Neben der Perzeption besteht eine Herausforderung darin, die aktuelle Verkehrssituation weit genug in die Zukunft zu prädizieren, um den Fahrer rechtzeitig vor sich anbahnenden Konfliktsituationen warnen zu können. Dazu ist es erforderlich, die Handlungsabsicht des eigenen Fahrers sowie die der am Konflikt beteiligten Verkehrsteilnehmer korrekt zu erkennen. In den seltensten Fällen ist das mit hundertprozentiger Sicherheit möglich, weil die Handlungsabsicht weder direkt messbar noch zeitlich konstant ist.
Neben dem prinzipiellen Handlungsplan des Fahrers spielt auch seine eigene Umfeldwahrnehmung eine entscheidende Rolle. Je nachdem, ob er beispielsweise ein vorfahrtsberechtigtes Fahrzeug gesehen hat oder nicht, wird er diesem vor dem Queren einer Kreuzung Vorfahrt gewähren. Das gilt auch für die anderen Verkehrsteilnehmer: Insbesondere für einen Fußgänger ist oft erst in letzter Sekunde eine Aussage darüber möglich, ob dieser auf die Straße tritt oder nicht. Das Ziel der Situationsinterpretation ist es daher zu ermitteln, mit welcher Wahrscheinlichkeit die aktuelle Verkehrssituation zu einem Konflikt führt.
Abhängig davon wird im nächsten Schritt über die Notwendigkeit einer Warnung an den Fahrer entschieden. In der in Bild 3 dargestellten Situation haben sowohl die Handlungsabsicht des Fahrers als auch sein Situationsbewusstsein wesentlichen Einfluss auf die Kollisionswahrscheinlichkeit. Für die Vorhersage des Spurwechselwunsches lassen sich beispielsweise sein Annäherungsverhalten an das vorausfahrende Fahrzeug, der gesetzte Blinker oder auch die Querablage des Fahrzeugs innerhalb des Fahrstreifens heranziehen. Da laut einer Studie des Auto Club Europa etwa 30 Prozent der Fahrstreifenwechsel auf deutschen Autobahnen ohne Setzen des Blinkers erfolgen, wird in den letzten Jahren vermehrt das Blickverhalten des Fahrers als zusätz-licher Indikator für bevorstehende Fahrstreifenwechsel untersucht. Dazu beobachten Kameras im Fahrzeuginnenraum Kopfdrehung und Blickrichtung des Fahrers. Durch einen Abgleich mit dem Fahrzeugmodell wird erkannt, wenn der Fahrer in den linken Außenspiegel blickt.
Die Verteilung der Spiegelblicke bezogen auf den Zeitpunkt des Fahrstreifenwechsels ist in Bild 6 dargestellt. Grundlage hierfür waren 650 Fahrstreifenwechsel nach links, die im Rahmen einer Probandenstudie bei der BMW Group Forschung und Technik untersucht wurden. Hier ist eine Häufung der Spiegelblicke etwa zwei bis fünf Sekunden vor dem Fahrstreifenwechsel deutlich erkennbar. Das entspricht in etwa dem Zeitpunkt, zu dem typischerweise der Blinker gesetzt wird.
Die Verteilung der Spiegelblicke bezogen auf den Zeitpunkt des Fahrstreifenwechsels ist in Bild 6 dargestellt. Grundlage hierfür waren 650 Fahrstreifenwechsel nach links, die im Rahmen einer Probandenstudie bei der BMW Group Forschung und Technik untersucht wurden. Hier ist eine Häufung der Spiegelblicke etwa zwei bis fünf Sekunden vor dem Fahrstreifenwechsel deutlich erkennbar. Das entspricht in etwa dem Zeitpunkt, zu dem typischerweise der Blinker gesetzt wird.
Die zeitlichen Vorhersagepotentiale der Merkmale, die im Rahmen der Studie untersucht wurden, sind in diesem Bild zusammengefasst. Je nach Verkehrssituation lässt sich aus dem Annäherungsverhalten an das Vorderfahrzeug bereits sieben Sekunden vor dem Fahrstreifenwechsel eine entsprechende Absicht erkennen. Das Blickverhalten des Fahrers sowie der Blinker sind ab zirka drei Sekunden vor dem Fahrstreifenwechsel wichtige Indikatoren. Das bedeutet, dass in dem für Fahrerassistenzsysteme so wichtigen Vorhersagehorizont von zwei bis drei Sekunden bereits drei unterschiedliche Merkmale für die Vorhersage geeignet sind. Die Ablage zur Fahrstreifenmarkierung bestätigt die Vorhersage in der Regel ab etwa einer Sekunde vor dem Fahrstreifenwechsel.
Andererseits lässt das Blickverhalten auch Rückschlüsse darüber zu, mit welcher Wahrscheinlichkeit der Fahrer das nachfolgende Fahrzeug bereits gesehen hat. Anhand des Fahrzeugumfeldmodells lässt sich überprüfen, ob dieses zum Zeitpunkt der Spiegelblicke bereits sichtbar war oder ob das Sichtfeld des Fahrers eingeschränkt war. Des Weiteren haben verschiedene Untersuchungen gezeigt, dass die Geschwindigkeit des nachfolgenden Fahrzeugs insbesondere bei hohen Differenzgeschwindigkeiten oft deutlich unterschätzt wird. So kann es vorkommen, dass der Fahrer den Fahrstreifenwechsel auch dann durchführt, wenn er das Fahrzeug gesehen hat. In der probabilistischen Risikobewertung wird dieser Umstand ebenso berücksichtigt wie die Wahrscheinlichkeit, dass der Fahrer bis zur tatsächlichen Durchführung des Fahrstreifenwechsels noch einmal in den Spiegel schauen wird.
Die Entwicklung des elektronischen Kopiloten ist ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg, die Vision vom hochautomatisierten Fahren zu verwirklichen. Die Weiterentwicklung der fahrzeuglokalen Perzeption sowie deren Erweiterung um Inhalte, die via Car-to2-X übermittelt wurden, ermöglichen eine konsistente Repräsentation des Fahrzeug-umfelds sowie die Auflösung von Verdeckungen. Zusätzlich wird das Wissen über das Verhalten anderer Fahrzeuge entwickelt und damit ein verbessertes Situationsverständnisses erreicht. Dieses ermöglicht ein kooperatives Verhalten der Fahrzeuge beim teil- und hochautomatisierten Fahren.