Leistungshalbleiterbranche

Hartnäckige »Booking Pause«

4. November 2024, 10:23 Uhr | Engelbert Hopf
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Von einem aktuellen »Dornröschenschlaf« der Leistungshalbleiterbranche spricht Harald Kasteleiner, Business Unit Manager Analog, Power & Sensors bei Glyn. Er rechnet mit einer generellen Verbesserung der Marktsituation im 2. oder 3. Quartal 2025.

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Markt&Technik: Noch vor einem Jahr klangen die Perspektiven für 2024 in der Leistungshalbleiterbranche recht optimistisch. Wie würden Sie die aktuelle Situation auf dem Leistungshalbleitermarkt in Deutschland, Europa und der Welt beschreiben?

Harald Kasteleiner: Nach wie vor sehen wir in den europäischen Märkten, in denen Glyn aktiv agiert, eine »Booking Pause«, die mit den hohen Lagerbeständen bei unseren Kunden zu erklären ist. Tatsächlich sind auch wir davon ausgegangen, dass sich die Lagerbestände deutlich schneller nach unten regulieren werden, als sie es letztendlich tun. Verschiedene Faktoren wie reduzierte Lieferzeiten der Hersteller und ein generell schwacher Absatzmarkt im Automobil- und Industrie-Markt haben hierbei deutlich der Lagerreduzierung entgegengewirkt. Viele Kunden benötigen keine Neuware und nutzen für ihre gedrosselte Produktion die vorhandenen Lagerbestände.

Zahlenmäßig sind die Applikationen im Automotive-Bereich größer; die Wertigkeit der Applikationen dürfte im Industriebereich höher sein. Wie massiv sehen Sie die Auswirkungen bei Ihren Kunden?

Unser Geschäft ist maßgeblich von den Industriekunden getrieben. Der Ausbau der erneuerbaren Energien, die Ziele zur Nutzung von Wasserstoff als Energieträger sowie die Entwicklungen im Bereich der E-Mobility fordern eine Verschiebung zu immer höheren Leistungen in den Halbleiterbauelementen. Damit einhergehend werden wir in den kommenden Jahren auch eine steigende Wertigkeit in den Industrieapplikationen feststellen.

Speziell im Automotive-Bereich ruhten große Hoffnungen auf dem beginnenden E-Mobility-Boom. Der ist inzwischen zumindest in Deutschland zum Erliegen gekommen. Rechnen Sie für 2025/26 mit einer Renaissance, wenn die angekündigten großen E-Plattformen mit kostengünstigen Fahrzeugen auf den Markt kommen sollen?

Ein entscheidender Faktor wird meines Erachtens die politische Entscheidung bezüglich zukünftiger Förderprogramme in diesem Bereich sein. Wenn hierzu eindeutige Signale und damit für die Automobil- sowie Industrie-Branche zukunftssichere Investitionen möglich sind, steht einer Renaissance der E-Mobility nichts im Weg. Allerdings bin ich sehr auf die daraus entstehenden Herausforderungen beim massiv notwendigen Ausbau der Infrastrukturen gespannt.

 

Kasteleiner Harald
Harald Kasteleiner, Glyn: »Reduzierte Lieferzeiten der Hersteller, ein generell schwacher Absatzmarkt im Bereich Automobil und Industrie haben bislang deutlich der erwarteten Lagerreduzierung entgegengewirkt. Viele Kunden benötigen für ihre reduzierte Produktion keine Neuware, sondern nutzen die vorhandenen Lagerbestände.«
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Gehen Sie davon aus, dass die Talsohle der deutschen Industrieelektronik vor allem im Antriebs- und Motorbereich inzwischen erreicht ist? Wann rechnen Sie hier mit einer Wiederbelebung des »normalen« Orderverhaltens?

Ob wir in diesem Bereich bereits die Talsohle erreicht haben, lässt sich aus meiner Sicht erst sagen, wenn wir diese durchschritten und eindeutige Indizien einer dauerhaften Erholung sehen. Aktuell ist dies für mich noch nicht eindeutig zu erkennen. Das aktuelle Marktgeschehen ist zu intransparent, um hier eine Aussage treffen zu können.

Glyn ist im Leistungshalbleiterbereich auf japanische Hersteller spezialisiert. Wie haben sich hier die Lieferzeiten und die Verfügbarkeit im Laufe des Jahres entwickelt? Sehen Sie da Unterschiede zu anderen Leistungshalbleiter-Herstellern?

Die Lieferzeiten unserer Hersteller bewegen sich heute in denselben Bereichen wie bei allen anderen Leistungshalbleiter-Herstellern. Weiterhin kann es bei speziellen Komponenten zu etwas längeren Lieferzeiten kommen. Dies stellt aber inzwischen eine Ausnahme dar. Die generelle kurzfristige Verfügbarkeit von Bauteilen wird aber erst wieder eine stärkere Rolle spielen, wenn der Leistungshalbleitermarkt aus seinem derzeitigen Dornröschenschlaf erwacht.

In den letzten Jahren wurden Milliarden US-Dollar weltweit in den Aufbau von Fertigungskapazitäten für SiC investiert. Wie würden Sie die aktuelle Situation beschreiben – als Zwischenstopp? Hat irgendjemand seine Ankündigungen und Pläne inzwischen wieder kassiert oder werden die Vorhaben einfach zeitlich gestreckt?

Einige Firmen haben in den letzten Jahren große Ankündigungen in den Aufbau von Fertigungskapazitäten für SiC gemacht und nun die zeitliche Umsetzung den aktuellen Marktbedarfen angepasst. Unsere Hersteller haben bis dato noch keinerlei Hinweise auf mögliche Verschiebungen in der zeitlichen Umsetzung erkennen lassen. Wir gehen daher davon aus, dass die im Vorfeld angekündigten Investitionen in die Fertigung von Neuprodukten vollumfänglich umgesetzt werden.

Auf der PCIM konnte man in diesem Jahr den Eindruck gewinnen, dass GaN die Konsumgüter-Ecke zunehmend verlässt und es zu Applikationserfolgen bei Automotive und Industrie kommt. Wie schätzen Sie diese Entwicklung ein, werden wir eine schnelle Adaption von GaN auch in diesen Bereichen erleben?

Für den Automotive-Bereich sehe ich in den Entwicklungen bezüglich GaN-Adaption definitiv vielversprechende Ansätze. Allerdings habe ich für den Industrie Bereich aktuell noch meine Zweifel, ob dies wirklich in der Breite und in derselben Geschwindigkeit gelingen wird. Hier sehe ich derzeit eher die SiC-Technologie mit einigen Vorteilen gegenüber den derzeit vorhandenen GaN-Bauteilen.

Leistungshalbleiter zählten zu den Profiteuren der »Green Deal«-Anstrengungen. Ohne Leistungshalbleiter war und ist die Mobilitäts- und Energiewende nicht möglich. Leidet die Branche nun besonders darunter, dass die Anstrengungen in diese Richtung nicht nur in Deutschland deutlich ins Stocken gekommen sind? Was würde in Ihren Augen ein Rückfall in die Zeiten vor diesen angestrebten Wenden bedeuten?

Nach meiner Überzeugung wird es keinen Rückfall in alte Zeiten geben. Auch wenn die aktuellen Anstrengungen vielleicht etwas ins Stocken geraten sind, wird es langfristig nur einen Weg geben können. Der Green-Deal-Beschluss der EU wird in Zukunft wieder an Bedeutung gewinnen, Fahrt aufnehmen und die Mobilitäts- und Energiewende deutlich nach vorne bringen. Hiervon wird der Leistungshalbleitermarkt signifikant profitieren.

In gut zwei Monaten beginnt das Jahr 2025. Einige Experten verschieben inzwischen die Prognose für einen Marktaufschwung von Herbst 2024 auf Herbst 2025 – aus Ihrer Sicht realistisch? Mit welcher Entwicklung rechnen Sie aus heutiger Sicht für 2025 und 2026?

Wann genau der Markttrend sich verändern wird, ist nicht genau voraussagbar. Meine persönliche Einschätzung des Marktes geht von einer Verbesserung der generellen Marktsituation in Q2/Q3 des nächsten Jahres aus. Damit würde ich nicht ganz so weit von den Einschätzungen der Experten entfernt liegen. 2026 werden wir dann neben meiner erwarteten Marktnormalisierung auch mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder einen länger wirkenden Aufschwung in der Leistungshalbleiterbranche sehen.


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