Embedded-KI

Gefahr oder Heilsbringer?

15. März 2024, 8:00 Uhr | Tobias Schlichtmeier
Viacheslav Gromov, Geschäftsführer des Embedded-KI-Anbieters AITAD.
© AITAD

Das Unternehmen AITAD ist Hersteller von Embedded-KI und in den vergangenen Jahren stark gewachsen – auch dank dem Trend künstliche Intelligenz. Wie Gründer und Geschäftsführer Viacheslav Gromov die Chancen und Risiken von KI einschätzt, erfahren Sie im Interview.

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In industriellen Anwendungen kommt mehr und mehr künstliche Intelligenz (KI) zum Einsatz. Jedoch ist Deutschland weltweit gesehen kein Vorreiter bei KI. Was muss passieren, damit Deutschland nicht den Anschluss verpasst?

Viacheslav Gromov, AITAD: Wie bei vielen anderen Technologien, neigt man bei uns in Deutschland dazu, zuerst mögliche Gefahren zu sehen anstelle der Chancen, die sich daraus ergeben. Die Konsequenz: Wir wollen uns in Politik und Gesellschaft präventiv schützen. Aus meiner Sicht ist das der falsche Weg. Wichtig wären Technologieoffenheit und Optimismus. Natürlich müssen wir bei KI mehr aufklären und die Chancen klar herausstellen. Machen wir das nicht, bleibt nur noch die Eskalation: Es muss erst richtig weh tun, bevor wir eine große Transformation vollziehen.

Der Mittelstand und auch die Großkonzerne sind aber durch die aktuellen globalen Entwicklungen aufgerüttelt und beschäftigen sich inzwischen intensiv mit KI – doch bis dies zu Politik und Gesellschaft durchgedrungen ist, wird es möglicherweise noch lange dauern.

Insgesamt sind unsere Voraussetzungen mit Datenschutz- und anderen Regularien (Stichpunkt Datenverfügbarkeit) sowie hohen Energiekosten (Stichpunkt Serverbetrieb) und fehlender gesellschaftlicher bzw. politischer Zielrichtung nicht optimal. Eigentlich müssen Wirtschaft und Gesellschaft verstehen, dass der globale Wettbewerb bei KI noch volatil ist und dass wir diese Chance gezielt fokussieren müssen – mit bewusstem Verzicht auf andere, eher unrealistische Ambitionen.

Besteht eine Gefahr für Unternehmen, wenn sie zum Beispiel in der Herstellung/Produktion zu stark auf künstliche Intelligenz setzen?

Ohne KI wird man kurz- bis mittelfristig nicht mehr wettbewerbsfähig sein. Das ist das tückische an Phänomenen wie etwa den »Shifting Baselines« – man spürt kaum, wie die Nutzung einer Technologie zunimmt – und erwacht dann leider spät. Um konkret zu werden: Der KI-Einsatz, vom Chatbot in Office365, Plug-ins zur Bildgenerierung in Photoshop bis hin zum Github Copilot, nimmt zu und wird im Wettbewerb vorausgesetzt – man muss also stets vor der Welle schwimmen, weil zuvor noch Neues nun zum Standard wird.

Gefahren sehe ich eher darin, sich an Cloud-Riesen zu binden und dadurch Abhängigkeiten zu schaffen, die man nicht will und die am Ende immer Geld und/oder Aufwand kosten. Und nach wie vor rate ich dazu, beim Thema KI immer hellhörig zu werden – auf dem Markt wird mit diesem Marketing-Kampfbegriff alles verargumentiert.

Mit dem sogenannten AI Act möchte die EU den Einsatz von KI – zumindest in gewissen Teilen – regeln. Bedeutet das in Ihren Augen einen Rückschlag und einen Wettbewerbsnachteil für deutsche bzw. europäische Unternehmen?

Ja, davon bin ich überzeugt. Der EU AI Act ist eine der präventiven Überregulierungsmaßnahmen, auf die ich vorhin anspielte. Daran wurde lange gebastelt, der nationale Widerstand kam spät und konnte sich nicht durchsetzen. Aus technischer Sicht sind die Regeln schlecht fundiert und werden auch nicht den KI-üblichen, schnellen Innovationszyklen gerecht. Beispiele sind die absurde Unterscheidung der Gefahr nach KI-Modellgröße oder die Erfüllungskriterien.

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Embedded-KI
Bild 1. Embedded-KI ist ein interdisziplinäres Feld und geht nur in Teamarbeit zwischen den Ingenieurdisziplinen.
© AITAD

Was bedeutet der EU AI Act konkret für Sie als Hersteller von sogenannter »Embedded-KI«?

Für uns konkret bestünden immer mehr Verpflichtungen, bestimmte Bias abzutesten und nachzuweisen. Das tun wir aber schon heute. Ob die Leistung einer Gesten- oder Personenerkennung von der Hautfarbe abhängt, liegt am Datensatz und der Präsentation der Daten beim Training. Mit Augmentation und ähnlichen Verfahren kann man dies verhindern. Zukünftig werden zunehmend Nachweisdokumentationspflichten in Bezug auf die rechtsstaatlichen Erfüllungskriterien auf uns zukommen, obwohl die Technologie ein sehr geringes Systemrisiko mitbringt. Unsere Kunden werden dies allerdings nicht spüren.

Der AI Act soll vor allem die Sicherheit des Endnutzers erhöhen. Gibt es bestimmte Sicherheitsaspekte, die Sie nun in Ihre Embedded-KI-Produkte integrieren müssen?

Da es noch nicht konkret in nationales Recht gegossen wurde, ist das schwierig zu beantworten. Da wir es oft mit sehr risikoarmen, eher redundanten und effizienz- und nachhaltigkeitssteigernden Systemen zu tun haben, gehen wir nicht von allzu großen Auflagen aus. Es kann sein, dass die Dokumentation nach außen mit den Nachweispflichten transparenter werden muss, die dem Endkunden dann zugänglich gemacht werden. Dies ist zunächst einmal gut, legt dem Nicht-EU-Wettbewerb die Karten aber offener hin.

Zur Sicherheit eines Systems gehören unter anderem regelmäßige Updates. Wie können Sie die Herstellung optimieren, um den Aufwand für Updates zu gering wie möglich zu halten?

Wir entwickeln unsere Embedded-KI-Sensoren je nach Kundenwunsch sehr generalistisch. Das ist auch die Stärke von Machine-Learning-Modellen: Robustheit bei Varianz. Das bedeutet, dass wir durch Datenrepräsentation aber auch Augmentation- und Preprocessing-Methoden möglichst universell auf den spezifischen Use Case trainieren, sodass mögliche Änderungen wie Alterung oder neue Umstände auf das Ergebnis nachweislich weniger Einfluss haben. Das ist die günstigste und seitens Systemgröße kleinste Variante. Bei vielen Branchen ist auch Update-Fähigkeit nicht möglich oder nicht erwünscht.

Darüber hinaus bieten wir aber auch gezielt Update-Fähigkeit an, mit verschiedenen Strategien: Von Falsch-Datenausschleusen im Feld und zentralem Nachtrainieren pro Serie oder individuelle Anpassungen, wenn die Maschine schon beim Kunden steht. Das kann oft automatisiert ohne großen Aufwand passieren. Zudem kommt mehr und mehr das adaptive Lernen, es wird also in naher Zukunft möglich sein, dass die Embedded-KI-Sensoren auch selbstständig im vorgegebenen Maße live nachtrainieren.

Bestückung im Produktionsprozess
Bild 2. Bestückung im Produktionsprozess einer Prototypenplatine. Hier halb automatisiert.
© AITAD

Neben Embedded-KI haben Sie sich dem autonomen Fahren verschrieben. Welche Komponenten entwickeln Sie für diesen Markt?

Diese Themen gehören zusammen, im Automotive-Markt sehen wir eines unserer Kundensegmente für unsere Embedded-KI-Systemkomponenten, dazu noch ein sehr wichtiges. Für Automotive arbeiten wir viel im Bereich der Verschleißerkennung im Antriebsstrang, machen bestehende Sensorik robuster, optimieren bestimmte Testing-Komponenten und arbeiten außerhalb des Fahrzeugs an Prüfständen in den Werken.
Bei zukünftigen ADAS-Fahrzeugen wird neben dem bekannten Perception-Thema, bei dem wir mit unseren intelligenten Sensoren helfen können, vor allem das Thema Insassen-Monitoring an Bedeutung gewinnen. Wenn kein Mensch aktiv steuert, muss das Fahrzeug trotzdem wissen, wie es den Insassen (emotional und gesundheitlich) geht, wie die Gewichtsverteilung ist, wo im Innenraum ungesicherte Gegenstände liegen – bis hin zur Klimaregelung. Von entsprechenden IR-Rastersensoren für Personenerkennung über NIR-Gesichtssensoren zwecks Schlaganfallthematik bis zur Sprachanalyse für Herzinfarktthematik ist das Potenzial der Embedded-KI mit hoher und echtzeitfähiger Vor-Ort-Verarbeitung enorm.

Als junges Unternehmen sind Sie auf Tools und Partner aus der Industrie angewiesen. Auf welche Tools und Partner setzen Sie beim Entwickeln Ihrer Produkte?

Wir nutzen überwiegend eigene Skripte, daher sind wir mehr auf eigene Server mit neusten Nvidia-GPUs und die entsprechende IT-Infrastruktur angewiesen. Unsere Lieferanten von Produktionsmaschinen sind wichtig, aber auch die Halbleiterhersteller, die immer mehr KI-beschleunigte Chips auf den Markt bringen. Wir arbeiten mit einigen Herstellern, u. a. ST Microelectronics und Silicon Labs, offiziell zusammen, denen wir glücklicherweise immer wieder Wünsche für zukünftige KI-beschleunigte Halbleiter und Sensoren mitteilen dürfen.

Zinsen und Löhne steigen, Fachpersonal ist knapp wie nie. Dennoch haben Sie es während der Pandemie geschafft zu wachsen. Wie ist Ihnen das gelungen und wie finden Sie derzeit das nötige Personal, um weiter wachsen zu können?

Der Personalmangel trifft uns eher bei verbreiteten Berufen wie Buchhaltung, Sales oder Projektmanagement. Unsere fachspezifischen Ingenieure kommen aufgrund unseres Rufs und der Möglichkeit, sich schnell, agil und auf kurzen Wegen in Produkten diverser Hersteller zu verwirklichen und unsere Mission der dezentralen, menschenzentrierten Embedded-KI voranzutreiben. Mittlerweile haben wir durch Veröffentlichungen in Wirtschaftspresse wie der »Wirtschaftswoche«, »Reuters« oder im Fernsehen (SWR) unseren Bekanntheitsgrad deutlich gesteigert. Das spüren wir auch an der Zahl der Bewerbungen.

Gesamtwirtschaftlich beschäftigt mich aber eher das Thema der Personal-Reallokation: Wie bekommen wir durch KI weggefallene Berufe (wie z. B. den des Busfahrers beim autonomen Fahren) in interpersonelle oder interpersonale Empathie-Berufe wie Kindererzieher oder Krankenpfleger transferiert? Ich wette, dieser Trend wird früher kommen, als dies unsere Wirtschaftsweisen vorhersagen und auch gewichtiger einschlagen, als wir uns ausmalen. Es wird also spannend – und chancenreich.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Gromov.


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