2023 noch im Plus

Deutsche Elektro- und Digitalindustrie 2024 mit Wachstumsdelle

9. März 2024, 11:00 Uhr | Iris Stroh
Die Entwicklung der Importe und Exporte der deutschen Elektro- und Digitalindustrie zwischen 2010 und 2023.
© ZVEI

Laut ZVEI musste die deutsche Elektro- und Digitalindustrie im letzten Jahr bereits viele Monate mit Umsatzrückgängen kämpfen, das Gesamtjahr wurde aber noch mit einem Plus abgeschlossen. Das soll dieses Jahr nicht möglich sein, der Rückgang soll jedoch nicht »dramatisch« ausfallen.

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»2023 ist für die deutsche Elektro- und Digitalindustrie insgesamt recht ordentlich gewesen«, erklärt ZVEI-Präsident Dr. Gunther Kegel im Rahmen der ZVEI-Jahresauftaktpressekonferenz. Laut seiner Aussage konnte die reale, preisbereinigte Produktion zum dritten Mal in Folge gesteigert werden und das trotz schwierigem Umfeld. Zum Zeitpunkt der Pressekonferenz war der ZVEI auf Basis der Zahlen bis einschließlich November noch von einem Plus von 1,4 Prozent ausgegangen, aber nachdem die Dezemberzahlen vorlagen, ist dieses Plus auf 0,5 Prozent geschrumpft – aber immerhin ein kleines Plus. Wobei die verschiedenen Segmente der deutschen Elektro- und Digitalindustrie im letzten Jahr durchaus mit unterschiedlichen Marktgegebenheiten zu kämpfen hatten.

So konnten laut Dr. Kegel die Bereiche »Batterien« (+ 7 %), Energietechnik (+ 4 %), Automation (+3 %) und elektronische Bauelemente (+7 %)  durchaus Wachstum verzeichnen, im Segment Gebrauchsgüter wiederum ergab sich ein Minus von 13 %.

Nichtsdestotrotz: »2023 konnte die Elektro- und Digitalindustrie ein erneutes Rekordhoch mit nominalen Erlösen in Höhe von 242 Mrd. Euro erreichen, und die Anzahl der Mitarbeiter stieg 2023 um 12.000«, so Dr. Kegel weiter.

Dass 2023 noch ein Plus erreicht werden konnte, begründet Dr. Kegel mit den ersten Monaten des Jahres, die einfach richtig gut liefen. Aber bereits im zweiten Quartal zeigten sich die ersten Bremsspuren, sodass sich mittlerweile zum Ende des Jahres 2023 wieder 17.000 Menschen der Branche in Kurzarbeit befinden.

Im zweiten Halbjahr 2023 waren alle Umsätze, die über den Export erzielt wurden, geringer ausgefallen als in den vergleichbaren Monaten des Vorjahres. Doch auch hier gilt: Über das gesamte Jahr gerechnet ergibt sich ein Plus von 2,7 Prozent, das Gesamtvolumen belief sich auf 253,8 Mrd. Euro – ein neuer Rekord (dieser Wert hat sich in den letzten zehn Jahren um fast 100 Mrd. Euro erhöht). Dr. Kegel mahnt aber an: »Bei den Handelsabkommen ist ein Stillstand eingetreten, Europa muss hier viel schneller werden.« Europa hätte es bislang noch nicht einmal geschafft, mit Australien ein Handelsabkommen abzuschließen, es »sind zu viele Stellen involviert«, so Dr. Kegel weiter. Darüber hinaus seien mehr Rohstoffabkommen notwendig und in beiden Fällen sollte eine Ratifizierung nur durch europäische Institutionen erfolgen, das erhöhe die Geschwindigkeit.

Märkte und internationale Beziehungen

Die zehn wichtigsten Abnehmerländer für die deutsche Elektro- und Digitalindustrie.
Die zehn wichtigsten Abnehmerländer für die deutsche Elektro- und Digitalindustrie
© ZVEI

China (Nr. 1) und die USA sind weiterhin mit rund 25 Mrd. Euro die zwei wichtigsten Abnehmerländer für Deutschland, aber mehr als die Hälfte wird in die Europäische Union geliefert. Dr. Kegel: »Angesichts wachsender geopolitischer Spannungen wird der europäische Binnenmarkt immer wichtiger. Will die EU zwischen den USA und China weiterhin eine eigenständige Rolle einnehmen, muss sie den Binnenmarkt konsequenter auf Wachstum ausrichten und von industriefremder Regulierung wie dem EU-Lieferkettengesetz ablassen.« Kegel spricht in diesem Zusammenhang auch von Verordnungswut und fordert, dass die nächste EU-Kommission den Regulierungs-tsunami und eine in Teilen nahezu entfesselte Bürokratie stoppen müsse, denn das schwäche die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen. »Wir brauchen jetzt eine Europäische Union, die industrielle Wertschöpfung in den Fokus stellt. Und mit Hinblick auf einen von manchen geforderten »Dexit« (Deutschland raus aus der europäischen Union) erteilt Dr. Kegel eine klare Absage: »Wer meint, dass Deutschland auf sich allein gestellt besser fahren könnte, offenbart gefährliche wirtschaftspolitische Ahnungslosigkeit.«

Und auch wenn die Elektro- und Digitalindustrie umsatztechnisch heute wieder höher als vor Corona liegt, ist Dr. Kegel für dieses Jahr nicht optimistisch. In diesem Zusammenhang verweist er auf hohe Zinsen, hohe Strompreise, Inflation, politische Unwägbarkeiten (Ukraine, Israel) und den schwelenden Konflikt zwischen USA und China, sodass die Schlussfolgerung für dieses Jahr lautet: »Die Branche steht vor einer Wachstumsdelle. Auf Jahressicht erwarten wir, dass die reale Produktion um zwei Prozent nachgeben wird.«

Wie oben bereits erwähnt, ist China das wichtigste Exportland für Deutschland, weshalb Dr. Kegel der Überzeugung ist, dass eine Handelssperre mit China »uns den Wohlstand kosten würde«. Ein Vergleich: Die Handelsbeschränkungen mit Russland haben Deutschland nicht hart getroffen, denn bereits vor dem Krieg mit der Ukraine stand diese Region für weniger als 2 Prozent der Branchenausfuhren. Anders verhält es sich mit China: »China steht für mehr als 10 Prozent, für manche Unternehmen sogar für mehr als 20 Prozent«, so Dr. Kegel.

Deutschland bleibt wichtiger Standort

Erfreulich sind die Ergebnisse einer ZVEI-Mitgliederbefragung in Hinblick auf ihr für dieses Jahr geplantes Investitionsverhalten. So erklärt Wolfgang Weber, Vorsitzender der ZVEI-Geschäftsführung, »60 Prozent der Unternehmen wollen in diesem Jahr mehr investieren als im Mittel der vergangenen drei Jahre.« Und weiter: »Deutschland ist der bevorzugte Investitionsstandort, vier von fünf Unternehmen planen hier zu investieren. Es findet kein Rückzug vom Standort Deutschland statt.« Für mehr als die Hälfte ist Europa, aber auch China (gleichauf mit Europa) ein attraktiver Investitionsstandort.

Insgesamt wollen die Unternehmen also ihre Investitionstätigkeit weltweit erhöhen, obwohl alle Firmen die aktuelle geopolitische und politische Lage als unsicher bewerten. Auch die Aufwendungen der Elektro- und Digitalindustrie für Forschung und Entwicklung (22,1 Mrd. Euro) bzw. Investitionen (9 Mrd. Euro) sind auf Rekordlevel und oberhalb des Vor-Corona-Niveaus. Viele von den jährlich angemeldeten mehr als 13.000 Patenten kommen aus Bereichen der drei herrschenden Megatrends – Digitalisierung, Elektrifizierung und Automatisierung. »Unsere Branche ist bei Patenten für grüne Technologien gut aufgestellt, sieht sich aber immer stärkerer Konkurrenz aus China ausgesetzt«, so Weber weiter.

Das deutsche Energieproblem

»Die Energiewende kommt voran«, erklärt Weber weiter. Damit endet aber auch schon die gute Nachricht, denn er erklärt weiter, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien dennoch zu langsam ist, dass bis 2032 noch 92.642 km Leitungen im deutschen Verteilnetz optimiert, verstärkt, ersetzt oder neu gebaut werden müssten, dass dafür die Rahmenbedingungen aber unklar seien, was seriöse Investitionsplanungen der Unternehmen verhindere. Außerdem ist Weber überzeugt, dass eine Flexibilisierung des Stromverbrauchs eine wichtige Stellschraube sei, die mehr genutzt werden müsste. »Die dafür notwendigen Technologien sind da«, so Weber. Aber auch hier ist die Geschwindigkeit ein Problem. Das Ziel lautet: bis 2030 sollen 15 Mio. Smart Meter eingebaut werden, »vorletztes Jahr hatten weniger als 1 Prozent der Haushalte ein Smart Meter«, so Weber weiter. Da- rüber hinaus fordert er, dass die Netzentgelte im Zaum gehalten werden müssen und dass die beschlossenen Entlastungen nicht verwässert werden dürfen. Weber weiter: »Die Stromsteuer muss für alle auf das europäische Mindestmaß reduziert werden.«

Technologien fördern, nicht bremsen

Von der EU fordert der ZVEI mehr Mut und eine insgesamt deutlich innovationsoffenere Haltung. »Unser Eindruck ist, dass die EU aktuell beim Einsatz von künstlicher Intelligenz vor allem regulatorisch vorprescht und dabei viel zu wenig präzise ist. Die vorliegende KI-Verordnung droht so zu einer massiven Innovationsbremse zu werden, die mit unnötigen bürokratischen Kosten und einem hohen Maß an Rechtsunsicherheit für die Industrie einhergeht.« Positiv bewertet der Verband, dass die EU zur Stärkung ihrer technologischen Souveränität die strategische Bedeutung von Schlüsseltechnologien herausstellt. Es sei wichtig, stärker in Ökosystemen zu handeln. »Eine leistungsstarke Chipindustrie etwa braucht Verbindungstechnik und Elektronikfertigung«, so Weber. Mittlerweile beliefe sich Europas Anteil an der weltweiten Leiterplattenproduktion nur noch auf 3 Prozent, 2000 waren es noch 20 Prozent. »Es bestehen mittlerweile zu große Abhängigkeiten. Die Produktion solcher Komponenten muss als förderfähig unter dem ›Net-Zero Industry Act‹ eingestuft werden.«

Demokratie und offene liberale Gesellschaft ist ein Muss

Dr. Kegel betont, dass der ZVEI für Demokratie und eine liberale, offene Gesellschaft eintritt. Rassismus, Antisemitismus, Ausländerfeindlichkeit, jede Facette rechter Ideologie lehne der ZVEI entschieden ab. In rechtsextremen Strömungen erkennt er die größte Gefahr für die demokratische Grundordnung, die Freiheit und das Ansehen Deutschlands in der Welt. Kegel: »Rechtsextremistische Parteien schaden dem Wirtschaftsstandort und damit dem Wohlstand.

Dies gilt auch für die AFD.« Es sei gut, dass sich die gesellschaftliche Mitte gegen den Rechtsextremismus stellt, das reiche aber nicht, auch die politischen Parteien müssten reagieren.


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