Mobiles Sehtestgerät auf COM-Express-mini-Basis

Systementwicklung mit Weitsicht

17. April 2013, 10:53 Uhr | von Adrian Bertl und Gerhard Szczuka
© Kontron

Für die Entwicklung des mobilen Sehtestgeräts »Optovist« wurde eine Embedded-Computing-Plattform gesucht, die hohe Rechenleistung mit Funktionsvielfalt auf möglichst kleiner Fläche verbindet und zudem zwei Displays unterstützt. Die Wahl fiel auf den COM-Express-Standard im scheckkartenformatgroßen Formfaktor »mini«.

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Vor allem im Beruf und im Straßenverkehr ist korrektes Sehen enorm wichtig. Daher bestehen allgemein anerkannte Vorgaben wie etwa die berufsgenossenschaftlichen Grundsätze »G25« und »G37«. Diese regeln, wann, wie und wie oft Arbeitnehmer ihr Sehvermögen testen lassen sollen; entweder um die Eignung für die Tätigkeit zu überprüfen, beispielsweise bei Piloten oder Kraftfahrern, oder um eine etwaige Fehlsichtigkeit oder eine ungenügende Brillenkorrektur aufzudecken. Letzteres ist besonders für Arbeiten am Bildschirm relevant.

Für diese arbeitsmedizinischen Untersuchungen, die überwiegend durch Fachärzte für Arbeitsmedizin, Betriebs- und Werksärzte erfolgen, haben sich mobile Sehtestgeräte bereits in den 1970er- und 1980er-Jahren etabliert. Bei bisher verfügbaren Sehtestgeräten war das Angebot unterschiedlicher Sehzeichen durch die Bauart der Systeme limitiert, da als Sehzeichen-träger entweder optische Platten, Dias oder bedruckte Folien zum Einsatz kamen. Diese rein mechanische Auslegung ist wenig flexibel in der Auswahl der Sehtests und zudem vergleichsweise aufwendig bei der Anpassung an neue Prüfvorschriften und besondere Kundenwünsche.

Im Gegensatz dazu stellt das vom Hersteller Vistec neu entwickelte mobile Sehtestgerät »Optovist« (großes Bild) die Testreihen jetzt digital auf einem integrierten, hochauflösenden 1,8-Zoll-LC-Display dar. Dadurch steht eine enorme Vielfalt an Sehtests zur Verfügung - vom Sehschärfentest über die Kontrolle der Augenstellung bis hin zur Farbsinnprüfung.

Die Testreihen lassen sich zudem bei veränderten Prüfungsvorgaben, für den Einsatz im Ausland oder für individuelle Anforderungen anpassen. Und schließlich besteht die Möglichkeit, über 28 im Geräte-Einblick integrierte Leucht-dioden eine orientierte Gesichtsfeldmessung durchzuführen. Ein weiterer Vorteil des neuen Systems sind die flexiblen Verstellmöglichkeiten: Durch die elektrische Höhenverstellbarkeit lässt sich das Sehtestgerät individuell auf den Probanden einstellen, was für eine ergonomische Testdurchführung sorgt.

Weil zudem das interne Display, das die Testzeichen darstellt, stufenlos neigbar ist, wird der Sehtest bei Trägern von Mehrstärken- und Gleitsichtbrillen wesentlich komfortabler in der Durchführung. Mithilfe eines Drehknopfes an der Gehäuse-außenseite kann der Proband die für seine Sehhilfe optimale Testfeldneigung selbst einstellen vom Geradeausblick zur Überprüfung der Fernsicht bis hin zum 35° geneigten Testfeld für einen Leseabstand von 40 cm. So lässt sich mit dem Optovist nun gut beurteilen, ob spezielle Sehhilfen wie beispielsweise Bildschirmarbeitsplatz-Brillen nötig sind.

Bedienung über Touch-Tablet

Zur Bedienung und Konfiguration der Sehtests kann das Sehtestgerät über USB an einen PC oder ein Notebook angeschlossen werden. Um die Bedienung jedoch noch komfortabler zu machen, verfügt das neue System zusätzlich über ein separates Tablet mit Touch-Steuerung und einem intuitiven Bedienkonzept ähnlich dem moderner Smartphones oder Tablet-PCs.

Dank der auf dem 17,8 cm (7 Zoll) großen hochauflösenden Touch-Display dargestellten textlichen Hinweise und Symbole ist die Durchführung des Sehtests zudem selbsterklärend und bediensicher. Das Anforderungsprofil an die neue Hardware war also klar definiert: Gefordert war vor allem ein kleiner Formfaktor mit verlustleistungsarmer Prozessortechnik, denn das Gerät sollte über kompakte Außenmaße (39 cm x 24 cm x 44 cm) verfügen, um handlich und transportabel zu bleiben.

Hohe Robustheit ohne anfällige Lüfter und geringes Gewicht für einen jahrelangen, zuverlässigen mobilen Einsatz standen ebenfalls im Lastenheft. Trotz des besonders kleinen Formats sollte die neue Hardware jedoch über gute Rechenleistung verfügen, schließlich bedarf es bei Sehtests einer schnellen und präzisen Grafik. Und nicht zuletzt musste die Hardware den Anschluss zweier Displays ermöglichen, um hochauflösende Grafiksignale sowohl an das interne Display für den Sehtest als auch an das externe Bedienpanel senden zu können. Darüber hinaus waren spezifische Schnittstellen gefordert für den Anschluss des Bedienpanels über ein Kabel, für die Ansteuerung der Schrittmotoren der elektrischen Höhenverstellung sowie für die Ansteuerung der 28 LEDs für die orientierende Gesichtsfeldprüfung.

Kein Standard-Singleboard-Computer bekam all diese Anforderungen unter einen Hut, deshalb suchte sich Vistec mit dem Deggendorfer Unternehmen b-plus einen Entwicklungspartner, der über das nötige Hardware- und Design-in-Know-how verfügt, um das erforderliche kundenspezifische Design auf dem Basisboard umzusetzen. Zu Beginn der Planung stand die Frage im Raum, ob eine komplett kundenspezifische Boardentwicklung sinnvoll ist - gerade wegen der Anforderungen eines platzsparenden Designs und der spezifischen Schnittstellen.

Schnell war aber klar, dass eine Lösung mit standardisierten Computer-on-Modulen und individueller Trägerplatine deutliche Vorteile gegenüber einem vollständig neuen kundenspezifischen Design (Full Custom) bietet. Denn zum einen lassen sich Lösungen auf Basis von kompakten COTS-Modulen (Commercial off the shelf) nicht nur genauso platzsparend, sondern vor allem auch deutlich schneller und kosteneffizienter umsetzen als individuell entwickelte Designs.

Zukunftssicheres Design

Zum anderen war für Vistec die Zukunftssicherheit des neuen System-designs eines der wichtigsten Kriterien. Auch nach Jahren sollte die verwendete Hardware noch verfügbar sein beziehungsweise später pro-blemlose Upgrades ermöglichen - bei voller Hard- und Softwarekompatibilität zum bestehenden Systemdesign. Bei Full-Custom-Boards kann man nicht so einfach nur die CPU und den Chipsatz wechseln.

COTS-Module hingegen lassen sich mühelos gegen ein aktuelleres Modell austauschen, das einfach auf das bestehende Trägerboard aufgesteckt wird; und das sogar noch nach vielen Jahren, wenn der Entwickler auf einen breit unterstützten und zukunftssicheren Standard setzt. Dabei ist man nicht auf einen einzigen Hersteller festgelegt, sondern kann bei Bedarf auch problemlos Module anderer Anbieter in sein System integrieren. Die b-plus-Ingenieure entschieden sich für den COM-Express-Modulstandard, der mit »COM Express mini« auch einen lediglich scheckkartengroßen Formfaktor für besonders kompakte und mobile Systemdesigns bietet (siehe Kasten).

»COM Express« und »COM Express mini«   
2004 legte Kontron den Grunstein für den Computer-on-Module-Standard »COM Express«, als das Unternehmen ein Modul im heute als »COM Express basic« bekannten Formfaktor auf den Markt brachte. 2006 folgen Module im »COM Express compact«-Format, und 2008 komplettierte Kontron das Modul-Trio mit der Einführung des besonders kompakten »nanoETXexpress«-Formfaktors, der heute als »COM Express mini« ebenfalls Bestandteil des COM-Express-Standards ist und dessen Einsatzbereich auf ultramobile Geräte wie Handheld-Devices erweitert.
Mit einem Footprint von 84 mm x 55 mm sind COM-Express-mini-Module nur kreditkartengroß und eignen sich daher besonders für die Entwicklung sehr kompakter Applikationen. Über einen standardisierten COM-Express-Steckverbinder führen sie neben LVDS zusätzlich die neuen Digital-Display-Interfaces (DDI) aus, die sich je nach Modul auf SDVO, DisplayPort oder HDMI konfigurieren lassen. So können die Module zwei digitale Displays unabhängig voneinander ansteuern. Zudem bieten COM-Express-mini-Module ein breites Schnittstellenangebot: vier PCI-Express-Lanes, 1x Gigabit-Ethernet, 2x SATA, bis zu 8x USB (1.1/2.0) mit optionalem USB-3.0-Support sowie bis zu zwei unterschiedlich nutzbare serielle Schnittstellen, wovon eine als CAN-Bus definiert werden kann.
Mit dem »mini«-Formfaktor hat die PICMG den COM-Express-Standard aber nicht nur um einen sehr kompakten Formfaktor, sondern auch um ein komplettes Ökosystem erweitert: Da nanoETXexpress-Module bereits seit 2008 auf dem Markt sind, gibt es eine Vielzahl an einsatzfertigen Modulen, Evaluierungs-Boards und Starter-Kits sowie bewährten Designrichtlinien. Somit können OEMs künftig auch mit COM-Express-mini die Vorteile eines breiten Supports durch VARs (Value Added Reseller), Systemintegratoren und unabhängige Entwicklungsanbieter nutzen und auf diesem Weg bequem und erfolgreich besonders kompakte Anwendungen auf Basis kreditkartengroßer Module realisieren.
Bild 1: Das Modul »COMe-mSP1« von Kontron im besonders kompakten COM-Express-mini-Formfaktor bietet x86er-Prozessorleis-tung und Dual-Display-Support auf der Fläche einer Kreditkarte
Bild 1: Das Modul »COMe-mSP1« von Kontron im besonders kompakten COM-Express-mini-Formfaktor bietet x86er-Prozessorleis-tung und Dual-Display-Support auf der Fläche einer Kreditkarte
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Im Optovist kommt das Modul »COMe-mSP1« von Kontron zum Einsatz, das auf Intels energiesparender »Atom«-Prozessorserie »5xx« und einem System-Controller-Hub basiert, der den Speicher- und Grafikcontroller sowie die I/Os auf einem einzigen Chip integriert (Bild 1). So kommt das Modul mit einer typischen »Thermal Design Power« von weniger als 5 W aus und eignet sich damit als Plattform zur Entwicklung von lüfterlosen mobilen Applikationen, die x86-Prozessorleistung und hochauflösende Grafik in Kombination mit langer Batterieverfügbarkeit erfordern.

Entscheidend aber war, dass das COMe-mSP1 als erstes COM-Express-mini-Modul neben dem standardmäßigen LVDS-Support auch SDVO unterstützt und somit die beiden Displays der Sehtestgerätelösung ansteuern kann. Statt einer kompletten Neuentwicklung konnte sich b-plus so auf das Design-in des Standardmoduls konzentrieren und entwickelte ein exakt auf die kompakte Form des Gehäuses angepasstes Trägerboard, auf welches das Kontron-Modul aufgesteckt wird.

Neben einem Steckplatz für ein weiteres Modul, das die Schrittmotoren zur Displayausrichtung ansteuert, realisierte b-plus auf der Unterseite des Boards zudem eine kundenspezifische Schnittstelle, über die LVDS, die Spannungsversorgung sowie die USB-Signale für das Touch-Bedienpanel über ein Kabel herausgeführt werden. Neben dem Hardwaredesign übernahm b-plus auch einen großen Teil der Standardsoftware-Implementierung: Das Unternehmen erstellte ein für die Applikation passendes Windows-CE-Image inklusive aller benötigten Funktionen und Treiber (z.B. für die Ansteuerung der Schrittmotoren für die Höhen- und Neigungsverstellung), die teilweise angepasst oder neu entwickelt werden mussten. Damit konnten sich die Vistec-Entwickler auf die Applikationssoftware des Sehtestgeräts konzentrieren und letztlich auf eine Hardwareplattform mit optimal auf die Applikationsbelange zugeschnittener Basissoftware von einem einzigen Ansprechpartner zurückgreifen.

Über die Autoren:

Adrian Bertl ist bei b-plus im Marketing tätig und Gerhard Szczuka ist Produktmarketing-Manager für Computer-on-Modules bei Kontron.


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