Interview zu Audis Halbleiterstrategie

»Schmerz ist ein guter Lehrer«

26. September 2014, 15:26 Uhr | Ingo Kuss
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Fortsetzung des Artikels von Teil 1

Warum Streichholzproduzenten keine Feuerzeuge erfinden

Die im Rahmen des PSCP entwickelte Audi Phone Box Wireless Charging stellt nicht nur eine Verbindung zur Außenantenne her, sondern lädt gleichzeitig auch drahtlos das Handy.
© Audi

Dass Audi von diesem Projekt profitiert hat, liegt auf der Hand. Doch was haben die anderen Beteiligten davon? Müssen Sie viel Überzeugungsarbeit leisten?

Hellenthal: Anfangs mussten wir auf die Halbleiterhersteller zugehen, doch inzwischen ist die Nachfrage riesig. Aus einem einfachen Grund: Halbleiterhersteller brauchen für einen neuen Baustein ein Lead-Design. Ein Hersteller, der mit uns ein solches Projekt macht, darf die Lösung danach frei im Markt anbieten. Das hat Vorteile für beide Seiten. Wir nehmen einfach nicht genug Volumen ab, um als einziger Kunde einen Halbleiterhersteller glücklich zu machen. Und Exklusive-Lösungen wären einfach zu teuer. Daher haben wir folgende Vorgehensweise entwickelt: Wir bringen das neue Produkt gemeinsam zur Serienreife und setzen es zuerst bei Audi ein. Danach darf der Halbleiterhersteller es auch an alle anderen verkaufen. Mit uns ist der Hersteller zügig am Markt und hat die Sicherheit, dass es tatsächlich einen Bedarf für seine Innovation gibt. Diese Vorgehensweise ist deutlich schneller und vor allem auch risikoärmer als wenn der Halbleiterhersteller mit einer neuen Lösung erst noch einen Abnehmer suchen muss.

Welchen Einfluss hat Audi auf die Forschungs- und Entwicklungsabteilungen der Halbleiterfirmen?

Hellenthal: Wir setzen auf das sogenannte „Innovation Pull“-Prinzip. Das heißt, unsere Forschungsabteilungen arbeiten eng zusammen, damit wir frühzeitig einschätzen können, ob eine technische Neuheit uns neue Funktionen, mehr Effizienz oder einen Kosten- bzw. Produktionsvorteil bringt. Wenn beispielsweise ein AD-Wandler-Produzent eine Möglichkeit findet, sein Produkt erheblich genauer zu machen, schauen wir uns das an. Können wir daraus keinen unmittelbaren Nutzen ziehen, überlegen wir weiter. Das Ergebnis lautet dann möglicherweise: Wir brauchen keinen genaueren, aber ein schnellerer Wandler eröffnet uns neue Möglichkeiten. Mit solchen Informationen kann der Hersteller viel zielgerichteter und risikoärmer forschen.

Was halten denn die Zulieferer von der PSCP-Strategie? Eigentlich sind sie doch diejenigen, die sich durch Innovationen profilieren. In dem neuen Modell setzen sie dagegen nur noch die Vorgaben von Audi um.

Hellenthal: Die Zulieferer müssen sich die Frage stellen: Ändert man sich oder wird man geändert? Wenn Sie zu einem Streichholzproduzenten gehen und von ihm erwarten, dass er für Sie das Feuerzeug erfindet, werden Sie damit wenig Erfolg haben. Oder um ein Automotive-relevantes Beispiel zu nennen: Texas Instruments hat einen Induktiv-Digital-Wandler entwickelt, der im Vergleich zu den bislang eingesetzten Hall-Sensoren viele Vorteile hat. Er ist deutlich günstiger, braucht keine seltenen Erden, usw. Nur wird Ihnen niemand, der zurzeit erfolgreich Hall-Sensoren produziert oder einsetzt, freiwillig eine solche neue Technik anbieten. Bei Innovationen gibt es oft auch Verlierer, weil sie anderen das Geschäft wegnehmen. Uns liegt daran, stabile wirtschaftliche Partnerschaften aufzubauen: Wir suchen uns zwar gezielt passende Zulieferer für eine neue Technik aus, aber wir geben Ihnen auch die Möglichkeit, entsprechende Lösungen später an andere zu verkaufen. Erfolg ist heute nur im Team möglich. Wenn also ein Halbleiterhersteller eine neue Technik entwickelt, kann er damit alleine nichts anfangen. Doch mit einer von Audi gebildeten Innovationsstaffel gelingt der Erfolg. Das erfordert natürlich von allen Seiten eine gewisse Offenheit. Aber am Ende profitieren alle Staffelmitglieder von der schnellen Lösung.

Welche Unternehmen beteiligen sich konkret am PSCP?

Hellenthal: Das Programm richtet sich aktuell ausschließlich an Halbleiterunternehmen – ob mit oder ohne Fab. Grundsätzlich legt jeder Partner individuell fest, ob die Zusammenarbeit öffentlich gemacht wird oder nicht. Offiziell sind STMicroelectronics, NXP, Freescale, Analog Devices und Nvidia am PSCP beteiligt. Darüber hinaus gibt es noch einige weitere strategische Partner, die ihre Zusammenarbeit noch nicht veröffentlicht haben. Zurzeit laufen bereits sehr viele Projekte, so dass wir mit den aktuellen Partnern bereits gut ausgelastet sind. Neben vom Kunden direkt erlebbaren neuen Funktionen sind viele der daraus resultierenden Innovationen für uns sogenannte „Unterwäschefunktionen“, die unsere Kunden gar nicht zu Gesicht bekommen. Der Autokäufer sieht den Nutzen nicht unmittelbar, aber für uns können die Neuentwicklungen bedeuten, dass wir etwa weniger Bauraum benötigen, Kosten einsparen, die Effizienz steigern, einfacher produzieren oder eine andere Integrationsform wählen können.


  1. »Schmerz ist ein guter Lehrer«
  2. Warum Streichholzproduzenten keine Feuerzeuge erfinden
  3. Missverständnisse zwischen Halbleiter- und Autoindustrie
  4. Die Risiken von Konsumelektronik im Auto

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