Neuer Atom - Hop oder Top?

Eintauchen in Intels Apollo Lake

6. März 2017, 11:42 Uhr | Frank Riemenschneider
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Fortsetzung des Artikels von Teil 3

Apollo-Lake im IoT – es gibt Grenzen

Intel ist ja schon lange dafür bekannt, das IoT, für das die neuen Prozessoren beworben werden, weit auszulegen: Verkaufsterminals, vernetzte Videoaufzeichnungssysteme, Medizingerätedisplays, Digital Signage, Unterhaltungssysteme und Dashboard im Auto sowie in Fabriken Displayterminals, welche die Arbeit der eigentlichen Industriesteuerungen überwachen. Für diese Anwendungen, in denen Intel bislang schon vertreten war, ist die E3900-Familie sicher die beste Atom-Generation aller Zeiten.

Was aber ist mit den ganzen anderen Embedded-Anwendungen, die Intel anstrebt und die bis heute von ARM-basierten SoCs dominiert werden? Für viele IoT-Clients sind die Chips einfach zu teuer, zu groß und zu energiehungrig. Die meisten Displays sind noch immer LCD-Panels, für welche die GPU ein Overkill darstellt.
Für IoT-Gateways fehlen WiFi, Bluetooth, ZigBee und Ethernet-Schnittstellen sowie Paketbeschleuniger jenseits von AES-NI. Für Industrieautomatisierung und Automobil jenseits des IVI sucht man vergeblich CAN-Schnittstellen, A/D-Wandler, Flash-Speicher, Lockstep-Funktionalität oder Low-Power-Standby-Timer, die auf einen externen Input warten, während die CPUs im Sleep-Modus verharren. Intel sagt, auf einem Atom A3900 könnten gleichzeitig IVI, Instrumentencluster und ADAS-Funktionen laufen – doch ob sich diese Mischung von extrem sicherheitskritischen und anderen Tasks durchsetzen wird, wagen Insider zu bezweifeln. Vermutlich werden die OEMs doch eher auf Hardware-Isolation setzen, wie es herkömmliche Arichtekturen wie Infineons Aurix oder auch ARMs neuer Cortex-R52 [2] leisten.
Intel behauptet weiterhin, die E3900-Chips seien von Grund auf neu designt und sehr zielgruppengerichtete Produkte für IoT-Anwendungen. Richtig ist, dass die Prozessoren denselben Die wie die Apollo-Lake-PC-Prozessoren nutzen, bei denen wegen des niedrigeren Preises Eigenschaften wie TCC, ECC und OS Guard abgeschaltet werden. Tatsächlich werden weiterhin dieselben externen Chips wie beim E3800 benötigt, um den Atom an die in Embedded-Anwendungen übliche Außenwelt anzubinden.
Diese Feststellungen sollen die objektiven Verbesserungen der neuen Chips im Vergleich zur Vorgängergeneration nicht schmälern, ganz im Gegenteil. Anwendungen, bei denen schon der E3800 erfolgreich eindesignt wurde, werden vom E3900 deutlich profitieren. Ein Vergleich mit einem bekannten und erfolgreichen Vertreter aus dem ARM-Camp, dem Sitara AM5728 [3], zeigt jedoch Intels Herausforderung bei der Erschließung neuer Embedded-Märkte.

Zwei SoCs für Embedded: TIs Sitara vs. Intels Atom

Als »Gegner« aus der ARM-Welt bietet sich für den Atom E3950 der bekannte und beliebte Sitara AM5728 von Texas Instruments an. Beide Chips haben PCI-Schnittstellen, SATA-Ports, DRAM-Controller, hochauslösende Video-Ausgänge und natürlich integrierte GPUs sowie ähnliche Taktfrequenzen. Auf Seiten der reinen CPU- und noch mehr der GPU-Rechenleistung ist der Sitara nicht nur wegen seiner Fertigung in einem 28-nm-Prozess dem E3950 hoffnungslos unterlegen. Denn ist der 32-bit-Dual-Issue-ARM-Cortex-A15 von seiner Single-Thread-Rechenleistung in vielen Workloads sogar noch nahe an der Goldmont-CPU dran, scheitert er bei 64-bit-Operanden und Multithreaded-Anwendungen wegen seiner nur zwei Cores statt deren vier deutlich. Dazu kommt die fast 4-mal höhere Speicherbandbreite des Atom bei Nutzung von DDR3L-Speichers mit ECC.

Noch schlechter sieht es für TI auf der Grafikseite aus. Die von Imagination lizensierte und nach unseren Schätzungen mit 425 MHz getaktete GPU PowerVR SGX544 ist ein uraltes Design, das z. B. schon in Samsungs Galaxy S5 auftauchte. Zur Ansteuerung eines 1080p-Monitors reicht es allerdings völlig aus und auf dem Galaxy S5 konnte man auch schon tolle Spiele spielen.
Der Sitara enthält dafür allerdings zwei 24- bzw. 8-bit-Videoeingänge und zwei 16-bit-Videoeingänge. Damit können Videodaten direkt von mehreren Kameras eingelesen und mittels des Vivante-320-Coprozessors sogar mit Grafikdaten gemischt werden, was für Videokonferenzen und Videoüberwachungen sehr nützlich ist. Der Atom benötigt einen externen Chip, um Videodaten zugeführt zu bekommen.
Stichwort Coprozessor: Der Atom hat die TXE und zwei kleine Audio-DSPs von der Vorgängergeneration übernommen. Der AM5728 dagegen insgesamt acht Coprozessoren, davon zwei leistungsfähige C66x-DSPs, die mit 750 MHz getaktet werden und bei digitaler Signalverarbeitung, Number Crunching und Gleitkommaarithmetik den Atom klar in den Schatten stellen.
Mit seinen zwei Cortex-M4-Mikrocontrollern und seiner programmierbaren Echtzeit-Einheit PRU-ICSS (Programmable Real Time Unit and Industrial Communication Subsystem), die auf vier proprietären RISC-Cores basiert [3], eignet sich der Sitara für Industrie-, Medizin- und Luftfahrt-Anwendungen, für welche die Atoms außer jeder Diskussion stehen. Dazu kommen Schnittstellen wie CAN und Ethernet und ein geschätzter Preis, der nur ein Viertel des Atoms beträgt (Tabelle, die PC-Variante des E3950 ist mit 161 Dollar gelistet, der Chip ist dank zusätzlicher Features sicher teurer).

Schlussbemerkungen

Aus Sicht eines CPU- und/oder GPU-Architekten geht einem bei Intels Apollo-Lake-Prozessoren das Herz auf – doch leider sind derartige Spezies nicht die Entscheider oder gar Einkäufer bei Embedded-Kunden. Wenn die x86-Kompatibilität keine Rolle spielt, bieten Hersteller wie TI, NXP (jetzt Qualcomm), Cavium oder Broadcom besser ausgestattete, billigere und energiesparendere Embedded-Prozessoren an. Auch wenn die E3900-Familie in Intels traditionellen Atom-Märkten sicher sehr erfolgreich sein wird, dürfte sie sich in den bislang von ARM-Lizenznehmern beherrschten Märkten nach meiner Erwartung schwer tun.(fr)

LITERATUR

 [1] Ironclad-Verschlüsselungs-Bibliothek: http://method-combination.net/lisp/ironclad

[2] Riemenschneider, F.: ARMs Cortex-R52 für funktionale Sicherheit. http://www.elektroniknet.de/design-elektronik/halbleiter/arm-cortex-r52-fuer-funktionale-sicherheit-134056.html

[3] Riemenschneider, F.: Neue Sitaras mit Rekordrechenleistung. http://www.elektroniknet.de/halbleiter/neue-sitaras-mit-rekord-rechenleistung-123908.html


  1. Eintauchen in Intels Apollo Lake
  2. Schnellerer Speicher – aber Achtung
  3. Quantensprung bei GPU
  4. Apollo-Lake im IoT – es gibt Grenzen

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