TC-10 adressiert dieses Problem, indem die notwendigen Grundfunktionen direkt auf der physikalischen Ebene implementiert werden. Bild 1 zeigt schematisch, wie das Konzept auf eine einfache Topologie mit zwei Kameras und vier über Ethernet-Kabel verbundenen Endknoten angewendet wird.
Der Switch entscheidet, die Kamera an der Domänen-Controller-ECU auszuschalten. Unter normalen Fahrbedingungen werden die beiden Kameras nur zum Rückwärtsfahren benötigt und lassen sich daher abschalten (Bild 2).
Die PHYs senden eine Schlafanforderung über die aktive Ver¬bindung zur Kamera. Müssen die Kameras aktiviert werden, so sendet der PHY eine Weckanforderung (WUP) über die passive Verbindung (Bild 3).
Wenn das Steuergerät beschließt, das Kamera-Subsystem aufzuwecken, erzeugen TC10 und das Steuergerät eine Weckanforderung über die aktive Verbindung und der Switch überträgt diese über die gesamte Topologie, einschließlich der passiven Verbindungen, um alles möglichst schnell einzuschalten (Bild 4).
Beim »Sleep Handshake« sollen alle Knoten in den Schlafmodus versetzt werden (Bild 5). Die den Schlafmodus initiierende Baugruppe sendet ein Symbol für den Schlafmodus auf die Leitung. Andere Knoten sehen diese Symbole und geben die Information optional an den Mikrocontroller weiter. Durch eine vordefinierte feste Bestätigungsphase für den Schlafmodus kann der Mikrocontroller innerhalb einer bestimmten Zeitspanne entscheiden, ob er die Zeit nutzen möchte oder dem Knoten das Schlafen erlaubt. Wenn der Befehl für den Schlafmodus empfangen oder gesendet wird und die Knoten zustimmen, gehen sie erst in einen Ruhezustand, in dem eine vordefinierte Zeit gewartet wird, um dann in den Schlafmodus zu wechseln.
Um die Schlaf- und Weckfunktionen auch standardisiert per Software nutzbar zu machen, hat AUTOSAR diese Schnittstelle aufgegriffen und ist dabei, das in sein Kommunikationssystem für partielle Netzwerke zu übernehmen.
Es gibt einige geringfügige Unterschiede in der Art und Weise, wie das AUTOSAR-Netzwerkmanagement die partielle Vernetzung anders durchführt als TC10. Beim TC10-Konzept gibt es nur einen Broadcast-Mechanismus. Die erweiterte Funktion, die AUTOSAR hier vorsieht, ist so in TC-10 nicht verfügbar und muss daher auf AUTOSAR abgebildet werden. Wendet man das auf das Beispiel eines Elektrofahrzeugs an, so wird das Interesse klar, dass man nur die für das Laden benötigten Steuergeräte aufwecken will, wenn das Fahrzeug geparkt ist und lädt (Bild 6). Alle anderen Steuergeräte sollten schlafen und keinen Strom verbrauchen, wenn das Fahrzeug geparkt ist.
Die in den 100BASE-T1 PHYs TJA1101 und TJA1102 von NXP integrierte Technologie ermöglicht ein dynamisches Management der Leistungsmodi des PHY und des gesamten Steuergeräts. Sie leitet Schlafanforderungen und Weckimpulse über die Ethernet-Datenleitung weiter (Single-Twisted-Pair-Kabel). So kann man sich eine dedizierte Weckleitung und damit zusätzliche Kosten, Gewicht und Bauraum für Kabel und Steckverbinder sparen.
Die Bewertung der Technologie auf Systemebene gestaltet sich durch das neue Entwicklungskit wesentlich einfacher. Das Kit besteht aus einer Kombination OPEN-TC10-fähiger Hardware und sofort einsetzbaren Software-Beispielen: Dank des gemeinsamen SDKs und des S32 Design Studios von NXP ist es einfach zu laden, zu konfigurieren und zu modifizieren (Bild 7).
Systemingenieure können die Komplexität aufwärts oder abwärts skalieren und den Beispielcode anpassen, um allen projekt-spezifischen Systemanforderungen gerecht zu werden, die Wecksequenz zu koordinieren und Weiterleitungsregeln zu definieren
Es gibt 29 Basisanforderungen, die aus der 100BASE-T1-Definition wiederverwendet werden und für die 1000BASE-T1-Weck- und Schlafmodus-Spezifika¬tion immer noch gültig sind. Die wichtigste dieser Anforderungen betrifft das Wecksignal über einen entsprechenden Pin sowie das MDIO- und Wake-up-Forwarding, welches pro Port konfigurierbar sein muss. Das bedeutet, dass im Switch eine Matrix vorhanden sein muss, die definiert, wie Anforderungen abhängig von deren Herkunft weitergeleitet werden. Die Anfragen werden dann nur an bestimmte PHYs weitergeleitet. Andere Anforderungen, betreffen das System-Timing mit einem Wake-up von weniger als 2 ms über eine passive Verbindung, 1 ms über eine aktive Verbindung sowie weniger als 15 ms für eine Weiterleitung über eine passive Baugruppe und weniger als 2 ms für eine Weiterleitung über eine aktive Baugruppe. Diese Timing-Anforderungen sind umso wichtiger, je komplexer die Datenverarbeitung im Fahrzeug ist, je vernetzter und autonomer es wird.
Der Spezifikationsvorschlag enthält noch einige Punkte, die zur Diskussion stehen, wie die Definition des konkreten Weckmusters (WUP). Ein offensichtlicher Kandidat wäre die reguläre Trainingssequenz. Auch müssen für die Kommandos WUR und LPS entsprechende Codierungen für das Übertragen von Weck- und Schlafanforderungen auf der Leitung definiert werden. Der OAM-In-Band-Kommunikationskanal (Operations, Administration and Maintenance), der zur Überwachung und für Statusinformationen dient, könnte dafür genutzt werden.
Auch sind Änderungen an der PHY Control State Machine – wie im 1000BASE-T1-Standard beschrieben – notwendig. Im Wesentlichen dienen diese Änderungen dem autonomen Aufwachen und Wechsel in den aktiven Modus, sowie einer Übertragung des WUP-Musters vor dem eigentlichen Link-Training.
TC10 gewinnt an Dynamik und erschließt neue Einsatzszenarien. Und es schickt sich an, die bisher verwendete dedizierte Weckleitung zu ersetzen. Absolut spannend ist jedoch, dass die Konzepte in TC-10 auch im Rahmen von AUTOSAR aufgegriffen werden. Eine identische Vorgehensweise für den vorliegenden Gigabit-Anwendungsfall bedeutet, dass sich die gesamte Standardisierung für AUTOSAR auch auf 1000BASE-T1 anwenden lässt. Die Reise ist noch nicht zu Ende, aber man ist auf einem guten Weg, dass bis Mitte 2019 ein Gigabit-Standard mit Schlafmodus vorliegen wird.
Der Autor
Dr. Philip Axer
ist seit 2015 bei NXP beschäftigt und zeichnet als Senior System Architect für automobile Ethernet-Switches und PHYs verantwortlich. Als Vorsitzender und Herausgeber der Open Alliance TC-10 leitet er den Ausschuss rund um
die Schlaf- und Weckfunktionen von 1000Base-T1.