MINT-Fachkräftemangel

Die Mär von den flexiblen Arbeitszeiten

27. April 2011, 14:34 Uhr | Corinne Schindlbeck
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"Gedrehte" Entlohnung

Dabei sagt eine neue Studie des Zukunftsinstituts im Auftrag der Zeitarbeitsfirma Adecco/DIS AG voraus, dass die Arbeitswelt im Jahr 2020 moderner sein werde, mit eigenen Gestaltungsmöglichkeiten, Freiheit, Autonomie und Networking. „Tiefgreifend“ solle sich die Arbeitswelt bis dahin verändert haben – dank Demografie und Globalisierung. Der Trend gehe hin zu flexibleren Beschäftigungsverhältnissen - und zwar sowohl was die Angebote von Unternehmen betrifft als auch in Bezug auf die Wünsche von Arbeitnehmern. Laut Studie bedeute dies für Unternehmen, dass sie mit Angeboten wie  flexiblen Arbeitszeiten, individuellen Weiterbildungsmöglichkeiten, sozialem Engagement oder leistungsbezogenen Boni überzeugen müssen. "Die Studie zeigt vor allem eines: Die Arbeitswelt wird flexibler, und ebenso flexibel müssen in Zukunft nicht nur Mitarbeiter, sondern auch Unternehmen sein", sagt der Vorstand der DIS AG, Peter Blersch.

Heißt das, dass Chefinnen in Teilzeit bald die Regel sein könnten? Bislang haben Unternehmen eher Angst, dass gerade Teilzeit-Chefinnen Autoritätsprobleme drohen. Die Personalberatung Rochus Mummert hält diese Sorge für unbegründet. Sie hat die gerade veröffentlichte repräsentative Umfrage zur Akzeptanz von Teilzeit-Chefinnen durchgeführt. Als leitende Teilzeitangestellte hätten Frauen die Chance, nicht nur Beruf und Familie, sondern auch Karriere und Familie miteinander zu verbinden, so die Berater. Noch sei allerdings branchenübergreifend nicht einmal jede vierte Führungsposition im mittleren Management mit einer Frau besetzt.

"Unternehmen, die für qualifizierte Frauen als Arbeitgeber attraktiv sein möchten, sollten sich beeilen, Führungskultur und Führungsprozesse auf Teilzeitmodelle auszurichten", sagt Bernhard Walter, Senior-Berater bei Rochus Mummert. "Dabei geht es nicht um die Erfüllung wie und von wem auch immer berechneter Frauenquoten, sondern um das ureigene Interesse der Firmen, im Kampf um die besten Köpfe auch auf alle Köpfe zugreifen zu können. Die Definition von Arbeitgeberattraktivität hört in diesem Zusammenhang eben nicht beim Betriebskindergarten auf, sondern umfasst genauso das Aufzeigen klarer Karriereperspektiven."

Doch noch liegen Wunsch und Wirklichkeit weit auseinander. Nach der aktuellen Analyse von Rochus Mummert ist derzeit nur knapp ein Viertel der Jobs auf der zweiten und dritten Führungsebene in deutschen Unternehmen mit Frauen besetzt. "Während sich also die öffentliche Diskussion um eine - egal wie sinnhafte - Frauenquote für Vorstandsgremien und Aufsichtsräte dreht, fehlt oftmals schlichtweg der notwendige Unterbau im mittleren Management", sagt Walter. "Die Tatsache, dass nur noch jeder fünfte deutsche Arbeitnehmer Männer für die besseren Chefs hält, sollte da doch Motivation genug sein, dieses Missverhältnis endlich anzugehen."

Doch noch immer ziehen manche Unternehmen in Deutschland junge männliche Bewerber jungen Frauen vor und stellen auch kaum ältere Arbeitnehmer ein. Zu diesem Ergebnis kommt eine Untersuchung des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim. Die wesentliche Ursache für diese - angesichts der demografischen Entwicklung und dem angeblichen drohenden Fachkräftemangel wenig nachhaltigen – Personalstrategie ist: Geld. Steile Betriebszugehörigkeits-Lohnprofile in Unternehmen erschweren es Frauen, eingestellt zu werden. Mitarbeiter werden in den ersten Jahren ihrer Betriebszugehörigkeit unterhalb ihrer Produktivität und in den letzten Jahren ihrer Berufstätigkeit oberhalb ihrer Produktivität entlohnt. Diese "gedrehte" Entlohnung sorgt zwar für eine feste und lange Bindung motivierter Mitarbeiter ans Unternehmen, macht aber gleichzeitig die Einstellung junger Frauen vor der Familiengründungsphase und älterer Arbeitnehmer unattraktiv. "Um die in Zukunft notwendige verstärkte Einstellung junger Frauen sowie älterer Arbeitnehmer zu erleichtern, ist eine Korrektur der steilen Betriebszugehörigkeits-Lohnprofile in den betreffenden deutschen Unternehmen unabdingbar", sagt Thomas Zwick, Research Associate am ZEW und Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität, München.
So nehmen etwa junge Frauen aus familiären Gründen oftmals Auszeiten oder kehren nach der Familienphase gar nicht mehr in den Betrieb zurück. Den Lohnabschlag in den ersten Beschäftigungsjahren in Betrieben mit gedrehter Lohnstruktur empfinden sie daher als unattraktiv, denn sie wissen nicht, ob sie davon später auch profitieren werden. Die Unternehmen wiederum schrecken vor der schlecht kalkulierbaren und der zu erwartenden geringeren betrieblichen Verbleibdauer junger Frauen zurück.
Um die Eintrittshemmnisse für junge Frauen und ältere Arbeitnehmer abzubauen und sich so ein für die Zukunft wichtiges Fachkräftepotenzial zu erschließen, rät Zwick zu verschiedenen Wegen. So könnten entweder die "Bleibeprämien" sinken und parallel dazu die Einkommen junger Mitarbeiter für alle Beschäftigten oder gezielt für die bisher bei Einstellungen benachteiligten Beschäftigtengruppen erhöht werden. "Dies bedeutet allerdings, dass an die Stelle steiler Betriebszugehörigkeits-Lohnprofile neue und möglicherweise teurere Instrumente der Mitarbeiterbindung wie individuelle Leistungslöhne und Beförderungswettbewerbe treten müssen", erklärt Zwick.


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