Nicht zuletzt aufgrund der teils prekären Liefersituation klagen viele Distributoren immer wieder über die Unzulänglichkeiten und die Unzuverlässigkeit einiger Hersteller. Welche »Soft Skills« gehören aus Ihrer Sicht zu einer guten Zusammenarbeit zwischen Hersteller und Distributor?
Matthias Glattfelder: Allen voran Zuverlässigkeit und gegenseitiges Vertrauen auch im Umgang mit sensiblen Themen, zum Beispiel wenn ein Kunde versucht, mehrere Distributoren gegeneinander auszuspielen.Wichtig ist auch, dass Hersteller und Distributor dem Kunden gegenüber geschlossen auftreten und eine konstante gemeinsame Linie fahren. Hier pflegen wir mit Lattice ein sehr faires und offenes Verhältnis. Lattice will ganz bewusst keiner dieser Standard-Halbleiter-Lieferanten sein. Dementsprechend eng ist unsere Zusammenarbeit auch in der Entwicklung, z.B. von Evaluation Boards. Auch in punkto Liefertreue hat sich Lattice über die Jahre hinweg als überaus zuverlässig erwiesen. So gab es selbst während der Allokationsphase im letzten Jahr keine großen Lieferverzögerungen.
Gerhard Brüningk: Das stimmt. Wir bestätigen unsere Liefertermine verbindlich und halten Zusagen auch weitestgehend ein. Letztes Jahr beispielsweise betrugen die Lieferzeiten im Schnitt nicht mehr als 12 Wochen. So etwas funktioniert allerdings nur mit einer stringenten Planung. Wir registrieren weltweit jedes Design-In-Projekt bis zum Endkunden. Dadurch können wir unseren Bedarf schon ein Jahr im Voraus genau ermitteln. Diese Zuverlässigkeit ist für den Distributor insofern von Bedeutung, weil er sichergehen kann, dass er seine Ware zum vereinbarten Zeitpunkt erhält und sich nicht unnötig lange Ware auf Lager legen muss. Dass muss schließlich ansonsten alles vorfinanziert werden.
Einerseits Distributor, andererseits Entwickler und Hersteller eigener Embedded Boards bis hin zu kompletten Industrie-PCs – ist das für MSC nicht ein Spannungsfeld?
Thomas Klein: Das sehe ich nicht so, im Gegenteil. Dass FPGAs und Mikrocontroller neben Displays zu unseren umsatzstärksten Produktbereichen zählen, haben wir zumindest ein Stück weit gerade dieser für einen Distributor ungewöhnlich ausgeprägten Systemkompetenz zu verdanken. Schließlich kommt das im Systemgeschäft aufgebaute Know-how ja auch wieder unseren Distributionskunden zugute. Das Vertrauen in unsere Systemkompetenz ist inzwischen sogar so groß, dass uns manche Kunden nach ersten Beratungsgesprächen mit der kompletten Produktentwicklung beauftragen. Das bringt uns unserem Ziel, Kunden nicht nur ein einzelnes Bauteil, sondern nach Möglichkeit alle für eine Applikation benötigten Komponenten liefern zu können, ein gutes Stück näher. Also eher eine typische Win-Win-Situation für alle Beteiligten, würde ich sagen. Und mal ganz ehrlich: Wie soll man seine Kunden als Distributor immer komplexerer FPGAs oder Microcontroller vernünftig beraten können, wenn man nicht aus eigener Erfahrung weiß, welche Probleme in der Praxis auftauchen können? Ich denke, letztlich wird es nur eine Frage der Zeit sein, bis auch andere FPGA- und Microcontroller-Distributoren dem Beispiel von MSC folgen und immer mehr in Richtung Systemintegrator diversifizieren. Unseren Vorsprung in diesem Bereich einzuholen, dürfte für Wettbewerber allerdings schwer werden.
Durch die Produktionsverlagerung hoher Volumina nach Asien haben viele Komponenten-Hersteller das Direktgeschäft in Europa zugunsten der Distribution stark reduziert. Hat sich das Verhältnis Direktgeschäft zu Distributionsgeschäft bei Lattice in den letzten Jahren verändert, sprich hat die Bedeutung der Distribution in Europa Ihrer Meinung nach zugenommen? Wie hoch ist der Distributionsanteil im Vergleich zum Direktgeschäft bei Lattice in Europa insgesamt?
Gerhard Brüningk: Im Gegensatz zu vielen anderen Halbleiterherstellern hat Lattice der Distribution schon immer einen extrem hohen Stellenwert eingeräumt. Derzeit liegt der Distributionsanteil in Europa bei 75, in Zentraleuropa sogar bei 90 Prozent. Da gibt es kaum noch Luft für weitere Steigerungsraten, auch nicht durch etwaige Produktionsverlagerungen nach Fernost.
Was, wenn ein Kunde bei MSC kauft, aber in Asien produzieren will. Die Distributionsvereinbarung deckt solche Fälle ja nicht explizit ab …
Gerhard Brüningk: In einigen wenigen Ausnahmefällen lassen wir das zu. Andernfalls gibt es ein Splitting. Das heißt, der Auftrag geht an den lokalen Distributor im Produktionsland des Kunden, und MSC erhält eine Kommissionszahlung.