Integration

Wie man aus Flüchtlingen Fachkräfte macht

7. November 2016, 11:48 Uhr | Corinne Schindlbeck
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Fortsetzung des Artikels von Teil 1

5 Tipps zur erfolgreichen Integration in Betrieben

»Nicht nur die Flüchtlinge haben im letzten Jahr unglaublich viel gelernt«, berichtet Matthias Hecker, Ausbildungsleiter bei Rittal und hauptverantwortlich für die Flüchtlinge an der Werkbank: »Auch wir haben durch das Pilotprojekt neue Erfahrungen gewonnen, die uns im aktuellen Durchgang spürbar zugutekommen.« In fünf Tipps hat das Familienunternehmen seine Erfahrungen im Ratgeber auf den Punkt gebracht:
Potenziale ermitteln: Erfolgreiche Integration über ein Praktikum beginnt mit gegenseitigem Kennenlernen und der Ermittlung schulischer und beruflicher Voraussetzungen. Die Arbeitsagenturen und Job Center in Hessen haben Zugriff auf standardisierte Potenzialanalysen der Flüchtlinge. Wo diese noch nicht eingeführt sind, bietet sich eine Probearbeitswoche an.

  • Deutsch lernen: Um die Sprachkenntnisse zu erweitern, können Azubi-Paten, Ehemalige und Ehrenamtliche als Ansprechpartner für schulische, betriebliche und private Herausforderungen eingesetzt werden. Darüber hinaus bieten Apps und Websites E-Learning-Angebote zum Spracherwerb an. Berufsbezogene Sprachkenntnisse lassen sich am besten an der Werkbank erlernen.
  • Kümmerer finden: Neben mangelnden Deutschkenntnissen plagen Flüchtlinge auch Ängste und Einsamkeit. Wenn sich Ausbilder, Azubi-Paten, Kollegen und Ehrenamtliche darauf einlassen, Flüchtlinge durch Nachhilfe, praktische Hilfe und persönlichen Kontakt zu unterstützen, erreichen diese das erforderliche Leistungsniveau einer Ausbildung schneller und integrieren sich besser in das Umfeld, in dem sie arbeiten.
  • Willkommen heißen: Eine gelebte Hilfskultur im Unternehmen ist unabdingbar für die gelungene Integration von Flüchtlingen. Vorbild sein, aber nicht bevorzugen, lautet die Devise für Management und Führungskräfte. Sie geben ihren Mitarbeitern Orientierung und sorgen für die Akzeptanz der neuen Kollegen in der Belegschaft.
  • Netzwerke bilden: Enge Zusammenarbeit mit öffentlichen Stellen und Erfahrungsaustausch in unternehmensübergreifenden Initiativen, erleichtert nicht nur die Entwicklung eines Integrationsprojekts, sondern führen auch zu Veränderungen in Politik, Verwaltung und Gesetzgebung. Die 3+2-Regelung, die Flüchtlingen und Unternehmen die Sicherheit des Aufenthalts für drei Jahre Ausbildung und zwei Jahre Arbeit gibt, ist aus den Diskursen von Netzwerken wie „Wir zusammen“ entstanden.

Wie wertvoll die Erfahrungen des Unternehmens bei der Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt sind, hat Solomun Meakele Gebregzabher bereits erlebt. Er ist aus Eritrea nach Deutschland geflohen und absolviert jetzt ebenfalls ein Praktikum bei Rittal – angeleitet von Khaibar Fatehzada, der mittlerweile mühelos an einem großen Laser-Schweißroboter die Kanten eines Schaltschranks für einen Großkunden bearbeitet. Gebregzabher und drei weitere Flüchtlinge wurden durch die Potenzialanalyse der Arbeitsagentur für das Praktikum ausgewählt, weil sie gute Deutschkenntnisse und einen Schulabschluss haben. Neben der Hilfe von Paten nehmen sie an der Azubi-Hausaufgabenbetreuung teil.

Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Konnten im vergangenen Jahr noch zwei von acht Praktikanten in eine Ausbildung übernommen werden, sind es in diesem Jahr drei von vier Praktikanten, die im Unternehmen bleiben. Zwei starten in eine Ausbildung, ein weiterer in eine zusätzlich geförderte Einstiegsqualifizierung, nach der er bei guten Leistungen direkt ins zweite Jahr der Ausbildung einsteigen kann. »Die verbesserte Auswahl hat erheblich dazu beigetragen, die Praktikanten erfolgreich für eine Ausbildung zu qualifizieren. Wenn man sechs von acht engagierten Flüchtlingen sagen muss, dass die Deutschkenntnisse für eine Ausbildung doch nicht reichen, ist das für beide Seiten schade«, so Hecker.

Auch der verstärkte Einsatz von Kümmerern und Paten hat sich ausgezahlt. Nachhilfeangebote, Hausaufgabenbetreuung und sozialpädagogische Unterstützung sind unerlässlich für eine gelungene Integration, weiß Dr. Bianca Dümling, die den von Dr. Friedhelm Loh gestifteten Lehrstuhl »Migration, Integration und Interkulturalität« an der CVJM-Hochschule in Kassel leitet: »Die Frage, ob wir in einer multikulturellen Gesellschaft leben wollen, stellt sich gar nicht. Es ist unsere Realität und das schon seit dem zweiten Weltkrieg«, verweist sie auf die Geschichte der Einwanderung in der Bundesrepublik: »Ehrenamtliche können Geflüchtete durch zwischenmenschliche Beziehungen stärken, um sich den Herausforderungen von Integration besser stellen zu können.«

Dass das in der Friedhelm Loh Group und in der Ausbildungswerkstatt von Rittal so gut klappt, führt Ausbildungsleiter Hecker auf die gemeinsamen Werte im Familienunternehmen zurück: »Diese Werte wollen wir leben – nicht nur gegenüber den Flüchtlingen sondern auch gegenüber den anderen Mitarbeitern. Und das ist in jedem anderen Unternehmen genauso möglich.«


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