Eines der kritischen Themen der Landwirtschaft ist ja das Thema Trinkwassergefährdung durch Überdüngung. Sehen Sie hier eine elegante Möglichkeit, dieses Thema mit neuer Technologie zu entschärfen?
Das ist nicht nur elegant, es hat klar nachweisbare Vorteile. Vertical Farming reduziert den Einsatz von Frischwasser etwa zur Gemüse- oder Obstproduktion um 95 Prozent! Wir sprechen hier über eine kontrollierte Umgebung, die fast an einfache Reinräume erinnert. Zudem sind das geschlossene Systeme, eine Grundwassergefährdung ist also ausgeschlossen. Und dank der kontrollierten »Rein«-Raum-Umgebung können Sie auf den Einsatz von Pestiziden verzichten, ein weiterer entscheidender Vorteil von Vertical Farming.
Sie haben ja zum Thema Landwirtschaft der Zukunft auf verschiedenen öffentlichen Veranstaltungen gesprochen und Ihre Pläne dargestellt. Wie waren die Reaktionen darauf? Überwiegt die Zustimmung oder die Kritik?
Technischer Fortschritt hat immer Zweifler hervorgebracht. In diesem Fall sind es aber nach meiner Erfahrung weniger die Bauern, die sind vielmehr technikaffiner als manche ihrer Kunden. Ich denke aber, das Grundproblem liegt darin, dass die Menschen noch zu wenig über diese neue Entwicklung wissen, und das fördert wie immer Vorurteile. Was ist schließlich gegen ein voll biologisch und sauber erzeugtes Lebensmittel einzuwenden? Ich denke, Bedeutung gewinnen wird in diesem ganzen Umfeld vor dem Hintergrund der jüngsten Entwicklungen das Thema Energiepreise. Aber dann muss man ehrlich sein und transparent darstellen, was die wirklichen Kosten für ein Produkt von »Seed to Plate« sind. Und letztlich geht es bei Neuerungen wie dem Vertical Farming ja gerade darum, Energie, Ressourcen und Land zu sparen.
Sehen Sie auf der Grünen Woche 2023 in Berlin, dem internationalen Forum für landwirtschaftliche Ernährungsfragen und -trends, die Entwicklung einer hochautomatisierten, technisierten und industrialisierten Lebensmittelerzeugung repräsentiert?
Dass gesunde biologische Nahrungsmittel ganz ohne Erde bei künstlicher Beleuchtung wachsen können, ist eine Erkenntnis, die sich erst langsam durchsetzt. Das spiegelt sich auch auf der Grünen Woche wider. Genauso wichtig wie die Optimierung der Technik im Vertical Farming wird darum in Zukunft die Aufklärung des Konsumenten sein.
Das Bild, das der Konsument von der Landwirtschafts- und Ernährungsmittelbranche hat, bewegt sich irgendwo zwischen bäuerlicher Idylle und den Schlachtbetrieben des Herrn Tönnies. Wie werden Konsumenten nach Ihrer Einschätzung Landwirtschaft und Ernährungsmittelbranche in 10, 20 Jahren wahrnehmen?
Bäuerliche Idylle ist genau das, was es ist – eine Idylle, die es in dieser verklärten Form so auch nie gegeben hat. Man muss sich auch über die Kosten im Klaren sein, die solch eine idyllische Landwirtschaft letztlich für den Endverbraucher mit sich bringen würde. Das werden sich nur noch die Wenigsten leisten können. Sie sehen ja jetzt schon, wie stark vor dem Hintergrund der gestiegenen Inflation die Umsatzeinbrüche bei den Bio-Läden waren. Die Leute kaufen zwar noch Bio, aber eben beim Discounter. Aus meiner Sicht spricht deshalb viel für eine Zukunft der Landwirtschaft unter kontrollierten Umgebungsbedingungen, im Englischen Controlled Environment Agriculture, kurz: CEA-Farms, genannt.
Lebens- und Nahrungsmittelerzeugung mithilfe massiven Elektronikeinsatzes – ist das nach Ihren Erfahrungen bislang vor allem ein Thema der westlichen Industrienationen?
Vertical Farming erfordert viel Grundlagenforschung und hohe Investitionen, das werden kurz- und mittelfristig nur hochentwickelte Industrienationen leisten können – im Westen wie im Osten. Die neuen Anbaumethoden werden vor allem dort vorangetrieben, wo ausreichend Kapital und Know-how zur Verfügung steht – und wo es heute schon an Anbauflächen mangelt. Wie in jeder innovativen Spitzentechnologie müssen Hochtechnologieländer wie Deutschland auch im Vertical Farming bei der Entwicklung vorangehen. Aber die Erkenntnisse und Erfahrungen, die wir heute sammeln, werden in Zukunft genauso den Schwellen- und Entwicklungsländern zugutekommen müssen. Denn hier wächst die Bevölkerung am schnellsten, hier gilt es, Anbauflächen zu begrenzen, um wertvolle Biotope zu schonen.
Auf manchen Märkten, etwa im Schuh- und Bekleidungsbereich, streben Hersteller zukünftig eine Serie-1-Produktion an, also kundenspezifische Produkte für einzelne Konsumenten. Wäre das perspektivisch auch im Nahrungsmittelbereich möglich?
Auf jeden Fall! Durch optimierte LED-Beleuchtung lässt sich ja nicht nur die Wachstumsgeschwindigkeit beeinflussen. Wir können auch die Nährstoffe einer Pflanze gezielt variieren. Im konventionellen Anbau bleibt vieles dem Zufall überlassen, zum Beispiel beim Wetter oder bei der Bodenbeschaffenheit. Im Vertical Farming mit LED dagegen kann man sämtliche Wachstumsfaktoren exakt kontrollieren, auch die Zuführung von Düngemitteln. In diesem Bereich wird viel geforscht – auch mit unserer Unterstützung. Für die Zukunft wäre es also durchaus denkbar, Lebensmittel genau auf die spezifischen Bedürfnisse und Anforderungen des jeweiligen Abnehmers auszurichten.
Ein Vorwurf, der erhoben wird, lautet: Diese Art hochtechnisierter Landwirtschaft wird neue Investoren auf den Markt bringen, die die Bedeutung der traditionellen Landwirtschaft marginalisieren könnten. Sehen Sie diese Gefahr und, wenn ja, wie ließe sich das verhindern?
Ich weiß nicht, ob sich ein Hedge-Fond sechs bis acht Jahre Zeit nehmen würde, um strategisch in ein neues Betätigungsfeld einzusteigen. Aber ich gehe heute davon aus, dass diejenigen, die sich heute dem Thema widmen, in sechs bis acht Jahren in einem sehr großen, globalen Markt aktiv sein werden! Wir nähern uns oder sind schon an einem Tipping-Point, an dem wir mit den Methoden der klassischen Landwirtschaft die anstehenden Herausforderungen nicht mehr lösen können. Und vielleicht führt diese neue Entwicklung ja auch zu so etwas wie Erzeugergemeinschaften – das wäre ein persönlicher Traum von mir.