Er lobt Teslas Chef Elon Musk als Pionier und Wegbereiter, doch den Durchbruch der Elektromobilität auf dem Massenmarkt will Thomas Ulbrich, Markenvorstand E-Mobilität Volkswagen und Geschäftsführer von VW Sachsen, schon selbst verantworten. Dafür setzt er auf neue Strategien – und alte Tugenden.
Markt&Technik: Herr Ulbrich, im Februar 2018 hat VW einen eigenen Vorstandsposten für E-Mobilität eingeführt. Warum?
Thomas Ulbrich: Für die Marke Volkswagen ist die E-Mobilität das zentrale Element der anstehenden Transformation des Unternehmens in ein neues automobiles Zeitalter, sie hat höchste strategische Bedeutung. Da ist es nur logisch, dass das Thema zentral auch im Vorstand verankert wird.
Diese Erkenntnis ist allerdings noch recht frisch. Was hat zu dem Sinneswandel geführt?
Für den Wandel hin zur Elektromobilität gibt es mehrere Ursachen: Wir wollen und müssen unseren Beitrag zum Klimaschutz leisten, es gibt generell ein verändertes gesellschaftliches Bewusstsein und wir sehen jetzt auch die notwendigen technischen Fortschritte – in Verbindung mit deutlich gesunkenen Kosten. Die Zeit ist einfach reif.
Der Diesel-Skandal hat dabei keine Rolle gespielt?
Die Diesel-Krise war nicht der Auslöser für unseren Vorstoß in Sachen E-Mobilität. Volkswagen bietet schließlich bereits seit Jahren Elektrofahrzeuge an – weit vor 2015. Die Entwicklung in den letzten Jahren hat aber sicherlich unternehmensintern dazu beigetragen, das Thema E-Mobilität noch weiter und sehr intensiv zu pushen.
Der Erfolg von Tesla dürfte doch sicherlich auch etwas dazu beigetragen haben.
Der Chef von Tesla, Elon Musk, hat der E-Mobilität im Automobilsektor den Weg bereitet. Das werden wir nun konsequent fortführen. Volkswagen wird mit hoher Kompetenz in Entwicklung, Produktion, Vertrieb und vor allem in der Skalierung großer Volumen der Hersteller sein, der das Elektroauto aus der Nische herausführt und in die Breite bringt.
Wie sieht denn Ihr Beitrag zu diesem ehrgeizigen Ziel konkret aus?
Ich verantworte im Vorstand der Marke Volkswagen das gesamte Themenspektrum der Elektromobilität. Meine konkrete Produktverantwortung erstreckt sich auf alle 27 Fahrzeuge und Derivate, die weltweit in den kommenden drei Jahren auf dem Modularen E-Antriebs-Baukasten (MEB) basieren werden. Wir starten unsere markenübergreifende Mission Ende des kommenden Jahres am Produktionsstandort Sachsen – in unserem Werk in Zwickau. Und bereits im Jahr 2025 produzieren wir mehr als eine Million E-Fahrzeuge der Marke Volkswagen pro Jahr.
Für das Fahrzeugdesign der Elektroflotte sind ja jeweils die einzelnen Marken verantwortlich. Wo genau liegt da Ihre Verantwortung?
Wir werden allein im Werk Zwickau in den nächsten drei Jahren sechs MEB-Modelle für insgesamt drei Konzernmarken fertigen. Es handelt sich hier um Volkswagen, SEAT und Audi. Meine Verantwortung ist es, die Produktion dieser Fahrzeuge präzise und plangemäß hochzufahren. Dazu gehört auch, bereits im frühen Produktentstehungsprozess auf die Machbarkeit der Umsetzung der Designwünsche in der Produktion zu achten. Ich habe deshalb in den letzten Monaten mit den Beteiligten der anderen Marken intensiv alle notwendigen Produktdetails abgesprochen, um die MEB-Fahrzeuge wirtschaftlich produzieren zu können.
Nach außen wirkt das manchmal allerdings etwas unübersichtlich. So hat etwa Ihr Markenvorstandskollege Jürgen Stackmann mit der Verantwortung für Vertrieb, Marketing und After Sales ein rein elektrisches Car-Sharing-Angebot auf Basis der Kundenplattform WE angekündigt. Gleichzeitig sind Sie aber auch für das elektromobile Umfeld zuständig. Wie grenzen sich die unterschiedlichen Verantwortlichkeiten im Bereich Elektromobilität ab?
Jürgen Stackmann hat vor wenigen Wochen in Berlin die Carsharing-Plattform WE vorgestellt, wir arbeiten aber inhaltlich gemeinsam an diesem Thema. Dieses übergeordnete Projekt einer intermodalen Verkehrslösung, welches innerhalb der nächsten zwei bis drei Jahre starten wird, ist ein enger Zusammenschluss zwischen unseren beiden Ressorts E-Mobilität und Vertrieb. Die Kollegen des Vertriebsbereiches steuern die konkrete Ausgestaltung des WE-Projekts – Fahrzeugtechnik und sämtliche zugehörigen Prozesse stammen jedoch aus meinem Bereich. Im Zuge der anstehenden Unternehmenstransformation werden wir künftig deutlich mehr sehen, dass klassisches Bereichsdenken immer häufiger verschwimmen wird. Ein zukunftsorientiertes Unternehmen kann sich kategorische Abgrenzungen zwischen einzelnen Fachbereichen auch gar nicht mehr leisten. Deswegen gehört es auch klar zu meiner Aufgabe, aktiv für die entsprechenden Schnittstellen zu sorgen, die ein solches kooperatives Arbeiten ermöglichen.
Ihre bisherigen Tätigkeiten haben sich vor allem auf den Bereich Produktion und Logistik konzentriert. Darüber hinaus waren Sie auch mehrere Jahre in China tätig. Welche Erfahrungen haben Sie von dort mitgebracht?
China ist uns beim Thema E-Mobilität an vielen Stellen um Einiges voraus. Ich habe dort beispielsweise gesehen, wie wichtig etwa politische Rahmenbedingungen sind – von der Ladeinfrastruktur bis hin zu besonderen Nutzungszonen für E-Fahrzeuge innerhalb von Städten. Das hat China sehr konsequent umgesetzt; hier gilt es für uns einiges aufzuholen.
Sehen Sie China zumindest in dieser Hinsicht als Vorbild für westliche Demokratien?
Man sollte vorsichtig sein, politische Systeme einfach miteinander zu vergleichen. Richtig ist, dass China bestehende politische Möglichkeiten zum Ausbau der E-Mobilität bereits voll ausnutzt. In unserem westlichen Umfeld haben wir als Autohersteller hingegen derzeit noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten, um gemeinsam mit der Politik im Schulterschluss die E-Mobilität in die Breite zu bringen.
Der Modulare E-Antriebs-Baukasten (MEB)
Wesentlicher Bestandteil des MEB ist ein modular aufgebautes Batteriesystem, das sowohl Module mit Pouch- oder Rundzellen als auch prismatische Zellen aufnehmen kann. Je nach Aufbau sollen Reichweiten zwischen 330 und 550 Kilometern (nach WLTP) möglich sein. Die 400-Volt-Architektur lässt sich optional mit 125 kW DC-Leistung laden, Standard sind 50 kW Ladeleistung.
Im MEB können zwei Elektromotoren (vorne und hinten) verbaut werden. Beim Chassis sind unterschiedliche Radstände möglich, sodass der MEB insgesamt eine große Differenzierung zwischen den einzelnen auf dieser Plattform aufgebauten Modellen erlaubt.