Auf Basis von NXP-Automotive-Prozessoren und Microsys-SoMs ist eine schnittstellenreiche Edge-Computing-Plattform zur Datenerfassung und -verarbeitung in Fahrzeugen entstanden. Sie hilft bei der Automotive-Entwicklung und Qualitätssicherung.
Weiß Elektronik und Software hat mit seinem »WeMOTA G2« eine Update-fähige Edge-Computing-Plattform zum Einsatz in Fahrzeugen entwickelt. Sie dient dem Auswerten von Komponenten- und Umgebungsdaten in Testfahrzeugen und basiert auf System-on-Modules von Microsys Electronics.
Die Entwickler von Microsys Electronics haben die Plattform auf Basis der Vehicle-Network-Prozessoren »S32G« von NXP Semiconductors designt. Sie ist für den universellen Einsatz in Fahrzeugen konzipiert: Mögliche Applikationen reichen vom Datenlogger und Gateway bis hin zum Domain- oder Safety-Controller. Mit Schnittstellen wie CAN, FlexRay, LIN sowie Ethernet und Ethernet T1 unterstützt die Plattform aktuell und zukünftig gängige Fahrzeugschnittstellen. Aufgrund seiner optional bis zu acht Arm-Cortex-A53-Cores eignet sich das System sogar zum Aufzeichnen und Auswerten von Lidar- und Kameradaten, was für zunehmend autonom fahrende Fahrzeuge entscheidend ist.
Microsys Electronics liefert für das System sowohl das applikationsfertige System-on-Module (SoM) als auch das passende Mainboard. Für zusätzlich benötigte Schnittstellen entwickelt und fertigt Weiß Elektronik und Software Mezzanine-Karten für das Mainboard.
Alleinstellungsmerkmal des Systems ist die sehr differenzierte und weitgehend freie Over-the-Air(OTA)-Konfigurierbarkeit zum Erfassen und Auswerten der Daten am Edge. Mit »intelligenten« Vorbedingungen und Triggern ist es möglich, die immens großen Datenmengen, die ein smartes Fahrzeug heute produziert, auf das Essenzielle zu destillieren – immer mit dem Ziel, lediglich die Daten bereitzustellen, die nötig sind. Zur Aggregation der Daten kann aufgrund der hohen Rechenleistung von WeMOTA ein komplexes Vorverarbeiten der Daten erfolgen. So lassen sich beispielsweise Lastkollektive bilden, die das Beanspruchen von Komponenten in wenigen relevanten Kennzahlen zeigen und zum Beispiel lediglich wöchentlich übertragen werden.
Ein Kunde kann mit seinem Systemwissen prädiktiv Diagnose oder Wartungsarbeiten einleiten. Es lassen sich also nicht mehr lediglich Gigabytes an Rohdaten loggen und übertragen, um sie erst später in einer Cloud zu analysieren. Messreihen lassen sich vielmehr auf wenige Kilobytes reduzieren und zum Übertragen der Daten komprimieren und verschlüsseln. Alle nötigen Auswertungen lassen sich also bereits am Edge ausführen. Vorteile sind die deutlich reduzierten Bandbreiten- und Datenvolumenanforderungen an die integrierten GSM- und Funkmodule; zudem sind Informationen, die Entwickler interessieren, auf den Punkt gebracht.
Über das Cloud-Back-End werden die Daten zudem passgenau zu kundenspezifischen Reports aufbereitet, auf einem Dashboard dargestellt und zum Download bereitgestellt – er ist ebenfalls bedarfsgerecht konfigurierbar. Anwender können entscheiden, ob sie die Daten beispielsweise im Excel-, CSV-, HTML -oder TXT-Format – um einige Optionen zu nennen – bereitgestellt bekommen.
Selbst Kameradaten lassen sich mit dem WeMOTA-G2-System bei bestimmten Situationen aufzeichnen (Bild 1). Über einen Temperatursensor getriggert lassen sich beispielsweise Daten einer Wärmekamera aufzeichnen, um das Glühen eines Krümmers zu dokumentieren. Ebenfalls dokumentierbar ist zum Beispiel das Verkehrsgeschehen. Das Abspeichern einer Videosequenz lässt sich hierbei zum Beispiel auf 15 Sekunden vor und 30 Sekunden nach einer Vollbremsung parametrieren. Alles ist sehr frei konfigurierbar und mit zahlreichen Bedingungen verknüpfbar.
OTA-Updates sind für diese Linux-basierten Systeme zudem jederzeit möglich, sodass Entwickler neue Messreihen-Konfigurationen sowie die Applikationssoftware und die Firmware des Systems aus er Ferne aktualisieren und flashen können.
Zum Einsatz kommen die Systeme vor allem zum Generieren von Nutzungsdaten, die wertvolle Erkenntnisse zum Weiterentwickeln von Fahrzeugkomponenten liefern. Ein weiterer Einsatzbereich ist das Entwickeln einer Vorserie, um beispielsweise neue Sensoren zu testen. Über das System lassen sich hierfür Daten nicht nur auslesen, sondern ebenso Gateways zwischen unterschiedlichen Bussystemen realisieren. Weitere Anwendungsbereiche sind Misuse- und Behavior-Tests, um zu testen, wie robust eine Systemkonfiguration ist, beispielsweise bei Third-Party-Komponenten. Auch im Showcar-Sektor kann das System zum Einsatz kommen, um beispielsweise noch nicht implementierte Funktionen darzustellen.
Anwender des WeMOTA-G2-Systems sind dabei einerseits Motor-, Fahrwerk- und Grundfahrzeughersteller, andererseits OEMs zahlreicher Nutzfahrzeugbranchen, deren Kernkompetenz in den spezifischen Aufbauten liegt. Sie alle können das System nutzen, um die Anwendung ihrer Produkte unter realen Einsatzbedingungen zu verstehen und infolge Komponenten zu optimieren. Für einen Müllfahrzeughersteller können beispielsweise die Daten der Hydraulik und des Kompressors der Müllpresse sowie deren Füllstand wichtig sein. Zudem mag er an der Geschwindigkeit des Fahrzeugs interessiert sein. Hat er jedoch keine Möglichkeit, auf den Geschwindigkeitssensor des Motors zuzugreifen, kann er die Position und Geschwindigkeit über den im System integrierten GPS-Sensor ermitteln.
Wann benötigen Fahrzeughersteller eine Datenerfassung im laufenden Betrieb? |
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Daten sind das Gold dieses Jahrhunderts. Wie vielfältig sie sein können, zeigt schon allein die Nahaufnahme der Verkabelung eines LKW-Motorsteuergeräts. Systeme, die alle Nutzungsdaten liefern können, bieten zum einen wertvolle Daten zum Weiterentwickeln von Fahrzeugen: Fahren Kunden beispielsweise sehr oft im dritten Gang, ist es wichtig, dieses Getriebe besonders gut auszulegen, damit Motoren eine Lebensdauer von beispielsweise einer Million Kilometer erreichen. Fährt der Kunde kaum im 12. Gang, kann dieser deutlich schwächer dimensioniert werden. Auch zur Problembehandlung sind die Daten wichtig. Hierzu muss man zunächst Referenzdaten zum Belegen des Regelbetriebs und zur Gutfallvalidierung erheben. Sodann kann man Fehlerfälle und Ausreißer mit diesen Referenzdaten vergleichen, um herauszufinden, ob es spezifische Anwendungsszenarien gibt, weshalb die Fehler auftreten: Geht beispielsweise ein Turbolader beim Anwender des Öfteren kaputt, könnte es daran liegen, dass er das Fahrzeug in Höhen über 6000 Meter bei kalter Luft einsetzt. Solche Szenarien unterscheiden sich schließlich eklatant vom Normalbetrieb, denn mit jedem Höhenmeter verringert sich der Luftdruck. Sinkt der Luftdruck, steigt jedoch die Drehzahl des Turboladers. Deshalb ist es mit dem »WeMOTA-G2«-System beispielsweise möglich, den Umgebungsluftdruck plus Motordrehzahl und -drehmoment lediglich dann aufzuzeichnen, wenn die Geodaten aussagen, dass das Fahrzeug sich beispielsweise über 3000 Höhenmetern befindet. Zeichnet man zudem die Geoposition und Geschwindigkeit des Fahrzeugs exakt auf, lassen sich beispielsweise Steigungsstrecken exakt identifizieren. |
Für verschiedenste Anwendungsbereiche bietet das System alle in Fahrzeugen heute gängigen Schnittstellen: Ethernet, 100BASE-T1, 1000BASE-T1, USB, LIN, CAN, FlexRay, digitale I/Os und Ausgänge zur Leistungsschaltung und Pulsweitenmodulation.
Diese sind bei Bedarf über ein kundenspezifisches Design der Mezzanine-Karte oder des Carrierboards anpassbar.
Damit das System in Fahrzeugkabinen bis zu einer Umgebungstemperatur von 75 °C zum Einsatz kommen kann, hat WeMOTA G2 zum Kühlen des Prozessors einen Heatspreader, der direkt an das Gehäuse gekoppelt ist. Zudem kann der Hersteller das aus Aluminium gefräste passive Kühlkörperkonzept als Referenz für weitere kundenspezifische Systemdesigns heranziehen.
Das WeMOTA G2 ist eines der ersten Systeme für diese von Microsys Electronics im Jahr 2021 erstmals verfügbar gemachte neue Familie von System-on-Modules, die speziell für das Vehicle-Network-Computing ausgelegt sind, und hat bereits Serienreife erreicht. Entsprechend früh war Weiß Elektronik und Software in das Design-in des NXP-S32G-basierten Moduls eingestiegen. Die SoMs sind in Automotive-Grade ausgelegt und unterstützen funktionale Sicherheit (Bild 2). Hiermit eignen sie sich speziell für individuelle Systeme in industriellen Losgrößen, damit Hersteller wie Weiß Elektronik und Software ihre Entwicklungskosten reduzieren und NRE-Kosten (Einmal-Kosten) über Upgrade-Pfade der Prozessormodule langfristig sichern können.
Zum Einsatz kommen die neuen SoMs für Fahrzeuge zum einen in Systemen für das Engineering von Fahrzeugen, zum anderen in Fahrzeugen selbst, zum Beispiel als Edge-System in Nutzfahrzeugen mit Sonderaufbauten, Bau- und Landmaschinen, mobilen Robotern und autonom geführten Logistikvehikeln. Sie alle werden eher in Hunderter- oder Tausender- denn in Hunderttausender-Stückzahlen produziert. Das erfordert modulare Designs, da lediglich so bereits fertig entwickelte Commercial-off-the-Shelf-Komponenten zum Einsatz kommen können – das war für Weiß Elektronik und Software wichtig.
Das gewählte Systemdesign überzeugt hierbei in zweierlei Hinsicht. Zum einen bietet die S32G-Prozessorfamilie mit nativem CAN, FlexRay und LIN sowie zahlreichen weiteren Schnittstellen bereits einen hohen Integrationsgrad, welcher Designs per se sehr effizient gestaltet. Das alles jedoch nicht nur auf Bauelementebene, sondern als Commercial-off-the-Shelf als bootfähige Boardlevel-Plattform beziehen zu können hat das Systemdesign nochmals deutlich beschleunigt.
Microsys Electronics bietet seine Module auf Basis der S32G-Prozessoren in unterschiedlichen Konfigurationen an. Sie reichen aktuell vom »miriac MPX-S32G274A« mit vier Arm-Cortex-A53-Prozessoren und drei Arm-Cortex-M7-Prozessoren bis hin zum »miriac MPX-S32G399A« mit acht Arm-Cortex-A53-Prozessoren und vier als Dual-Lockstep-Paar geclusterten Arm-Cortex-M7-Prozessoren (Bild 3). Deren integrierte 18 CAN-FD-, zwei FlexRay- und vier LIN-Schnittstellen sowie der integrierte TSN-Support über 10BASE-T1L-Ethernet für den Echtzeitbetrieb über IP-basierte Protokolle sind für die Kommunikation in Fahrzeugen prädestiniert.
Damit Entwickler unmittelbar mit dem Entwickeln eigener Applikationen starten können, bietet Microsys passende Development-Kits an. Sie lassen sich zusammen mit den Modulen als modulare Single-Board-Computer (SBC) applikationsfertig einsetzen und bei Bedarf mit vergleichsweise geringem Aufwand an kundenspezifische Applikationen anpassen. Über die Produkte und Ingenieur-Dienstleistungen auf Boardlevel hinausgehend bietet Microsys zudem kundenspezifische Systemdesigns an.
Spezialisiert ist das Unternehmen hier vor allem auf robuste Systemdesigns für Offroad-Fahrzeuge wie Bau- und Landmaschinen. So zählt beispielsweise einer der weltweit größten Baumaschinenhersteller zu den Kunden von Microsys Electronics. Das Systemdesign wollte Weiß Elektronik und Software jedoch selbst umsetzen, zumal das Unternehmen mit dem Entwickeln der eigenen Mezzanine-Karte hinreichend Know-how in der Elektronikentwicklung hat.
Entschieden hat sich Weiß Elektronik und Software für das »miriac MPX-S32G274A«-SoM mit dem dazugehörigen Carrierboard von Microsys aufgrund der Option, das WeMOTA G2 zukünftig mit noch mehr Rechenleistung ausstatten zu können. Die von Weiß Elektronik und Software zusätzlich entwickelte Mezzanine-Baugruppe erweitert die Funktion der Basisplattform um Analogeingänge, TFT-Display-Support, GPS, Beschleunigungs- und Gyrosensoren sowie Leistungsausgänge (Bild 4). Zudem hat WeMOTA G2 über PCIe- und M.2-Schnitttstellen Massenspeicher und Kommunikationskarten für GSM, 3G, 4G und 5G implementiert.
Die Möglichkeit der Integration von Hailo-8-Beschleunigern für künstliche Intelligenz, die Microsys Electronics für seine S32G-Plattformen anbietet, ist für Weiß eine willkommene Option, um – in zukünftigen Entwicklungen und gemeinsam mit OEM-Partnern – Daten direkt im Fahrzeug mit den modernen Verfahren zu analysieren. Deep-Learning-Verfahren eignen sich schließlich hervorragend, um beispielsweise aus dem immer größer werdenden Datenstrom für den Entwickler relevante Merkmale zu extrahieren. So ist für einen Entwickler eventuell nicht ein vollständiger Videodaten-Stream interessant, sondern lediglich die Anzahl der detektierten Fahrzeuge. Das reduziert die zu übertragende Datenmenge und passt sehr gut zur Strategie von Weiß Elektronik und Software. So lassen sich Daten auf das Wesentliche reduzieren, um hiermit für den Kunden kostengünstige, sichere und zuverlässige Mobilfunkanbindungen zum Übertragen von Daten zu ermöglichen.
Inbetriebnahme des WeMOTA G2 |
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Das WeMOTA-G2-System von Weiß Elektronik und Software ist dazu ausgelegt, dass Entwickler auf sämtliche aktuell übliche Schnittstellen eines Fahrzeugs zugreifen können. Anwender müssen jedoch über die Beschreibungen der spezifischen Fahrzeugnetzwerke und Kommunikationsprotokolle verfügen. OEMs, die Fahrzeuge aus Komponenten mehrerer Hersteller zusammenstellen, müssen also ebenso die Daten ihrer Zulieferer kennen. Liegen diese vor, ist die Inbetriebnahme einfach. Sie müssen die Datenbasen – beispielsweise die CAN-Netzwerkbeschreibungen – lediglich über die Konfigurationssoftware des Systems einlesen und können anschließend sofort ihre spezifische Messung konfigurieren – beispielsweise das Ablesen der Motordrehzahl alle 10 ms – und so ganz individuelle Aufzeichnungen fahren. Sie lassen sich im Edge-System derart aggregieren, dass nur noch die essenziellen Daten an die Dashboards der Cloud zu übertragen sind. Somit werden Entwicklern alle Informationen wie auf einem silbernen Tablett serviert. |