Normen und ihre Umsetzung stiften nicht selten eine Menge Verwirrung, und die dritte Ausgabe der Sicherheitsnorm IEC 60601-1 bildet da keine Ausnahme. In verschiedener Hinsicht kann die dritte Ausgabe sogar als neue Norm betrachtet werden, zumal einige regionale Regulierungsbehörden erst jetzt darangegangen sind, sie zu übernehmen. Die jüngst herausgegebene erste Ergänzung der Norm hilft bei der Klärung einiger Fragen, die Ingenieure zur ursprünglichen Fassung hatten. Außerdem wurden in der Ergänzung einige Fehler berichtigt, die im Zuge der praktischen Arbeit zu Tage getreten waren. Was müssen Entwickler von Netzteilen für medizintechnisches Equipment hierüber wissen?
Viele auf der IEC 60601-1 basierende Normen sind für ein bestimmtes Land oder eine bestimmte Region der Welt vorgesehen. Daher weisen sie Abweichungen gegenüber der Basisnorm auf. Die Entwickler von medizinischem Equipment müssen deshalb sorgfältig die verschiedenen Varianten der Norm in den potenziellen Einsatzländern und -regionen des jeweiligen Systems berücksichtigen. In den USA trägt die Norm die Bezeichnung ANSI/AAMI ES60601-1:2005 (+C1:09 & A1:10), und für die Sicherheit der meisten medizinischen Geräte ist die Food and Drug Administration (FDA) zuständig.
Die vom ANSI/AAMI vorgenommenen Änderungen gegenüber der Basisnorm füllen beispielsweise mehr als vierzig Seiten. Einige dieser Modifikationen haben mit dem Anschluss des Equipments an das öffentliche Stromnetz zu tun und haben den Zweck, die Norm mit dem US-amerikanischen National Electrical Code zu harmonisieren. In Kanada kommt als nationale Norm die CSA C22.2 No. 60601-1 (2008) zur Anwendung, und als Regulierungsorgan fungiert die Bundesbehörde Health Canada. In der Europäischen Union wiederum müssen medizinische Geräte die wesentlichen Anforderungen erfüllen (Medizinprodukterichtlinie: 93/42/EEC, Artikel 3). Die Einhaltung der Norm wird aufgrund der Konformität zur EN 60601-1 (mit den regionalen Abweichungen und einschlägigen Richtlinien) vorausgesetzt.
»Nähe« näher definiert
Zusätzlich kann ein IECEE-CB-Prüfzertifikat samt Prüfbericht angefordert werden. Eine nationale Zertifizierungsstelle kann ein Produkt evaluieren (dies schließt die Prüfung ein) und zur Feststellung gelangen, dass es der Norm IEC 60601-1 (unter Einschluss etwaiger länderspezifischer Abweichungen) entspricht, um ein Zertifikat und einen Bericht herauszugeben. Die Zertifizierungsstelle (Certification Body, CB) kann Hilfestellung bei den Freigaben in den einzelnen Ländern leisten. Über 30 Mitgliedsländer des CB-Scheme akzeptieren die IEC-60601-1-CB-Zertifikate.
Die Entwickler eines Endprodukts müssen in jedem Fall wissen, für welche Regionen der Welt ihr Produkt vorgesehen ist. Anschließend müssen sie die dafür geltenden Normen und Anforderungen ermitteln, damit sie das Design des Produkts entsprechend abstimmen können. Es gibt für diesen Prozess keine schnellen Lösungen, doch lassen sich mithilfe von Recherchen vom Schreibtisch aus die Kriterien ermitteln, welche die Produkte erfüllen müssen.
Das hinter der IEC 60601-1 stehende Grundprinzip lautet, dass die Norm für jedes medizinische Equipment gilt, das in der Nähe der Patienten zum Einsatz kommt. Als »Nähe« wird dabei eine Distanz von weniger als 1,5 m in horizontaler oder vertikaler Richtung angesehen. Wenn es den Bedienern des Equipments möglich ist, Gerät und Patient gleichzeitig zu berühren, ist das betreffende Equipment ebenfalls bezüglich der Patientensicherheit zu evaluieren.
Abgesehen von der Einhaltung der mechanischen Anforderungen und der Performance-Vorgaben der Norm IEC 60601-1 wird auch ein Risikomanagement verlangt. Als Norm für dieses Risikomanagement kommt die ISO 14971 zum Tragen. Zwar lässt die Norm offen, was ein hinnehmbares Risiko ist und was nicht, schafft aber die Rahmenbedingungen für eine Risikoanalyse. Was ein hinnehmbares Risiko ist, muss der Gerätehersteller selber festlegen, wobei darauf hinzuweisen ist, dass Netzteile seitens des IECEE per se vom Risikomanagement ausgenommen sind. Denn das Risiko wird auf der Systemebene evaluiert, Netzteile sind als Teil eines solchen Systems also nicht für sich alleine zu bewerten.
Zur Bestimmung des Risikos wird eine potenzielle Gefahr hinsichtlich ihrer Wahrscheinlichkeit und ihrer Folgewirkungen bewertet (Bild 1). Wird ein Risiko als zu hoch erachtet, können die Entwickler die Schwere der Folgewirkungen reduzieren oder die Wahrscheinlichkeit seines Eintretens verringern. Es ist eine Risikomanagement-Akte für das Produkt anzulegen, und laut ISO 14971 müssen über die gesamte Nutzungsdauer des Geräts hinweg Aufzeichnungen gemacht werden. Die Risikomanagement-Evaluierung soll die Aussage liefern, dass das Produkt für seinen vorgesehenen Verwendungszweck sicher ist.
Anforderungen an die Isolation
Ein weiterer wichtiger Aspekt des Sicherheitskonzepts ist die Notwendigkeit zur Wahrung der elektrischen Isolation, um die Wahrscheinlichkeit eines Stromschlags zu reduzieren. Dieses Sicherheitskriterium bezieht sich auf die Mindestabstände sowie Art und Stärke der erforderlichen Isolation. Implementiert werden muss die Isolation zwischen dem Stromnetz und den Bedienern des Equipments, zwischen dem Stromnetz und jeglichen an das Equipment angeschlossenen Teilen (sehr wichtig für medizinische Überwachungsgeräte) sowie zwischen dem Stromnetz und der Schutzerde, wenn das Equipment der Klasse 1 entsprechen soll.
Unter normalen Betriebsbedingungen sind zwei MOOP (Means Of Operator Protection) zwischen Stromnetz und Bediener erforderlich, während zwischen Stromnetz und angeschlossenen Teilen zwei MOPP (Means Of Patient Protection) nötig sind.
Werden zwei MOPP verlangt, können beide Methoden am selben Isolations- oder Separationspunkt ansetzen, oder man wendet die beiden Schutzmethoden an verschiedenen Stellen an (Bild 2). Die Sicherheitsabstände können zwischen 2 mm und 12 mm betragen (Richtwerte).
Je nach Anwendung gelten verschiedene Vorschriften für den Ableitstrom und daher unterschiedliche maximal zulässige Grenzwerte. Unter einem Ableitstrom versteht man jeden Strom, der nicht der Funktion dient. Die IEC 60601-1 verlangt üblicherweise einen Erdableitstrom von maximal 5 mA (MOOP) beziehungsweise maximal 500 µA (MOPP). Der Erdableitstrom ist derjenige Strom, der aus dem Wechselstromnetz an den Schutzleiter abfließt. Dem Netzteil kommt in diesem Zusammenhang infolge der Y-Kondensatoren eine große Bedeutung zu. Für das System insgesamt gelten jedoch weitere Anforderungen an den Ableitstrom, auf die das Netzteil nur geringen oder gar keinen Einfluss hat.
Verschiedene Arten von Ableitströmen
In der Norm werden bezüglich des Ableitstroms verschiedene weitere Begriffe verwendet, die möglicherweise einer Erläuterung bedürfen. Ein »Berührungsstrom« etwa fließt vom Gehäuse zum Bediener oder Patienten, der »Patientenhilfsstrom« jedoch zwischen einer Patientenverbindung und allen anderen Patientenverbindungen. Unter dem Patientenableitstrom schließlich versteht man einen Strom, der von einer Patientenverbindung (über den Patienten) zur Erde fließt.
Für MOOP kommen die drei zuletzt erwähnten Ströme nicht zur Anwendung, während der zweite je nach Applikation (für einen Bediener) zur Anwendung kommen kann. Befindet sich das Equipment in der Nähe eines Patienten, sind die Stromgrenzwerte strenger, da ein Bediener das Equipment und den Patienten gleichzeitig berühren kann. Auch hier müssen sich die Ingenieure des vorgesehenen Verwendungszwecks des Equipments bewusst sein, damit es gemäß den jeweils geltenden Vorschriften entwickelt werden kann.
Schließlich gibt es eine Reihe von Vorschriften, die sich auf die mechanische Konstruktion und das Layout eines Netzteils sowie des Systems insgesamt beziehen.
So muss die mechanische Konstruktion des Gehäuses einen geeigneten Schutz vor dem Zugang zu gefährlichen Spannungen oder Energien (z.B. exponierte Anschlüsse oder freiliegende Leiter) bieten. Darüber hinaus muss es frei von jeglichen potenziellen Gefahren wie etwa scharfen Kanten oder beweglichen Teilen (z.B. rotierenden Lüftern; Bild 3) sein.
Ferner sollte das Gehäuse das Risiko der Ausbreitung eines Brandes einschränken, wenn das Gerät selbst überhitzt oder es zu einer Überhit-
zung oder Entzündung umgebender Bauteile oder Leiterplatten kommt.
Einfluss auf die mechanische Konstruktion und das verwendete Layout hat schließlich auch die Einsatzumgebung des Equipments.
Wenn Ingenieure ein neues Design in Angriff nehmen, sollten sie sich für Komponenten und Subsysteme entscheiden, mit denen es nicht schwieriger, sondern einfacher wird, die Einhaltung der Sicherheitsnormen zu evaluieren. Hierbei mit dem Netzteil zu beginnen, ist höchst sinnvoll. Das als Front-End fungierende Netzteil sollte von mindestens einer Regulierungsbehörde die Freigabe für die vorgesehene Einsatzregion besitzen. Das oder die Netzteile sollten außerdem über eine geeignete Isolation verfügen und gegen Überhitzung und Störungen geschützt sein. Werden mehrere Spannungen benötigt, können weitere Gleichspannungswandler nachgeschaltet werden, welche die entsprechenden Spannungen bereitstellen und gegebenenfalls für eine zusätzliche Isolation sorgen.
Über den Autor:
Jay van Wormer ist Principal Engineer im Bereich Global Product Safety and Compliance bei Murata Power Solutions.