Antriebstechnik

Spreiz die Rippe

30. September 2013, 11:51 Uhr | von Debora Setters und Anja Schütz
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© Maxon Motor

Einige der heute in der invasiven Chirurgie verwendeten Werkzeuge wurden ursprünglich in den 1930er-Jahren entwickelt und seither kaum verbessert. In den meisten Fällen sind diese Werkzeuge für ihre Zwecke tauglich, auch wenn die Genesung langwierig ist. Dies gilt besonders für Eingriffe in den Brustkorb, wie Herz- oder Lungenoperationen. Die Rippen beiseite zu biegen ist jedoch schon für sich genommen ein gewaltiger Eingriff, den moderne Antriebstechnik verträglicher gestalten kann.

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Zurzeit gibt es zwei hauptsächliche Methoden, den Brustkorb so weit zu öffnen, dass ein Arzt darin arbeiten kann: die Thorakotomie (Schnitt im Rippenzwischenraum) und die Sternotomie (Längsdurchtrennung des Brustbeins). Bei einer Thorakotomie erfolgt der Zugang mittels eines Schnitts zwischen zwei Rippen. Bei einer Sternotomie sägt der Chirurg längs durch das Brustbein, um den Brustkorb zu öffnen. In beiden Fällen spreizt der Chirurg die Rippen oder die beiden Teile des Brustbeins mittels einer Winde mit Handkurbel und Sperrklinke, dem sogenannten Spreizer. Das Spreizen von Rippen erfordert jedoch hohe Kräfte.
Das Entwicklungsteam von Physcient hat herausgefunden, dass die zum Spreizen der Rippen erforderliche Kraft in etwa dem Gewicht des Patienten entspricht. Dies bedeutet, dass die Anwendung eines Spreizers mit Knochenbrüchen, eingeklemmten Nerven, überdehnten Gelenken und Bänderrissen einhergehen kann. Was wiederum zu dauerhaften postoperativen Schäden führen kann. Einige neue Verfahren sollen die durch die Spreizung des Thorax entstehenden Schäden erheblich reduzieren.
Bei der Entwicklung galt es zwei wesentliche Ziele zu beachten: Ein neuartiger Spreizer sollte nicht größer sein als die derzeit in OP-Sälen verwendeten Geräte, außerdem muss er sich häufig sterilisieren lassen. Herausgekommen ist der »Assuage Smart Retractor«, der mit der Zielsetzung entwickelt wurde, ein altbekanntes Problem auf neuartige Weise zu lösen, ohne dabei die Methoden der Chirurgen zu verändern.

Auf Biegen und Brechen

Zunächst erforschte das Unternehmen jedoch die von Rippenspreizern aufgebrachten Kräfte detaillierter. Knochen sind flexibel, und man kann sie ziemlich weit biegen, bevor sie brechen. Dies ist aber von der Geschwindigkeit abhängig, mit der sich der Spreizer bewegt. Wird eine Rippe ruckartig gebogen - wie es bei einem Spreizer mit Handkurbel häufig vorkommt -, kann sie brechen. Denn die Knochenfasern brauchen ein wenig Zeit, um sich zu dehnen. Dank eingebauter Sensoren im automatischen Rippenspreizer Assuage ist es einfacher zu erkennen, wenn die Fasern instabil werden. Diese Information wird zurück zum Werkzeug gesendet, sodass es sofort auf Vorfälle im Gewebe reagieren kann. Dieser geschlossene Feedback-Regelkreis für den Motor muss extrem genau und absolut zuverlässig sein, damit er in medizinischen Geräten benutzt werden kann.
Auf Basis eines Maxon-Motors hat Physcient seinen ersten Prototypen konstruiert. Eine der wichtigeren Spezifikationen für den Motor war, dass er auch bei niedrigen Drehzahlen frei von Rastmomenten sein muss. Der Rippenspreizer muss sich sanft und ruckfrei bewegen, um die Belastung des Patienten auf ein Minimum zu reduzieren. Die bürstenlosen Gleichstrommotoren werden einfach mit einer Batterie betrieben. Eine eingebaute Steuerung mit Sensorsystem hilft, den Spreizvorgang genau zu kontrollieren. Um die hohen Kräfte bewältigen zu können, hat Physcient drehmomentstarke Motoren gewählt. Immerhin müssen diese nicht nur die höchsten in der Medizingeschichte jemals gemessenen Spreizkräfte bewältigen, sie müssen dabei auch sehr präzise arbeiten, um die Beschädigung von Bändern und weichem Gewebe zu minimieren.

Bild 1: Für schwere Lasten geeignet: Detail eines Motorgehäuses bei einem Physcient-Prototyp mit aktueller Antriebstechnik
Bild 1: Für schwere Lasten geeignet: Detail eines Motorgehäuses bei einem Physcient-Prototyp mit aktueller Antriebstechnik
© Maxon Motor

Maxon Motor produziert allerlei Motoren mit Durchmessern von 6 mm bis 90 mm für verschiedene Anwendungen. Elektronische Kommutierung minimiert dabei elektromagnetische Störungen. Die bürstenlosen Gleichstrommotoren haben keine mechanischen Bürsten, die verschleißen könnten, wodurch eine sehr hohe Lebensdauer gewährleistet ist. Ausserdem erhöhen hochwertige, vorgespannte Kugellager die Lebensdauer der Motoren noch weiter.
Assuage berücksichtigt die Physik von Knochen und Gewebe. Wie bei den meisten Forschungsprojekten in Bereich der Kardiothorax-Chirurgie wurden Versuche an Schweinen durchgeführt, weil deren Biomechanik der des Menschen recht ähnlich ist.Das Physcient-Team konstruierte einen Prototyp mit zwei Reihen gekrümmter Metallzinken, die jeweils eine Rippe umschließen (Bild 1). Während der Spreizer die Rippen automatisch auseinanderzieht, wird der Maxon-Motor mit Hilfe der Sensorsignale so geregelt, dass ein
sanfter Öffnungsvorgang gewährleistet ist. In den Experimenten konnte das Spreizgerät von Physcient Gewebetraumata und Schmerzen erheblich reduzieren. Die Atmung wurde ebenfalls erleichtert, und die Genesung verlief auch schneller.

Über die Autoren:

Debora Setters ist Marketingverantwortliche bei Maxon Precidion Motors und Anja Schütz ist Redaktorin bei Maxon Motor.


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