Interview mit Carsten Ellermeier, Prettl

»Bei der Nachhaltigkeit dem Markt drei Jahre voraus«

21. März 2022, 14:00 Uhr | Karin Zühlke
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»Wertstromdesign im Informations-, Waren- und Materialfluss«

Auch digitale Einkaufsprozesse haben in der Pandemie einen Schub erfahren. Wie setzen Sie das bei Prettl Electronics um bzw. wo sehen Sie die Stellhebel im Einkauf?

Ohne die direkte Anbindung zu den Anbietern hat man Wettbewerbsnachteile. Deshalb betrachten wir die zusammenhängende Supply Chain als »Wertstromdesign im Informations-, Waren- und Materialfluss«. Das heißt, es geht darum, die Direktanbindung bei den Partnern zu forcieren, wie etwa EDI-Schnittstellen sowie direkte API-Anbindungen bei Online-Distributoren und Herstellern. In der Elektronikindustrie sind wir hier meiner Ansicht nach aber schon sehr weit. Die Prozesse müssen digital von beiden Seiten bestätigt werden, sonst gibt es keine Direkt-Geschäftsbeziehung mehr. Das hebt die Diskussion der letzten Jahre, wie sich die EMS-Landschaft verändert, auf ein neues Level. Denn da können meines Erachtens nur die starken EMS mithalten; für die kleineren und mittleren dürfte das schwierig werden.

Die Materialkrise tut bei den KMU-EMS-Firmen ihr Übriges, weil die Kapitalbindung durch die Lagerhaltung immens hoch ist.

Es ist immer noch so, dass Distributoren 95 von 100 Komponenten ausliefern und die anderen fünf, die zur Produktion einer Baugruppe zwingend nötig wären, eben nicht. Dass solche Informationen nicht rechtzeitig kommuniziert werden, sodass man außerhalb des sogenannten Frozen Windows die anderen Komponenten nach hinten verschieben kann, ist problematisch. Rein von der Digitalisierung her sollte das möglich sein. Dann würde das Lager bei den EMS nicht volllaufen und das Problem nicht auf den Endkunden und EMS verlagert, sondern würde in der Distribution aufschlagen.

Prettl Electronics
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Wie sehen Ihre strategischen Ziele für 2022 aus?

Trotz Allokationsphase sind wir klar auf Wachstumskurs mit nachhaltigem Charakter unterwegs. Wir fokussieren uns auf unsere Schwerpunkte, was sich auch in unserem Slogan »Electronics for a better life« ausdrückt. Kontinuierlich und bedarfsorientiert steigern wir die vertikale Integration und decken je nach Bedarf den Produktlebenszyklus ab. Damit stiften wir einen Mehrwert für unsere Kunden. Wir nutzen unsere Historie und Technologie in der Energietechnik und leisten mit unserem Portfolio einen wesentlichen Beitrag zur geforderten Nachhaltigkeit. Mit unseren Lösungen unterstützen wir verstärkt das Ziel der CO2-Neutralität. Wie z. B. Gleichrichter, Wechselrichter, Antriebsregler, Wärmepumpen-Technologie, Speicherlösungen aus Photovoltaik, also Home Storage. In diesen Bereichen sind wir nicht nur Auftragsfertiger, sondern auch IP-Eigner.

In welcher Größenordnung dürfen wir uns den Wachstumskurs vorstellen?

Ich gehe von einem zweistelligen Wachstum aus. Die Voraussetzungen dafür sind günstig: Die Bereiche Energie- und Medizintechnik, in denen wir traditionell sehr stark sind, sind Wachstumsmärkte, um nicht zu sagen: Megatrends, zumindest was die Energietechnik anbelangt.

Sie sprachen vorhin davon, dass Sie IP-Eigner bei bestimmten Applikationen sind. Tritt Prettl Electronics dabei auch als OEM, also Tier-One, auf?

Nein. Allerdings verfügen wir über das entsprechende Ingenieurwissen, und somit sind wir ein idealer Partner für unsere Kunden. Wenn aber ein OEM unsere Komponenten beispielsweise für Home-Speicher oder Charging-Applikationen beziehen möchte, werden wir nicht in die Tier-One-Rolle wechseln, wir bleiben unserer Tier-Two-Rolle treu. Aber wir sind ein starker Player in der Entwicklung. Bei der Leistungselektronik etwa gibt es in Deutschland wenige Dienstleister für E2MS auf sehr hohem Niveau. Prettl ist klar einer von wenigen sehr anerkannten Experten in der Leistungselektronik, und somit bieten wir unseren Kunden einen entsprechenden Mehrwert.

Mit Prettl Electronics Automotive haben Sie auch ein eigenes Startup in der EMS-Division, wo das Thema Leistungselektronik zum Tragen kommt.

Die stationäre Ladetechnik ist natürlich ein großes Thema für uns. Wir haben Container-Lösungen für das Schnellladen von E-Autos entwickelt. Dabei handelt es sich um 20-Fuß-Container, in denen die Leistungselektronik verbaut wird, bis hin zur Auslastung der Grid-Verfügbarkeit von bis zu 2 Megawatt. Hierzu haben wir in Europa und USA strategische Kooperationen mit namhaften OEMs unterzeichnet. Denn auch in diesem Fall treten wir nicht selbst als OEM auf, sondern bieten die Produkte als »White Label« unseren Partnern an.

Welche spannenden Impulse sehen Sie bei der Medizintechnik für Ihr Unternehmen?

Ein Highlight-Fokus sind die Alterswissenschaften. Wir gehen auch hier mit unseren Entwicklungen nicht in eine Wettbewerbskonstellation mit den großen OEMs, aber wir geben Impulse. Diese bringen wir in die Diskussion beim OEM als Produktideen ein und entwickeln sie. Das heißt, wir offerieren die Lösungen für unsere Kunden, aber gehen nicht in Richtung eigene Marke. Als EMS-Dienstleister wollen wir der innovative Impulsgeber sein und somit den Kunden über den kompletten Produktlebenszyklus unterstützen.


  1. »Bei der Nachhaltigkeit dem Markt drei Jahre voraus«
  2. »Wertstromdesign im Informations-, Waren- und Materialfluss«
  3. Der Schlüssel bleibt der Mensch

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