…ein fundamentaler Wandel, der zu spät bemerkt wurde?
Es handelt sich um die größte Transformation der Branche, die ich erlebt habe. In den 80er und 90er Jahren galt noch die Größe eines Halbleiterunternehmens als maßgeblicher Faktor. Mit dem Entstehen von Silicon-Foundries wurde es notwendig, in den jeweiligen Teilmärkten der Beste zu sein. Diese Notwendigkeit wurde unterschätzt, und die Synergien zwischen den Teilbereichen überschätzt. Jetzt wissen wir: Wer in einigen Sparten nur Mittelmaß ist, dem nützen die Synergien nichts, er kann sie nicht ausschöpfen. Segment-Marktführerschaft ist also viel wichtiger als Größe an sich. Erst wenn ein Unternehmen in einer Sparte zu den Marktführern zählt, kann diese die notwendigen R&D-Investitionen erwirtschaften, um damit die Wettbewerbsfähigkeit der Sparte für die Zukunft zu sichern.
Offensichtlich hatte es aber doch zu lange gedauert, bis Infineon diese Erkenntnis in Aktionen umgesetzt hat?
Wir haben lange an den DRAMs festgehalten und uns getrennt, als die Synergien zu unseren anderen Sparten nicht mehr wirksam waren. Wer die Entscheidung aus reiner Marketing-Sicht hätte fällen können und nicht aus fertigungstechnischer, der hätte gegebenenfalls schon früher gehandelt.
Und Sie haben gezeigt, wie man es richtig macht, als Infineon die Handy-Chip-Sparte an Intel verkauft hat?
Das hat auch mit der gerade erwähnten großen Transformation zu tun. Heute ist es von größter Wichtigkeit, ICs nicht nur designen zu können, der IC-Hersteller muss auch die jeweiligen Anwendungen auf Systemebene sehr gut kennen und dort eine exzellente technische Integrationskompetenz entwickeln. Das bedeutet aber auch: Kein Unternehmen kann heute im Halbleiterbereich alles abdecken. Fokussierung ist wichtig. Wir waren mit der Handy-Chip-Sparte trotz sehr guter Erfolge nicht so positioniert, dass wir Marktführer werden und die notwendigen, hohen Investitionen erwirtschaften konnten – in unserem Portfolio fehlte der Applikationsprozessor. Der wiederum wird mit dem Basisband monolithisch integriert. Der Verkauf hat damit allen Seiten genützt; auch den Mitarbeitern dieser Sparte, die ihr hervorragendes Wissen nun bei Intel einbringen können.
Sie haben Infineon durch harte Zeiten und zur Profitabilität geführt. Welche Eigenschaften muss der CEO eines Halbleiterherstellers mitbringen, um erfolgreich zu sein?
Man sollte sich nicht von seinen eigenen Überzeugungen in eine Ecke drängen lassen. Einsam gebildete Vorstellungen von richtig und falsch können dazu führen, dass man sich schnell im falschen Quadranten wiederfindet. Die klassische hierarchische Steuerung funktioniert zumindest in der Halbleiterindustrie nicht mehr. Man muss fachlich extrem gute Leute und sehr gute Führungskräfte um sich scharen, auf deren Meinung hören und nicht versuchen, der Smarteste von allen zu sein. Mit Gespür und Zuhören lassen sich dann manche Probleme schon in der Keimphase verhindern. Wer nicht in der Mannschaft verwurzelt ist und zu lange zögert, bereut dies später umso mehr. Elementar ist auch die Kommunikation: Als Infineon sich von den Handy-Chips trennte und vom Geschäft mit drahtgebundener Kommunikation und Festplatten, waren das sehr einschneidende Entscheidungen; schließlich gaben wir damit etwa 40% unseres Umsatzes ab. Dabei war eines sehr wichtig: den Mitarbeitern die Beweggründe, die Konsequenzen und Zielsetzung des nun wesentlich kleineren Unternehmens Infineon glaubwürdig zu erläutern.
Das ist im Grunde paradox: einerseits keine allzu harten Vorstellungen von richtig und falsch, nicht den Mr. Obersmart zu spielen – andererseits dann aber doch Entscheidungen treffen, die die Experten und Befürworter so mancher Techniken so nicht treffen würden…
... das geht. Wir haben beispielsweise 2003/4 entschieden, HF-Funktionen in CMOS-ICs zu integrieren. Die damaligen HF-Experten kamen aus der Bipolar-Entwicklung und hätten eher weiter auf BICMOS-Technologien gesetzt. Es gab jedoch glücklicherweise eine Reihe von exzellenten CMOS-Experten für Analogschaltungen. Von der visionären Entscheidung einer sehr frühen HF-Integration in CMOS hat die Handy-Chip-Sparte damals stark profitiert. Das Management muss in unserer Branche nicht nur managen, sondern auch mit technischer Kompetenz führen können.
Hatten Sie Vorbilder, an denen Sie sich orientiert haben?
Das wichtigste für mich war immer, mit den Menschen zu reden und von möglichst vielen zu lernen. Wer mit den Mitarbeitern, Kunden und Wettbewerbern spricht, der lernt sehr viel. Ich beschäftige mich seit Jahren mit der Psychologie der Führung; das war sehr hilfreich. Auch in einem Technologie-Unternehmen sind die menschlichen, emotionalen Faktoren entscheidend. Man streitet oft nur vordergründig um technische Fakten und Zahlen; in Wirklichkeit geht es darum, wer Recht haben will und warum. Betrachtet man die Charaktere und handelt entsprechend, ist man oft schneller am Ziel, als mit rein technischen Diskussionen.
Jetzt sehen Sie Infineon auf den drei Säulen Energieeffizienz, Mobilität, Sicherheit sehr gut aufgestellt. Die Energiewende scheint dem Trend zur Energieeffizienz entgegen zu kommen. Allerdings lässt sie sich nicht so schnell umsetzen wie gedacht…