Wilma Kauke ist seit gut einem Jahr Global HR Director & Chief People Officer (CPO) LA EMEA bei Lapp. Zuvor war sie über 20 Jahre bei Bosch. Sie erklärt, was hinter der Kulturinitiative »One Lapp« steckt und wie ihr Unternehmen mit Talent-Sourcing den Fachkräftemangel stemmt.
Markt&Technik: Frau Kauke, mit Matthias Lapp hat die nächste Generation bei Lapp das Ruder übernommen. Welchen Einfluss hat das auf Ihren Bereich, das Personalmanagement?
Dr. Wilma Kauke: Unter anderem den, dass es auf Initiative von Matthias Lapp mit meiner Position nun auch personell eine Geschäftsführerin für Personalthemen gibt, die auch global alle HR-Themen verantwortet. Hier soll zukünftig zudem die explizite Verantwortung für die Kulturinitiative »One Lapp« liegen. Lapp soll als Global Player zusammenwachsen – Mitarbeiter, einheitliche Kultur und Organisation sind Themen, die Matthias Lapp schon in der Vergangenheit sehr am Herzen lagen und die er nun weiter vorantreibt. Dabei schauen wir nach Synergien und wie wir noch stärker miteinander arbeiten und uns gegenseitig unterstützen.
Ein hervorragendes Beispiel den internationalen Teamgedanken voranzutreiben, ist unser jährliches Fußballturnier, bei dem sich die Mitarbeitenden aus aller Welt an einem Lapp-Standort treffen. In diesem Jahr war das in Helsinki. Da trifft zum Beispiel der Lagermitarbeiter aus Singapur auf die Führungskraft aus Mexiko und spielen Fußball oder Volleyball miteinander. Der Sport schweißt uns als Teams in den einzelnen Ländern zusammen, schon in der Vorbereitungsphase. Bonding ist wichtig, gerade nach Corona. Unsere Mitarbeiter trainieren auf dieses Event hin, jeder will sein Bestes für sein Team geben, quer durch alle Funktionen. Das stärkt das Zusammengehörigkeitsgefühl und dass wir bei Lapp wie eine große Familie sind – eben »One Lapp«. Wenn man die Kollegen auf einer persönlichen Ebene gut kennt, dann klappt es auch gut auf der professionellen. Und natürlich hat »One Lapp« weitere Vorteile, etwa für das globale Employer-Branding. Aber auch für die Produktentwicklung oder die Kundenansprache. Der internationale Blick ist nützlich.
In Ihrer Position, die neu entstanden ist, sind Sie Mitglied der Geschäftsleitung. Das gab es so bei Lapp vorher nicht.
Ja, in dieser strategischen Positionierung gab es die Stelle vorher nicht. Ich bin global verantwortlich für das Thema People und Organisation und sehe mich dazu ein Stück weit als Drehscheibe in die restliche Geschäftsführung, aber auch zwischen Business und HR. Man muss nicht immer von der Zentrale heraus Programme entwickeln, sondern kann und soll auch von anderen Standorten lernen. Dadurch werden wir schneller und verhindern, dass wir das Rad neu erfinden. Wir nennen das Co-Creation, also gemeinsam im Netzwerk Dinge gestalten für das Unternehmen und das Business.
Sie waren lange Jahre bei Bosch. Hat es ein großer Brand einfacher, als Arbeitgeber auf sich aufmerksam zu machen?
Bosch ist sicher ein großartiger Arbeitgeber, und ich kann von dort das eine oder andere vielleicht mitnehmen. Aber Lapp hat seine eigenen USPs und ist sehr attraktiv. Copy-Paste macht gar keinen Sinn. Beide sind keine DAX- , sondern Familienunternehmen, wodurch sie langfristiger planen können. Bei Lapp ist die Familie noch ganz aktiv, bei Bosch eher im Hintergrund. Die starke Werteorientierung und der Wunsch, nachhaltig zu wirken, sind weitere Gemeinsamkeiten.
Beide sind sehr wertegeprägte deutsche Unternehmen. Es zieht Mitarbeitende an, dass man eben nicht nur profit- und Shareholdergetrieben ist, sondern dass bei Familienunternehmen die gesellschaftliche Verantwortung eine große Rolle spielt und dass die Menschen doch ein bisschen mehr im Mittelpunkt stehen als woanders. Lapp ist auf Verbindungslösungen spezialisiert und zeigt einen starken Pragmatismus, was ich sehr schön finde. Und wir wachsen personell auch stark.
Haben Sie aktuelle Zahlen dafür?
2017 hatten wir noch 3700 Mitarbeitende weltweit, heute beschäftigt Lapp weit über 5000. Temporäre Arbeitsverhältnisse einbezogen sind es sogar fast 6000. Die Durchlässigkeit zwischen den einzelnen Funktionen bei Lapp ist dabei bewusst hoch, und man hat ganz viel Gestaltungsspielraum. Vorausdenken und Umsetzen sind dabei entscheidende Stichworte. Zusätzlich zur sozialen Verantwortung und das Kümmern um die eigene Belegschaft ist das eine ganz große Stärke von Lapp.
Welche Stellen sind gerade schwierig zu besetzen?
In Deutschland haben wir im Moment rund 30 Stellen frei. Wir suchen freilich nicht nur Ingenieure. Wir suchen auch Leute für die Logistik, für die Kabelproduktion oder für das Lager und haben inzwischen nicht mehr nur Fach-, sondern Arbeitskräftemangel – und das weltweit. Dieser Mangel hat eine neue Qualität. Das einzige Land, wo wir im Moment kein Problem damit haben, ist Tschechien. Das bedeutet für uns, dass wir viel Wert auf Qualifizierung legen. Kabelproduktion ist hochkomplex, man muss gut geschult sein.
Neben der Mitarbeitergewinnung ist daher für mich besonders das Halten von Mitarbeitern mindestens genauso wichtig. Wen wir einmal gewonnen haben, den wollen wir auch halten. Das gilt natürlich auch für den angelernten Bereich. Bonding ist bei uns ein großes Thema, und wir haben das bei Lapp ganz gut im Griff. Für mich ist das ein eindeutiges Zeichen, dass unsere Kultur gut ist und die Chancen, sich innerhalb von Lapp zu entwickeln, offensichtlich auch positiv gesehen werden.
Natürlich suchen wir auch im IT-Bereich. Digitalisierung spielt eine riesige Rolle. Dazu Ingenieure, die sich mit dem Thema Kabelherstellung gut auskennen. Und auch im Sales suchen wir immer wieder technisch fitte Leute, die sich in den Kunden reinversetzen können und ihm technische Lösungen für sein Problem oder Anliegen anbieten.
Wie wollen Sie Menschen für Lapp gewinnen?
Also offenbar sind wir attraktiv, wir haben zumindest auch eine Menge Rückkehrer – ehemalige Mitarbeiter, die sich woanders ausprobieren wollten und erkennen, dass das Gras auf der anderen Seite doch nicht grüner ist. Wir versuchen deshalb prinzipiell, in gutem Kontakt zu bleiben, und führen Gespräche, ob und wie wir ihn oder sie halten können. Und wenn wir das nicht können, dann lassen wir möglichst die Tür offen.
Zusätzlich haben wir unsere Ausbildung inklusive dualem Studium verdoppelt, das kostet ja erstmal was und das macht auch nicht jeder. Unsere Azubis können auch ins Ausland, und viele nehmen das auch wahr. Wer bei uns lernt, bleibt in der Regel sehr gerne.
Generell ist es unser Anspruch, technische Expertise möglichst selbst heran- und weiterzubilden. Wir halten nicht an starren, funktionalen Laufbahnen fest. Querwechsel sind bei uns möglich, weil wir den Menschen prinzipiell zutrauen, dass sie auch neue Herausforderungen meistern können und lebenslang lernen.
Zusätzlich bieten wir attraktive Sonderleistungen. Wir haben zum Beispiel in Deutschland ein sogenanntes Cafeteria-Modell. Je nach Lebensphase kann unser Mitarbeiter aus diesen Zusatzleistungen auswählen. Das kann der Kita-Platz sein, das Job-Fahrrad oder zusätzlicher Urlaub. Man kann in seine Altersvorsorge einzahlen oder unsere Sportangebote nutzen. Die Auswahl ist groß und jeder bekommt einen bestimmten Betrag monatlich, den er nach Belieben und Bedarf einsetzen kann.
Das Innovative daran ist, dass Mitarbeitende auf keine vorgefertigten Programme zugreifen müssen, sondern individuell wählen können, was sie brauchen. Das wird auch sehr geschätzt. Ich bin der Meinung, dass solche intelligenten Nebenleistungen wichtiger sein können als eine Gehaltserhöhung.
Azubis können während der Ausbildung schon ins Ausland gehen?
Ja. Während der Pandemie war es natürlich ein bisschen schwieriger, aber jetzt geht es wieder. Und wir bieten natürlich verschiedene Arbeitszeitmodelle an. Teilzeit, Vollzeit, virtuell – wir nennen das Work-Type und unterscheiden vier verschiedene: vom Nomaden, der komplett virtuell arbeitet, bis zu Modellen, die mehr oder weniger im Homeoffice oder vor Ort sind. Wichtig sind uns Teamtage, in denen die Teams gemeinsam vor Ort arbeiten und so auch den Zusammenhalt stärken. Wir nutzen diverse Apps wie eine Parkplatz-App und wollen diese auch ausbauen.
Sie haben erwähnt, dass Sie in Tschechien keinen Fachkräftemangel haben. Woran liegt das?
Das Team hat dort sehr gute Lösungen entwickelt. Lapp ist zudem eine gute und sehr bekannte Marke in dem Ort, in dem wir in Tschechien agieren. Sie haben beispielsweise einen Kindergarten eröffnet, was in Tschechien eine wichtige Nebenleistung ist, da oft beide Eltern arbeiten. Die Lapp-Niederlassung in Tschechien hat keine Probleme, Mitarbeiter zu finden. In Deutschland bekommen wir die Leute, die wir benötigen, aber es ist nicht so, dass »Post and Pray« hilft. Der Fachkräftemangel wird uns weiter begleiten. Ingenieure haben gute Chancen, aber wir müssen aktiv in den sozialen Medien suchen, Hochschulmarketing betreiben und verschiedene Zielgruppen ansprechen. Neben den üblichen Methoden setzen wir auf Active Sourcing, Kanäle in den sozialen Medien, und erweitern unser Hochschulmarketing. Wir planen, ein MINT-Promotionsstipendium für Frauen anzubieten. Kooperationen mit verschiedenen Organisationen, darunter auch solche für Menschen mit Behinderungen, sind Teil unserer Strategie.
Als wie gravierend schätzen Sie den Fachkräftemangel ein?
Ich denke, dass wir mit den Themen Digitalisierung, Automatisierung und künstliche Intelligenz dem Arbeits- und Fachkräftemangel entgegenwirken können. Aber – bei aller Euphorie – nur Schritt für Schritt und grob geschätzt nennenswert frühestens in 10 Jahren.
Der demografische Wandel ist eine Herausforderung. In den nächsten Jahren wird der Mangel bestehen bleiben, aber wir investieren in verschiedene Strategien, um Talente zu gewinnen. Wir schauen auch über die Grenzen Deutschlands hinaus und prüfen, ob es sinnvoll ist, Hubs im Ausland zu etablieren, wenn die Talente dort zu finden sind.
Bis dahin müssen wir auch kreativ sein, wie z. B. unsere Niederlassung in der Schweiz. Dort gibt es eine Kooperation mit einem Sportgymnasium und eine spezielle Ausbildung für Leistungssportler, darunter ein Fußballer vom FC Zürich und eine Schwimmerin, die an Olympia teilnehmen wird. Beide machen eine Ausbildung bei Lapp in der Schweiz, und Lapp organisiert den Stundenplan so, dass sie ihre sportlichen Aktivitäten zeitlich unterkriegen. Den Gedanken hinter der Kooperation finde ich sehr smart. Das sind sehr organisierte, leistungsbereite Menschen, die wir potenziell für Lapp gewinnen. Von Lapp Swiss zu lernen entspricht ganz dem Gedanken von »One Lapp«, dass wir so voneinander lernen.
Gibt es spezielle Initiativen, um mehr Frauen für technische Berufe zu gewinnen?
Ja, wir setzen auf gezieltes Personalmarketing und zum Beispiel ein spezifisches Stipendium für MINT-Frauen. Wir sind bereits im Austausch mit Studierenden von diversen Hochschulen und Universitäten. Und wir beziehen den Aspekt der Nachhaltigkeit und gesellschaftlichen Verantwortung stärker ein, weil das gerade für die junge Generation und besonders auch weibliche Nachwuchskräfte von hohem Wert ist. Wir wollen zeigen, dass technisch anspruchsvolle Lösungen nicht nur interessant für Männer sind. Wir suchen zudem nach Wegen, Technik schon in den Schulen als etwas Spannendes zu präsentieren, und streben eine breite Zusammenarbeit mit verschiedenen Schulen an.
Wir suchen darüber hinaus nicht nur im eigenen Land nach Lösungen, sondern denken global und lernen von anderen Standorten, auch dies ganz im Sinne von »One Lapp«. Es geht darum, die Ressourcen dort zu nutzen, wo sie verfügbar sind, und gleichzeitig wettbewerbsfähig zu bleiben. Kooperationen, auch mit unkonventionellen Zielgruppen, können innovative Lösungen hervorbringen. Das Ziel ist, eine Win-Win-Situation zu schaffen.