mustererkennung lässt sich schließlich ermitteln, unter welchen Umweltbedingungen der Verschleiß wie schnell voranschreitet. Auf die gleiche Art und Weise können nach und nach weitere Algorithmen automatisiert und deren Ausführung an KI übertragen werden.