Medizintechnik-Report 2013

Gesundheit unter Druck

14. Oktober 2013, 14:48 Uhr | Marcel Consée

Die Medizintechnik-Branche befindet sich in einem tiefgreifenden Veränderungsprozess: Diesseits wie jenseits des Atlantik schrumpfen die Budgets für das Gesundheitswesen, staatliche Zulassungsbehörden legen immer strengere Maßstäbe für das Kosten-Nutzen-Verhältnis medizinischer Leistungen fest. Die Krankenversicherungen als Kostenträger geben diesen Druck im System weiter an die Hersteller von Medizintechnik: Neue medizintechnische Produkte müssen Patienten und Kostenträgern einen klaren Mehrwert bringen, um sich auf dem Markt behaupten zu können. Dieser Mehrwert muss über reine technische Verbesserungen weit hinausgehen.

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Die Folge: Medizintechnik-Unternehmen müssen an neuen Geschäftsmodellen arbeiten. So wollen sie sich in den veränderten Wertschöpfungsketten des Gesundheitssystems nicht länger als reine Technik-Lieferanten positionieren, sondern streben eine Stellung als ganzheitliche Dienstleister an. Diese Umstellung birgt die Chance, neue Märkte und damit Umsatzpotenziale zu erschließen, ist aber gleichzeitig ein finanzieller wie auch operativer Kraftakt für die Unternehmen: Umsatz- und Gewinnwachstum verharren derzeit auf Vorkrisenniveau. Kapital für die nötigen Innovationen, um die Umstellung zu bewältigen, wird zunehmend knapp – insbesondere für kleine und junge Unternehmen. Zu diesen Ergebnissen kommt der »Medizintechnik-Report 2013« der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft Ernst & Young (EY).

»Die Ergebnisse unserer aktuellen Studie zeigen, dass sich die Medizintechnik-Branche derzeit an einem kritischen Punkt befindet«, sagt Siegfried Bialojan, Leiter des EY-Life-Science-Kompetenzzentrums in Mannheim. Der Umsatz börsennotierter Medizintechnik-Unternehmen in den USA und in der EU betrug im Jahr 2012 insgesamt knapp 340 Milliarden US-Dollar. Das entspricht einem Wachstum von zwei Prozent gegenüber dem Umsatz des Jahres. In den Vorjahren war das Wachstum mit vier beziehungsweise sechs Prozent noch deutlich stärker ausgefallen.

Bei den börsennotierten Medizintechnik-Unternehmen in der EU fielen die Wachstumswerte 2012 noch deutlich positiver aus als in den USA. Die Unternehmen konnten bei einer Umsatzsteigerung von zwei Prozent ihren Reingewinn um zehn Prozent steigern. Anlass zur Euphorie bieten diese Zahlen indes nicht. Zum einen ist die Performance innerhalb Europas ungleich verteilt: Deutsche Medizintechnik-Unternehmen legten einen Gewinnsprung um neun Prozent auf insgesamt 1,349 Milliarden Dollar hin, während bei der Konkurrenz im Nachbarland Frankreich die Gewinne um fünf Prozent auf 847 Milliarden Dollar schrumpften. Und: »Sowohl in den USA als auch in der EU liegen Umsätze und Gewinne der Branche weiter deutlich unter Vorkrisenniveau«, sagt Bialojan.

Sorge bereitet vor allem eine Entwicklung, die auf beiden Seiten des Atlantiks zu beobachten ist: Das gebremste Umsatzwachstum schlägt sich zunehmend in sinkenden Budgets für Forschung und Entwicklung nieder. »Verantwortlich für diesen Trend sind vor allem schwierigere Finanzierungsbedingungen«, sagt Heinrich Christen, Medical Devices Industry Leader bei EY in Europa, Mittlerer Osten, Indien und Afrika (EMEIA). Kapitalgeber seien verunsichert – kein Wunder angesichts der Unsicherheiten am Markt durch Budgetkürzungen und strengere Zulassungskriterien. Zwischen Juli 2012 und Juni 2013 erhielt die Branche daher 21 Prozent weniger Venture Capital als im Vorjahreszeitraum. Mit 3,5 Milliarden Dollar ist die Summe des zur Verfügung stehenden Risikokapitals derzeit so niedrig wie seit einem Jahrzehnt nicht mehr. Insgesamt nahm die Branche 29,5 Milliarden US-Dollar Kapital auf, die Gesamtsumme blieb damit im Vergleich zum  Vorjahr nahezu unverändert. Jedoch entfielen 82 Prozent des Kapitals auf einige wenige Branchenführer, die das Kapital wiederum vor allem zur Refinanzierung bestehender Schulden einsetzten.

»Es fehlt vor allem Innovationskapital für Startups und kleinere Unternehmen«, sagt Christen. Das gelte insbesondere in Europa, wo die Versorgung mit Risikokapital traditionell schlechter sei als in den USA. »Die einzige Hoffnung für viele kleinere Unternehmen, die ihre Produkte bis zur Marktreife bringen wollen, ist die Übernahme durch einen der großen Player.«

Nicht nur für solche Übernahmechancen sollten die großen Konzerne nun Kapital bereithalten, rät Christen: »Alle Unternehmen der Branche müssen sich die Frage stellen, wie sie ihre Innovationskraft aufrechterhalten. Sie stehen vor der Herausforderung, sich auf die veränderten Rahmenbedingungen einzustellen und wieder einen Wachstumspfad einzuschlagen.«

Für Unternehmen diesseits wie jenseits des Atlantiks gelten in dieser Situation dieselben Handlungsempfehlungen: »Mit innovativer Technik allein können sich Medizintechnik-Unternehmen auf Dauer nicht mehr behaupten«, sagt Christen. »Für die Branche ist es zu diesem kritischen Zeitpunkt entscheidend, innovative Geschäftsmodelle zu entwickeln, statt auf reine technische Verbesserungen ihrer Produkte zu setzen.«

Medizintechnik-Unternehmen müssten dazu über ihr übliches Produktportfolio hinausgehende Lösungs- und Dienstleistungspakete schnüren. Um diese Umstellung hin zu einer neuen Rolle im Gesundheitssystem zu meistern, müssen Unternehmen vor allem umfassende Analyseverfahren entwickeln, damit sie die veränderten Wertschöpfungsketten im Gesundheitswesen besser verstehen und nutzen können. »Die Budgets für Forschung und Entwicklung sind angesichts stagnierender Umsätze begrenzt. Umso gezielter müssen jetzt Investitionen auf neue Wachstumsmärkte ausgerichtet werden«, so Christen.


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