Hellenthal: Nein, eine solche Strategie gibt es bei uns nicht. Aber Standard-Software ist für uns ein Thema. Eine Einigung auf eine einheitliche Software im ganzen VW-Konzern ist sehr aufwendig und ein entsprechend großer Schritt für uns. Das Thema Baukasten ist immer schwierig. Und für Halbleiter macht das Baukasten-Prinzip wenig Sinn. Man braucht immer einen gewissen Zeitraum, um einen Baukasten zu definieren. Bei der Entwicklungsgeschwindigkeit im Halbleiterbereich wäre ein endlich fertig definierter Baukasten durch die technischen Weiterentwicklungen schon bei seiner Vorstellung überholt. Das muss man einfach akzeptieren.
Wieso ist der Automotive-Markt trotz der beschränkten Stückzahlen und der hohen Qualitätsvorgaben für viele Chip-Hersteller so interessant?
Hellenthal: Immer mehr Halbleiterfirmen entdecken den Automotive-Bereich. Der Smartphone-Bereich ist zwar riesig, aber nur wenigen Playern offen und die hohen Volumina verbunden mit kurzen Laufzeiten stellen auch ein großes Risiko dar. Im PC- und Server-Bereich ist der Markt geschlossen. Auch der Tablet-Markt ist schwierig, weil man sich da schon in Konkurrenz zu den High-End Smartphones bewegt. Der Industrie-Markt ist zwar groß genug, aber die Player-Größe ist zu klein: Da rennen Sie sich die Hacken wund. Automotive ist zwar nur der drittgrößte Markt, hat aber große Player. Deshalb wollen viele Halbleiterfirmen wieder in den Automotive-Bereich oder schenken ihm mehr Beachtung.
Mit der neuen 64-bit-Architektur ARMv8-R hat ARM auch eine Hardware-Virtualisierung angekündigt. Kann das nun eine Lösung sein, um auf eine sichere Weise mehr Funktionen auf einem Steuergerät zu konsolidieren?
Hellenthal: Wir schauen uns die Weiterentwicklung der Architekturen genau an. Beispiel Bandbreite: Wenn zukünftig die Signale von bis zu zehn Kameras übertragen werden, braucht man eine entsprechend hohe Bandbreite. Gleichzeitig wird Rechenleistung immer günstiger. Damit ergeben sich neue Möglichkeiten. Es gibt viele schöne neue Dinge, aber am Ende des Tages ist es eine Business-Case-Frage für uns. Das Fahrzeug in zehn Jahren wird auf jeden Fall wenig mit den heutigen Architekturen zu tun haben.
Eine weitere Herausforderung ist ja das ungebremste Schrumpfen der Prozessgeometrien bei Flash-Speichern. Ich nehme an, Sie haben die unterschiedlichen Flash-Architekturen wie MONOS, MirrorBit oder TFS schon daraufhin analysiert, welche Zukunftsfähigkeit sie haben?
Hellenthal: Wir werden Technologien sehen, die werden spätestens bei 28 nm sterben oder schon gestorben sein. Und wir werden Technologien sehen, die „shrinkbarer“ sind.
Auffällig ist die unterschiedliche Sprache bei Autoherstellern und Halbleiterfirmen. Sie selbst sagen, wir benutzen zwar die gleichen Worte, aber wir meinen nicht das Gleiche. Können Sie das einmal an einem Beispiel erläutern?
Hellenthal: Nehmen wir das Thema Fehler und Fehlertransparenz. Wenn Sie einen hochkomplexen Halbleiter entwickeln, passieren einfach Fehler. Wenn Sie diese Fehler während des Entwicklungsprozesses aus Transparenzgründen an uns melden, dann löst das immer einen gewissen Alarm aus: Was sind das für Fehler, müssen wir jetzt die Fahrzeuge stoppen? Die Interpretation eines solchen Fehlerberichts ist schwierig.
Der Lösungsansatz sieht so aus, dass wir für unsere strategischen Partner Schulungen anbieten und umgekehrt wir auch zum Thema Halbleiter geschult werden (intern und von den Herstellern). Das Thema Halbleiter ist bei uns zwar ein Nischenthema, dennoch sind wir besser aufgestellt als die meisten Wettbewerber.
Nicht jeder Audi-Elektronik-Entwickler kann ein Halbleiter-Experte sein, dafür haben wir aber eine zehnköpfige Spezialistenriege, die sich hervorragend auskennt und die Entwicklungen entsprechend unterstützt. Hier stehen die teamorientierten Synergien im Vordergrund. Somit sind wir schlagkräftig aufgestellt. Denn klar ist, dass nicht jeder Kollege etwa den Abnutzungsprozess von Halbleitern im Speicherbereich in jeder Einzelheit kennen muss. Oder wissen muss, dass ich einen Transistor nur begrenzt in den Lawinendurchbruch treiben kann. Halbleiterphysik, Halbleiterabnutzung, Halbleiterfertigung – über dieses Expertenwissen verfügen wir bei Audi. Und darüber hinaus gibt es ja noch das PSCP (Progressive Semiconductor Program) als Kompetenz-Center.