Kommentar

»It’s not the economy, stupid!«

22. Oktober 2018, 11:05 Uhr |
Ingo Kuss, Chefredakteur Markt&Technik
© Markt & Technik

Wer bei China nur auf wirtschaftliche Kenndaten wie den Exportüberschuss oder den gewaltigen Binnenmarkt schaut, übersieht eine wichtige Entwicklung, die langfristig für den Westen viel gefährlicher sein kann.

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Der vom US-Präsidenten Donald Trump vorangetriebene Handelskrieg mit China hat inzwischen deutliche Spuren an den Börsen weltweit hinterlassen und für zahllose Schlagzeilen gesorgt. Die Fokussierung auf diese vor allem mit Strafzöllen geführte Auseinandersetzung verengt allerdings den Blickwinkel fast ausschließlich auf die Außenhandelsbilanzen. Nun mehren sich die Stimmen, die darin auch deshalb einen strategischen Fehler sehen, weil Chinas eigentliche Stärke zukünftig vor allem in einem technologischen Vorsprung liegen könnte. Anders formuliert, in Anlehnung an einen alten Wahlkampf-Slogan von Bill Clinton: »It’s not the economy, stupid!«

Wissenschaftler der amerikanischen Notenbank etwa verweisen auf eine dramatische Entwicklung bei den Ausgaben für Forschung und Entwicklung. Noch liegen die USA mit einer Quote von 2,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts vor China mit 2,0 Prozent. Doch während der Wert in den Vereinigten Staaten über 20 Jahre fast unverändert blieb, hat er sich in China in diesem Zeitraum verzwanzigfacht. Bei Patentanmeldungen und wissenschaftlichen Veröffentlichungen hat das Reich der Mitte sogar schon jetzt die Nase vorn. Laut aktuellen Untersuchungen kommen von den 20 größten Technologiekonzernen inzwischen neun aus China und elf aus den USA. Zum Vergleich: Vor fünf Jahren waren es lediglich zwei aus China, aber bereits neun aus den USA. 

Als Ursache für diesen rasanten Wandel wird häufig die schiere Größe des chinesischen Markts genannt. Doch gerade bei neuen Technologien wie künstliche Intelligenz (KI) und Big Data spielen auch andere Faktoren eine Rolle. So gibt es etwa beim Datenschutz in China keine mit westlichen Ländern vergleichbaren Standards – was an Daten anfällt, wird in der Regel auch ausgewertet. Gerade bei selbstlernenden Systemen hängt die Qualität der Ergebnisse unmittelbar mit der Qualität des zum Training zur Verfügung stehenden Datenmaterials zusammen. Chinesische Entwickler können da aus dem Vollen schöpfen, selbst bei sensiblen personenbezogenen Daten. 

Hinzu kommt, dass in China Smartphone-Apps inzwischen viel stärker im Alltagsleben verankert sind, als dies im Westen der Fall ist. So hat sich selbst in ländlichen Regionen das bargeldlose Zahlen per App durchgesetzt. Auch die Vergabe von Arztterminen oder die Vermittlung von Kleinkrediten erfolgt auf diesem Wege. Dabei entstehen sehr komplexe und detailreiche Nutzerprofile, die wiederum die Grundlage für neue Geschäftsmodelle bilden können. Und natürlich auch ein perfektes Überwachungsinstrument darstellen. 

Trotz all dieser Gegensätze und des aktuell eher noch eskalierenden Handelsstreits setzt der ehemalige Präsident von Google China, Kai-Fu Lee, auf eine stärkere Kooperation zwischen den Kontrahenten. In seinem aktuellen Buch „AI Super-Powers: China, Silicon Valley, and the New World Order“ empfiehlt er, von den Stärken des anderen zu lernen: den visionären Erfindungen der USA einerseits und Chinas Schnelligkeit bei der Anwendung neuer Technologien andererseits. Doch so hochgelobt Lees Buch in den USA auch ist – die Wahrscheinlichkeit, dass Trump es liest, dürfte leider wohl verschwindend gering sein.

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