Interview zu Audis Halbleiterstrategie

»Schmerz ist ein guter Lehrer«

26. September 2014, 15:26 Uhr | Ingo Kuss
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Fortsetzung des Artikels von Teil 2

Missverständnisse zwischen Halbleiter- und Autoindustrie

In einem Vortrag haben Sie darauf hingewiesen, dass es immer noch Kommunikationsprobleme zwischen der Halbleiter- und der Autoindustrie gäbe. Beide Seiten würden zwar die gleichen Wörter verwenden, aber damit nicht das Gleiche meinen. Wie macht sich das bemerkbar?

Hellenthal: Das fängt schon bei dem Begriff „Bordnetz“ an. Für uns ist das ein irre komplexes Gebilde, für das wir rund 4000 verschiedene Pulse in der Testdatenbank haben. Wer sich im Automotive-Bereich nicht auskennt, geht dagegen einfach von einer stabilen Spannungsversorgung durch eine 12-Volt-Batterie aus. Tatsächlich schwankt das Bordnetz zwischen 3 und 27 Volt und es treten sogar Pulse von bis zu +/- 150 Volt auf. Wenn wir bei Audi über das Bordnetz reden, dann gehen wir davon aus, dass jemand alle unsere Pulse und Spannungsschwankungen kennt. Halbleiterhersteller, die nicht aus dem Automotive-Bereich kommen, können sich gar nicht vorstellen, dass im Bordnetz aufgrund eines negativen Pulses plötzlich auch mal überhaupt keine Spannung anliegen kann. Wenn Sie aber in Ihrer Vorstellungswelt gar nicht mit dieser Möglichkeit rechnen, sondern erwarten, dass vor dem Herunterfahren immer noch genug Zeit ist, um in Ruhe alles zu speichern, führt das schnell zu Problemen. Bei einigen Halbleiterherstellern hat sich diese Problematik aber auch schon herumgesprochen. Scherzhaft kursieren deshalb auch in manchen Application Notes inzwischen Warnungen wie etwa: „The automotive bordnet is a power supply from hell“.

Wie sieht das umgekehrt mit Begriffen aus der Halbleiterwelt aus?

Hellenthal: Uns haben beispielsweise schon die Product Change Notifications zu schaffen gemacht. Aus Transparenzgründen schickt uns mancher Halbleiterhersteller eine Meldung über jede noch so kleine Änderung im Fertigungsprozess, auch wenn etwa nur das Trocknungsmittel in der Verpackung ausgetauscht wurde. Und da bleibt es nun mal nicht aus, dass eben solche Mitteilungen auch mal fehlinterpretiert oder überbewertet werden. Aber wir haben dazugelernt.

Wie gehen Sie die Kommunikationsprobleme konkret an?

Hellenthal: Der Lösungsansatz sieht so aus, dass wir für unsere strategischen Partner Schulungen anbieten und umgekehrt wir auch zum Thema Halbleiter geschult werden – intern und von den Herstellern. Das Thema Halbleiter ist bei uns zwar ein Nischenthema, dennoch sind wir besser aufgestellt als die meisten Wettbewerber. Nicht jeder Audi-Elektronik-Entwickler kann ein Halbleiter-Experte sein, dafür haben wir aber eine zehnköpfige Spezialistenriege, die sich hervorragend auskennt und die Entwicklungen entsprechend unterstützt.

Unterschiede zwischen Auto- und Halbleiterindustrie gibt es allerdings nicht nur bei der Kommunikation, sondern auch beim Innovationstempo. Wie bringen Sie die viel kürzen Halbleiter-Technologiezyklen in Einklang mit den deutlichen längeren Zyklen im Automotive-Bereich?

Hellenthal: Das grundsätzliche Ziel des PSCP ist es, die Entwicklungsgeschwindigkeit im Halbleiterbereich für uns nutzbar zu machen. Man kann die hohe Dynamik als Nachteil sehen, aber unser Ziel ist es, mit dem Tempo zu Recht zu kommen und Vorteile für den Automotive-Bereich daraus zu ziehen. Das schaffen wir aber nur, wenn wir neue Wege gehen. Bei der Phone Box Wireless Charging haben wir ja bereits die Entwicklungszeit erheblich verkürzt. Und bei unserem Infotainmentsystemen setzen wir auf das sogenannte MMX-Board. Dabei handelt es sich um ein spezielles Modul, das sich schnell durch eine aktuellere Version ersetzen lässt, während die übrige Hardware unverändert bleibt. Aber wir haben natürlich immer noch einen gewissen zeitlichen Versatz. Absicherung und Qualitätsprüfung kosten einfach Zeit. Wir können und wollen da kein Risiko eingehen.

Das Prinzip, wichtige Neuheiten zunächst ausschließlich in der Luxusklasse anzubieten und dann in die übrigen Baureihen wandern zu lassen, funktioniert jedenfalls nicht mehr.

Hellenthal: Das stimmt. LTE beispielsweise haben wir zuerst im A3 angeboten. Wir können es uns gar nicht mehr leisten, bei Innovationen immer auf das Top-Modell zu warten. Durch den Modularen Infotainment-Baukasten können wir etwa im A7 schon bei der Modellpflege, die wir gerade vorgestellt haben, wichtige Updates machen und müssen nicht auf den Modellwechsel warten. Von sieben auf vier Jahre zu kommen, ist für uns schon sehr wichtig. Im nächsten Schritt wollen wir uns weiter verbessern, indem wir immer mehr Fahrzeuganläufe zur Einführung von Innovationen nutzen.


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