Künstliche Hörhilfen

Ionenkanäle als Lichtschalter

3. Mai 2018, 9:42 Uhr | Max-Planck-Gesellschaft
Diesen Artikel anhören

Fortsetzung des Artikels von Teil 1

Maximale Feuerrate

Bamberg und seine Mitarbeiter haben basierend auf der Kanalrhodopsin-Struktur mehrere Molekültypen mit unterschiedlichen Absorptionswellenlängen durch geeignete Punktmutationen zu besonders schnellen »molekularen Lichtschaltern« umgewandelt. Je schneller die Schaltgeschwindigkeit der Ionenkanäle, desto größer ist die Rate, mit der Nervenzellen elektrische Nervenimpulse abfeuern können. Diese schnellen Lichtschalter haben großes Potential für das »Hören mit Licht« aber auch für die Nutzung in vielen anderen Bereichen des Nervensystems – so etwa für besonders schnell operierende hemmende Neurone, wie sie von Johannes Letzkus am Max-Planck-Institut für Hirnforschung untersucht werden.

Einige der von den Frankfurter Forschern entwickelten Kanäle wurden zunächst in Zellkulturen getestet, ob sie auch für rasch feuernde Nervenzellen schnell genug sind. Für die Versuche im Innenohr der Maus erwiesen sich zwei durch rotes Licht anregbare Varianten mit hoher Schaltgeschwindigkeit als besonders geeignet. Anders als die durch blaues Licht aktivierbaren Kanäle werden die als f(fast)-Chrimson bezeichneten Kanäle durch rotes Licht aktiviert – eine wichtige Eigenschaft, denn rotes Licht durchdringt lebendes Gewebe auf Grund der geringen Lichtstreuung besonders gut. Zudem schädigt es Zellen weniger als blaues Licht. »Unsere Versuche mit Nervenzellen des Gehirns und des Hörnervs von Mäusen zeigen, dass die Kanäle elektrische Impulse mit einer Frequenz von bis zu 600 Hertz auslösen können. Das entspricht in etwa der maximalen natürlichen Erregungsrate – und das bei geringer Lichtintensität«, sagt Bamberg.

Da Nervenzellen die Kanalrhodopsine nicht natürlicherweise produzieren, müssen die Wissenschaftler einen molekularbiologischen Trick anwenden. Die Forscher nutzen dafür harmlose Viren als Genfähren, um das Gen in die Nervenzellen zu bringen. Die Göttinger Forscher konnten zeigen, dass Zellen des Hörnervs nach einer Virusinjektion in die Hörschnecke von Mäusen große Mengen der Kanalproteine produzieren. Laserblitze, die durch eine 50 Mikrometer dicke Glasfaser in die Hörschnecke geleitet wurden, lösten daraufhin elektrische Impulse im Hörnerv und im Hirnstamm der Tiere aus. Auch in alten Tieren mit verringertem Hörvermögen konnten die Forscher mit den Laserblitzen eine Antwort des Hörsystems mit guter zeitlicher Auflösung nachweisen.

Einsatz im Auge

Durch die zeitlich präzise Stimulation der Nervenzellen und höhere Frequenzauflösung versprechen optogenetische Cochlea-Implantate im Vergleich zu elektrischen eine deutlich verbesserte Hörqualität. Stark schwerhörige Patienten könnten damit vermutlich Sprache in lauter Umgebung verstehen und Musik genießen. »Bis optogenetische Implantate in der Praxis eingesetzt werden können, sind jedoch noch weitere Studien nötig«, erklärt der Hörforscher Tobias Moser, der die Entwicklung des optischen Cochlea-Implantats am Göttinger Campus leitet.

Welches Potenzial optogenetische Methoden für die Medizin haben, zeigt neben dieser Studie vor allem ihr Einsatz in der Netzhaut des Auges. Derzeit wird eine Behandlung mit Kanalrhodopsinen an Patienten getestet, die an einer fortschreitenden Zerstörung der Lichtsinneszellen der Netzhaut leiden, der sogenannten Retinitis pigmentosa. »Erste Ergebnisse zeigen, dass die Patienten wieder auf Lichtreize reagieren können«, sagt Bamberg. (me)

Anbieter zum Thema

zu Matchmaker+

  1. Ionenkanäle als Lichtschalter
  2. Maximale Feuerrate

Lesen Sie mehr zum Thema


Das könnte Sie auch interessieren

Jetzt kostenfreie Newsletter bestellen!

Weitere Artikel zu Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.

Weitere Artikel zu Sensoren & -systeme