Der MEMS-Markt legt kräftig zu, es gibt weiteren Spielraum für sinkende MEMS-Preise, der Integrationsgrad steigt, und MEMS-Sensoren ohne Software sind nicht verkäuflich - darüber waren sich die Experten des MEMS Executive Congress in Zürich letzte Woche einig. Und nebenbei ließ STMicroelectronics verlauten, in den Markt für Automotive-MEMS einsteigen zu wollen.
2006 waren es eher bescheidene 30 Mio. Dollar Umsatz, 2011 schon 650 Mio. Dollar, die STMicroelectronics mit MEMS umsetzte. »Die Revolution hat endlich eingesetzt«, freut sich Carmelo Papa, Senior Executive Vice President and General Manager des Industrial and Multimarket Sector von STMicroelectronics.
Jetzt will er die Revolution fortsetzen und in den Automobilmarkt vordringen. Die Zeit sei reif, um die Erfahrung, die ST im Bereich der MEMS für Consumer-Geräte wie Smartphones und Tabletts gewonnen hat, auf neue Einsatzgebiete für MEMS anzuwenden. Groß sei der Sprung nicht, denn ST kenne die besonderen Anforderungen der Auto-Branche genau und kann auf einen reichen Erfahrungsschatz zurückblicken. Es komme nur darauf an, diese Erfahrungen in einem Produkt zusammen zu führen.
Hardware- plus Software-Integration
Mit einem Wort: Es kommt auf Integration an. Mehr und mehr MEMS-Einheiten wandern in ein Gehäuse. Carmelo Papa erwähnt ein 9-achsiges Modul, in dem unter anderem ein Dual-Core-Gyroscope sitzt. Fortschritte in der MEMS-Prozesstechnik, kleinere Strukturgrößen für die Fertigung des A/D-Wandler-Teils und der ASICs sowie verbesserte Montagetechniken wie Through-Silicon-Vias ließen den größten Wunsch der Anwender - niedrigere Preise für MEMS - greifbar erscheinen. Und um die Preise macht sich Papa auch deshalb nicht viel Sorgen, weil ST von Anfang an auf 8-Zoll-Wafern fertigt, »was eine Voraussetzung für unseren Erfolg war.«
Auch Marc Osajda, Global Automotiv Strategy Manager von Freescale, ist überzeugt, dass die Hersteller über die Erfahrung auf dem Consumer-Markt den Preis für Automotive-MEMS weiter senken können. Das wäre beispielsweise die Voraussetzung dafür, dass Airbags auch in kostengünstige Autos Einzug hielten. Und der Ausbau der aktiven Sicherheitsfunktionen im Auto stehe erst am Anfang. »Wir müssen als Hersteller also dafür sorgen, dass die potenziellen Kunden sich das leisten können«, so Osajda.
Neue Sinne fürs Auto - dank MEMS
Dass der Automotive-Markt lockt, verwundert also nicht. Denn hier sind noch erhebliche Steigerungsraten zu erwarten (Sitchworte: Indien, China, Südamerika) - und interessante Innovationen. Dafür gab Hannu Laatikainen, Executive Vice President des Transportation Business von VTI Technologies, auf dem Kongress in Zürich einige Beispiele: Während heute in Autos die Druck- und Beschleunigungssensoren sowie Gyroskope dominieren, werde sich das künftig ändern: »Wir haben bereits die Augen im Auto, aber wir brauchen auch Ohren - Mikrophone -, den Geschmackssinn - um die Qualität des Brennstoffs zu erkennen - und eine Nase, etwa um den Austritt giftiger Gase aus der Batterie zu erkennen.« Allein deshalb rechnet er mit kräftigem Wachstum. »Das geht nicht mit einer einzigen Technik und schon gar nicht mit einer einzigen Art von Sensoren, wir stehen also vor einem riesigen Markt!«
Bernahrd Schmid, Manager Sensor System & Technology Center Chassis & Safety Division von Continental Teves, denkt über die traditionellen Anwendungen in Autos hinaus: »Die Infrastruktur für die Kommunikation von Auto zu Auto wird enorm wichtig, sowohl aus Gründen der Sicherheit als auch um Treibstoff zu sparen.« Und Osajda ergänzt: »Damit können wir den Sicherheitsradius ums Auto erheblich erweitern, Car-to-Car-Kommunkation ist der nächste Schritt.
Parallel dazu werden sich laut Bernhard Schmid die traditionellen Anforderungen für den Einsatz in Airbag- und ESP-Systemen ändern. Die Zeiten, in denen unterschiedliche Systeme parallel isoliert nebeneinander her arbeiteten, seien vorbei. Die Integration findet nicht nur auf der Ebene der MEMS selber statt (mehr MEMS-Funktionen in einem Package), sondern auf der Systemebene. Deshalb wächst die Bedeutung der Software rasant.
»Am Anfang haben alle ihre Einzel-MEMS verkauft, die Software war nicht wichtig. Das hat sich fundamental geändert«, meint auch Carmelo Papa. »Die Software macht die Sensoren erst intelligent. »Und sie muss von Anfang an parallel zum Sensor entwickelt werden«, ergänzt Osajda. »Im Nachhinein etwas anpassen zu wollen, funktioniert nicht gut.«
Kommen die MEMS/Sensor-Hersteller den System-Produzenten damit nicht ins Gehege? »Wir benötigen in vielen Fällen auch die Sensortreiber, über sie versteht das System die Sensoren«, antwortet Bernhard Schmid. »In anderen Fällen wiederum reicht die robuste Interface-Technik aus, und die gesamte Software sitzt in der ECU, die wir entwickeln. Beide Ansätze werden nebeneinander bestehen.«
Nun finden im Auto nicht nur zunehmend Druck-, Temperatur-, Beschleunigungs-, Drehraten- und Magnetfeldsensoren Einsatz, sondern auch Kameras und Radarsysteme. Könnten die Vision-Systeme nicht in vielen Fällen andere Sensoren überflüssig machen? »Haben die Augen die Ohren kannibalisiert?«, fragt Schmid rethorisch zurück. »Wir benötigen alle Sensoren, die wir bekommen können, und müssen sie zu einem robusten und zuverlässigen System integrieren.«
In diese Richtung denkt auch Markus Buhlmann von Audi: Das »Sensor Array Audi« integriert beispielsweise verschiedene Trägheitssensoren in einer ECU, so dass sie verschiedene Systeme mit den für sie jeweils relevanten Daten versorgen können. Außerdem wandern mehr Sensorfunktionen in ein Gehäuse, so werden künftig auch High-g- und Low-g-Beschleunigungssensoren in einer Einheit integriert.
Das bedeutet seiner Ansicht nach auch: »MEMS und Software müssen in einer Architektur aufgehen, sie müssen hoch integriert sein und hochzuverlässig, sie müssen ohne Drift und Offset über 15 Jahre arbeiten.« Außerdem müsse die ISO 26262 erfüllt werden. »Dabei spielt der MEMS-Sensor eine ganz wichtige Rolle. Die drei Hauptforderungen für die Zukunft lauten: Sicherheit, Sicherheit und Sicherheit!«
Das gilt auch für den Einsatz in der Industrie, hier haben vor allem Sicherheitsaspekte den Einsatz von MEMS-Sensoren und darauf basierender Kommunikationsnetze bisher eingeschränkt. Wie können die MEMS-Hersteller die potenziellen Anwender künftig überzeugen? »Wenn wir ihre Produktivität erhöhen, dann kaufen sie auch«, meint Dr. Thomas Scheiter, Global Owner of Microsystems R&D von Siemens.
Und dass die Zukunft von MEMS und Sensornetzen erst ganz am Anfang steht, davon ist Carmelo Papa überzeugt: »Wir sind die Consumer-Welle geritten, jetzt werden wir die Personalisierungswelle reiten.« Damit meint er etwa speziell auf den Patienten zugeschnittene Gesundheitsüberwachungssysteme. Diabetiker bekommen genau auf sie angepasste Mengen von Insulin verabreicht. In solchen Systemen komme alles zusammen: MEMS nicht nur für Sensoren, sondern auch für Aktuatoren, Power-Management, lokalisationsbasierende Services, Low-Power-Funk, höchste Integration und auch Energy Harvesting. Die Auswirkungen auf unser Leben seien bedeutend: Ob Verkehr, Gesundheitswesen, industrielle Produktion oder schlicht Freizeitspaß: MEMS tragen dazu bei, die Lebensqualität zu steigern. Papa: »Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt!«