Wie wichtig ist es, die Spannungsqualität in modernen Stromversorgungsinfrastrukturen zu messen? Welche Anwendungen stehen im Fokus? Was besagt die entsprechende IEC-Norm? Und was sind die wichtigsten Unterschiede zwischen Spannungsqualitätsmessgeräten der Klassen A und S? Hier kommen die Antworten.
Von Jose Mendia, Analog Devices
Wechselnde Arten der Stromerzeugung und dynamische Verbrauchsprofile haben dafür gesorgt, dass die Spannungsqualität wieder vermehrt in das Blickfeld gerückt ist. Infolge der nie zuvor dagewesenen Zunahme erneuerbarer Energiequellen mit unterschiedlichen Spannungen ist auch die Häufigkeit von Spannungsqualitätsproblemen gewachsen. Einen erheblichen Wandel gab es auch bei den Verbrauchsmustern, was auf die unsynchronisierten Lasten an mehreren Zugangspunkten im Netz und auf deren unterschiedliche Spannungen zurückzuführen ist.
Man denke nur an die Ladepunkte für Elektrofahrzeuge (EVs), die einige hundert Kilowatt benötigen können, sowie an die große Zahl von Rechenzentren mit ihrem Bedarf an Heizung, Lüftung und Kühlung. In der Industrie sorgen Lichtbogenöfen, Antriebe mit Frequenzumrichter, geschaltete Transformatoren usw. nicht nur für erhebliche Netzrückwirkungen (Oberschwingungen), sondern erzeugen auch Spannungseinbrüche und -anstiege, kurzzeitige Spannungsabfälle und Flicker (Bild 1).
Im Kontext der Energieversorgung versteht man unter der Spannungsqualität die Güte der beim Kunden ankommenden Spannung, wobei die Qualität anhand einer Reihe von Vorschriften für Betrag, Phasenlage und Frequenz bestimmt wird. Per Definition sind hier sowohl die Spannung als auch der Strom gemeint. Während sich aber die Spannung erzeugerseitig relativ leicht regeln lässt, richtet sich die Stromstärke großteils nach der Abnahme durch den Kunden. Abhängig von den jeweiligen Endverbrauchern ist das Konzept der Spannungsqualität deshalb ebenso vielschichtig wie die sich daraus ergebenden Konsequenzen.
Die wirtschaftlichen Folgewirkungen unzureichender Spannungsqualität wurden in den letzten Jahren intensiv untersucht und belaufen sich Schätzungen zufolge weltweit auf einige Milliarden US-Dollar [1]. Sämtliche Studien kommen zu dem Schluss, dass die Überwachung der Spannungsqualität direkte Auswirkungen auf die wirtschaftlichen Ergebnisse zahlreicher Branchen hat. Dass sich eine schlechte Spannungsqualität negativ auf die Wirtschaftlichkeit von Unternehmen auswirkt, steht außer Zweifel. Sie aber in großem Stil effizient und effektiv zu überwachen, ist eine keineswegs leichte Aufgabe. Um die Spannungsqualität in einer Anlage zu überwachen, wird neben hochqualifiziertem Personal auch kostspieliges Equipment benötigt, das über lange und unbestimmte Zeiträume hinweg an mehreren Punkten des elektrischen Systems installiert werden muss.
Das Überwachen der Spannungsqualität wird in einigen Geschäftsfeldern als reine Kostensenkungsstrategie betrachtet, während sie in anderen Bereichen als unerlässlich gilt. Wie aus Bild 2 hervorgeht, kann es in einer breiten Palette elektrischer Infrastrukturen zu Problemen mit der Spannungsqualität kommen. Weiter unten wird noch genauer darauf eingegangen, dass das Überwachen der Spannungsqualität in bestimmten Bereichen immer kritischer wird – so zum Beispiel bei der Erzeugung und Verteilung elektrischer Energie, beim Laden von Elektrofahrzeugen, in Fabriken und in Rechenzentren.
Übertragung und Verteilung von Elektrizität
Energieversorgungs-Unternehmen (EVUs) versorgen ihre Kunden über ihre Verteilnetze. Dazu gehören Umspannwerke, aus denen die Elektrizität per Überlandleitung an die Abnehmer gelangt. Die Spannungen dieser Überlandleitungen werden in den Umspannwerken durch geeignete Transformatoren herabgesetzt, durch die jedoch Oberschwingungen (Harmonische) und Zwischenharmonische in das Netz gelangen.
Oberschwingungsströme in Verteilsystemen können nicht nur zu harmonischen Verzerrungen, einer Reduzierung des Leistungsfaktors und zusätzlichen Verlusten führen, sondern auch eine Überhitzung elektrischer Anlagen verursachen, was deren Lebensdauer beeinträchtigt und den Kostenaufwand für die Kühlung erhöht [2].
Nichtlineare einphasige Verbraucher, die von solchen Umspannwerken versorgt werden, können die Wellenform des Stroms verändern, und die Schieflast durch nichtlineare Verbraucher hat erhöhte Verluste in den Transformatoren, eine höhere Belastung der Neutralleiter, ein unerwartetes Ansprechen von Schwachstrom-Trennschaltern sowie Fehlmessungen des Elektrizitätsverbrauchs zur Folge [3]. Bild 3 illustriert die Konsequenzen nichtlinearer Lasten.
Auch die Elektrizitätserzeugung durch Windkraft- und Photovoltaik-Anlagen (PV) kann Probleme mit der Spannungsqualität hervorrufen. Bei Windkraftanlagen etwa kann die schwankende Windstärke zu Oberschwingungen und kurzzeitigen Spannungsschwankungen führen [4]. Die von PV-Wechselrichtern erzeugten Störgrößen wiederum können Spannungsspitzen, Oberschwingungen und hochfrequente Störungen generieren, da in diesen Geräten üblicherweise mit hohen Schaltfrequenzen gearbeitet wird, um den Wirkungsgrad zu steigern.
Ladepunkte für Electric Vehicles
Bei EV-Ladegeräten können sich hinsichtlich der Spannungsqualität mehrere Herausforderungen ergeben und zwar sowohl beim Übertragen von Energie in das Netz als auch beim Bezug von Energie (Bild 4).
Aus der Sicht des Energieversorgers bewirken die in EV-Ladepunkten enthaltenen, auf Leistungselektronik basierenden Umrichter den Eintrag von Harmonischen und Zwischenharmonischen. Ladegeräte mit mangelhaft entwickelten Leistungswandlern können sogar Gleichströme in das Netz einspeisen, und Schnelllader verursachen möglicherweise schnelle Spannungsschwankungen und Flicker. Aus Sicht der Ladepunkte können Fehler in den Übertragungs- und Verteilsystemen zum Auftreten von Einbrüchen oder Totalausfällen der Netzspannung führen. Sinkt die Spannung unter die Mindestspannung des EV-Ladegeräts ab, kann dies ein Ansprechen des Unterspannungsschutzes und das Trennen der Netzverbindung zur Folge haben, was der Nutzererfahrung äußerst abträglich ist [5].
Fabriken
Spannungsqualitätsprobleme, die beispielsweise durch Schwankungen und Störungen entstehen, verursachen in US-amerikanischen Industriebetrieben Kosten in Höhe von rund 119 Mrd. US-Dollar pro Jahr, wie einem Bericht des EPRI (Electric Power Research Institute) zu entnehmen ist [6]. Das European Copper Institute berichtet außerdem, dass sich die jährlichen finanziellen Einbußen durch unterschiedliche Probleme mit der Spannungsqualität in 25 EU-Staaten auf 160 Mrd. US-Dollar belaufen [7]. Diese Zahlen beziehen sich auf Ausfallzeiten und Produktionseinbußen sowie den Gegenwert der Verluste an intellektueller Produktivität [8].
Beeinträchtigungen der Spannungsqualität sind meist auf intermittierende Lasten und Lastschwankungen durch Lichtbogenöfen und Industriemotoren zurückzuführen. Derartige Störeinflüsse führen zu Spannungseinbrüchen und -anstiegen, Oberschwingungen, Unterbrechungen der Spannungsversorgung, Flicker und Signalspannungen [9]. Um solche Störungen in einer Fabrikanlage zu erkennen und aufzuzeichnen, müssen die Einrichtungen zur Überwachung der Spannungsqualität an mehreren Stellen der elektrischen Installation, oder besser noch an jedem Verbraucher installiert werden. Mit der Einführung neuer Industrie-4.0-Techniken lässt sich die Überwachung der Spannungsqualität für jeden Verbraucher mit industriellen Schalttafel-Messgeräten oder Nebenzählern umsetzen, um ein umfassendes Bild zu erhalten.
Rechenzentren
Die meisten geschäftlichen Aktivitäten hängen heute in der einen oder anderen Form von Rechenzentren ab – E-Mail-Versand, Datenspeicherung, Cloud-Dienste usw. sind nur wenige Beispiele. Diese Rechenzentren aber erfordern ein hohes Maß an sauberer, zuverlässiger und ununterbrochen verfügbarer elektrischer Energie. Kompetenz bei der Überwachung der Spannungsqualität hilft in diesem Fall, teure Stromausfälle zu vermeiden und die Instandhaltung bzw. den Austausch von Equipment infolge von Problemen in den Power Supply Units (PSUs) zu koordinieren. Die Integration unterbrechungsfreier Stromversorgungen (USVs) in die PDU-Gestelle (Power Distribution Units) ist ein weiterer Beweggrund, die Spannungsqualitätsüberwachung in die IT-Anlagen dieser Rechenzentren einzubinden, da es hierdurch möglich wird, etwaige Probleme für jeden Ausgang einzeln aufzudecken.
Ausfälle von USV-Systemen einschließlich der darin enthaltenen Batterien sind die wichtigste Ursache von Stromausfällen in Rechenzentren, wie einem Report von Emerson Network Power zu entnehmen ist [10]. Etwa ein Drittel der gemeldeten Stromausfälle kostet die Unternehmen nahezu 250.000 US-Dollar [11]. In jedem Rechenzentrum dienen USV-Systeme dazu, eine störungs- und unterbrechungsfreie Stromversorgung zu gewährleisten. Diese Systeme bewirken zwar, dass der Großteil der EVU-seitigen Stromversorgungsprobleme abgekoppelt bzw. abgemildert wird, jedoch wird kein Schutz vor Problemen geboten, die durch die PSUs (Power Supply Unit) des IT-Equipments selbst generiert werden. Diese PSUs sind ihrerseits nichtlineare Lasten, die neben Oberschwingungen weitere Probleme heraufbeschwören können, weshalb unter Umständen leistungsfähige Kühlsysteme mit drehzahlgeregelten Lüftern erforderlich sind. Abgesehen davon können PSUs mit unterschiedlichsten Störbeeinflussungen konfrontiert werden, zu denen Spannungstransienten, Stoßspannungen, Spannungsanstiege, -einbrüche und -spitzen sowie Schieflasten, Lastschwankungen, Frequenzvariationen gehören, von einer mangelhaften Erdung von Anlagen ganz abgesehen.