Die KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft hat ihre Studie »Business Destination Germany 2024« vorgelegt, für die 350 CFOs der größten deutschen Tochtergesellschaften internationaler Konzerne befragt wurden, was sie von Deutschland als Investitionsstandort halten – mit besorgniserregendem Ergebnis.
Die Kernaussage: »Die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Deutschland ist in Gefahr.«
»Wir haben zu lange von der Substanz gelebt und wichtige Reformen vernachlässigt. Aktuell schätzt fast jeder zweite internationale CFO (46%) andere Länder und Regionen als wachstumsstärker ein. Neue Investitionen in den kommenden fünf Jahren werden sie prioritär dort tätigen,« sagt Andreas Glunz, Bereichsvorstand International Business bei der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft bei der Präsentation der Studie »Business Destination Germany 2024«.
Die Studie ist bereits die vierte ihrer Art (2017, 2019, 2021) und zeigt, dass sich alle Standortfaktoren mit zunehmender Dynamik verschlechtern. So rutscht die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt im EU-Vergleich zunehmend ins Mittelfeld ab. So weist der KPMG-Standort-Index, in den 23 Standortfaktoren einfließen, nur noch einen Wert von +1,2 auf der Skala von +10 (Spitze im EU-Vergleich) bis -10 (Schlusslicht im EU-Vergleich) auf. Dies entspricht einer Halbierung gegenüber dem Wert der Studie aus 2021 (+2,4). 2017 lag der Wert noch bei +3,1.
Die Nennungen Deutschlands als Spitzenreiter oder Top 5 EU-Land haben bei vielen individuellen Standortfaktoren im Vergleich mit dem KPMG-Standort-Index 2021 zudem massiv abgenommen: Politische Stabilität (-22 Prozentpunkte), Arbeitsproduktivität (-17 Prozentpunkte) und logistische/physische Infrastruktur (-16 Prozentpunkte).
Anders als noch vor zwei Jahren bewerten ausländische Investoren auch solche Faktoren deutlich schlechter, die die Zukunftsfähigkeit besonders nachhaltig beeinflussen und die bislang zu den ausgesprochenen Stärken Deutschlands zählten: Forschungslandschaft (-13 Prozentpunkte) sowie Innovationsfreundliches Umfeld (-8 Prozentpunkte).
Zu den größten Investitionshemmnissen zählt der unzureichende Digitalisierungsgrad der öffentlichen Verwaltung (-4,1). Jeder vierte internationale CFO (25 %) nennt Deutschland als Schlusslicht. Weitere 36 % positionieren die Bundesrepublik unter den fünf schwächsten Ländern im EU-Vergleich.
Ähnlich negativ wird die digitale Infrastruktur (-2,0) bewertet. Lediglich 11 % der internationalen Investoren in Deutschland sehen diese noch unter den Top 5 in der EU. Im Gegensatz dazu stufen 9 % sie als die schlechteste in der gesamten Europäischen Union ein.
Die Demografie erschwert die Verfügbarkeit von Fach- und hochqualifizierten Arbeitskräften. Nur knapp jeder vierte Befragte (23 %) sieht die Bundesrepublik noch unter den Top-5-Standorten in Europa. 21 % der CFOs ordnen Deutschland unter den letzten fünf EU-Ländern ein. Weitere 8 % nennen den Standort sogar als Schlusslicht in Europa.
Andreas Glunz: »Eine Zuwanderung von 500.000 qualifizierten Arbeitskräften pro Jahr wäre nötig, um den Fachkräftemangel in Deutschland auszugleichen. Aber viele der Zuwanderer fassen im Arbeitsleben nicht Fuß oder verlassen das Land schnell wieder. Hochqualifizierte Kräfte meiden Deutschland zunehmend. Wichtig wäre eine modernisierte Einwanderungspolitik respektive eine Migrationsstrategie, die integrations-, produktivitäts- und bedarfsorientiert ist.«
Umfang und Komplexität der Bürokratie bleiben ein großes Hindernis. 16 % der internationalen Investoren sehen Deutschland als Schlusslicht im europäischen Vergleich. Weitere 18 % bewerten den Standort als eines der schwächsten fünf Länder. »Deutschland muss sich massiv entbürokratisieren«, so KPMG-Bereichsvorstand Glunz. »Der Wirtschaftsstandort hat zu lange unter chronischer Überregulierung gelitten.«
Neben der Bürokratie kritisieren ausländische Investoren die festgefahrene Energiewende. Besonders energieintensive Industrien sind durch die hohen Energiekosten belastet. 38% der befragten CFOs sehen Deutschland hier entweder als Schlusslicht (15 %) oder unter den letzten fünf EU-Ländern (23%). 13 % der Befragten erwägen deshalb sogar eine Verlagerung ihrer Produktion aus Deutschland ins Ausland. Bei den befragten US-Unternehmen zieht dieses sogar knapp jedes Vierte (24 %) in Betracht.
Während 2021 eine große Mehrheit (80 %) der Befragten Deutschland hinsichtlich seiner politischen Stabilität zu den fünf attraktivsten Ländern in der EU zählten, waren es Ende 2023 nur noch 58 %. 13 % sehen Deutschland mittlerweile sogar unter den schwächsten fünf Nationen. 2021 waren es gerade einmal zwei Prozent.
Internationale Investoren fühlen sich am Standort Deutschland weniger willkommen als noch vor zwei Jahren. Dies zeigt sich an einer deutlich schlechteren Bewertung der Offenheit für ausländische Investoren (-16 Prozentpunkte), einer gesunkenen Ausrichtung auf deren Bedürfnisse (-13 Prozentpunkte) sowie eine unzureichende Förderung und wenige Anreize für Unternehmensansiedlungen bzw. -erweiterungen (-10 Prozentpunkte).
»Mehr als jeder fünfte internationale CFO zählt Deutschland bei seiner Ausrichtung auf die Bedürfnisse internationaler Investoren zu den schwächsten fünf Ländern (22 %) im EU-Vergleich. Um global erfolgreich zu sein, muss Deutschland für internationale Investoren wieder deutlich attraktiver werden«, kommentiert Glunz und weiter: »Deutsche Unternehmen verlagern ihre Produktion zunehmend ins Ausland. Auch internationale Investoren bewerten die Schwächen Deutschlands immer kritischer. Diese Entwicklung ist alarmierend, da diese Unternehmen rund ein Fünftel der deutschen Bruttowertschöpfung erwirtschaften. Damit steht die Zukunft des Standorts auf dem Spiel. Um diese Negativtrends zu brechen und Deutschland wieder an die Spitze in der EU zu führen, braucht es jetzt ein konzertiertes Maßnahmenbündel. Die Forderungen des „Industrial Deals“ nach einem Business Case für Europa und Deutschland unterschreibe ich daher voll«, so Glunz.
Positiv ist, dass mehr als jeder zweite der befragten internationalen CFO´s (52 %) für sein Unternehmen Chancen in den großen Transformationsaufgaben Deutschlands erkennt und daher in den kommenden fünf Jahren hierzulande investieren will. Nur 7 % wollen ihre Präsenz in Deutschland verringern, 37 % wollen sie steigern.
Glunz: »Deutschland befindet sich in einem Transformationsprozess nie gekannten Ausmaßes: Dazu zählen die Energiewende, das Erreichen der Klimaneutralität, die Digitalisierung, die Überalterung der Gesellschaft, die Verteidigungsfähigkeit des Landes und eine funktionierende Infrastruktur. Für die Modernisierung des Standorts stehen milliardenschwere Förderpakete zur Verfügung. Internationale Konzerne haben erkannt, dass dies Chancen bietet und starten Mega-Investitionsprojekte.«
Pluspunkte: Zentrale logistische Lage, hoher Lebensstandard und öffentliche Sicherheit
Im EU-Vergleich befindet sich Deutschland bei einem Großteil der Standortfaktoren nach wie vor im oberen Mittelfeld. Die besten Bewertungen erhält der Wirtschaftsstandort erneut bei den Faktoren Lebensstandard (72 % zählen Deutschland zu den Top 5 in der EU; -9 Prozentpunkte ggü. 2021) sowie öffentliche Sicherheit (69 %; -11 Prozentpunkte).
Weiter attraktiv für internationale Konzerne ist die logistische Lage Deutschlands im Herzen Europas. Für 79 % der befragten internationalen CFOs schneidet die Bunderepublik hier entweder als Spitzenreiter (20 %) respektive unter den Top fünf (59 %) ab.