Macht IIoT Ethernet den Rang streitig?

Industrial Ethernet gestern, heute und morgen

7. August 2023, 12:00 Uhr | Andreas Knoll
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Fortsetzung des Artikels von Teil 1

Industrial Ethernet wird weiter wachsen

Schmidt: Wir sind davon überzeugt – und diverse Studien bestätigen dies –, dass Industrial Ethernet weiterwächst. Dies gilt auch für klassische Feldbusse, allerdings flacht sich deren Wachstumskurve ab. Sind Sensor-Aktor-Busse in der Lage, mehr zusätzliche Daten zu übertragen, werden auch sie neue Märkte erobern, was man derzeit bei IO-Link sieht. Zum »Abtransport« dieser Daten in Edge und Cloud sind wiederum OPC UA und/oder MQTT und andere Technologien wie JSON erforderlich. Für Anwender und Hersteller hat dies nur Vorteile; so können sie die optimale Lösung für ihre Applikation finden.

Industrial Ethernet, das in der Mitte dieser Kette sitzt, wird bei all diesen Applikationen eine große Rolle spielen und ist ein wesentlicher Faktor bei der Digitalisierung der Industrie.

Welche Rolle werden TSN, OPC UA over TSN und OPC UA Field eXchange künftig spielen, auch gegenüber den etablierten Industrial-Ethernet-Standards?

Döring: Nach unserer Einschätzung werden TSN, OPC UA over TSN und OPC UA Field eXchange die Industrial-Ethernet-Standards in naher Zukunft nicht ablösen, sondern ergänzen. Großes Potenzial sehen wir bei TSN, das sich als Standard für deterministische Kommunikation in unterschiedlichsten Anwendungen etablieren könnte. Wie bei allen neuen Technologien muss außerdem eine gewisse Marktakzeptanz vorhanden sein. Dies hängt vor allem davon ab, wie groß die Vorteile für die Anwender sind. TSN-fähige Automatisierungsgeräte sind momentan noch Mangelware, und ähnlich wie bei 5G wird es sehr lange dauern, bis es eine große Marktdurchdringung geben wird. Und das auch nur dann, wenn nicht wieder neuere Technologien auf den Plan treten, die noch mehr Kommunikationsherausforderungen lösen können als TSN.

Schmidt: TSN ist eine in der IEEE standardisierte Möglichkeit, Echtzeit-Anwendungen mit verschiedenen Service-Levels zu integrieren. Zusammen mit vielen anderen Organisationen hat PI eine Auswahl der Detailfunktionen und Integration von TSN vorangetrieben, sodass diese Technologie zu den heute bewährten Methoden zusätzlich möglich ist. Für eine Controller-zu-Controller-Kommunikation ergibt sich mit OPC UA eine weitere Möglichkeit mit dem Schwerpunkt der Objektorientierung. Nun geht es darum, diese Ansätze in die Umsetzung und in die Praxis zu bringen. Und hier müssen die neuen Technologien ihren Zusatznutzen gegenüber den heute bewährten Lösungen aufzeigen.

Schmidt Xaver
Xaver Schmidt, PNO: »Heute ist eine Welt ohne Industrial Ethernet undenkbar.«
© PNO

Welche Rolle wird Single-Pair-Ethernet in der Industrie künftig spielen?

Döring: SPE ist vor allem für sehr einfache Geräte wie Sensoren interessant. In der Prozessindustrie sehen wir daher das größte Potenzial. Es konkurriert jedoch im Fabrikumfeld mit existierenden Lösungen wie der Sensorkommunikation mit IO-Link oder AS-Interface. Allerdings lassen sich mit SPE einheitliche Programmier-Tools vom Sensor bis zur Cloud verwenden, was definitiv ein Vorteil ist. Letztendlich ist auch hier die Frage, wie schnell Kunden die neue Technologie annehmen. Dass es momentan keinen einheitlichen Steckerstandard gibt, ist eher kontraproduktiv. Auch die Kosten spielen eine Rolle. Bisher kostengünstige Sensoren werden teurer, wenn sie SPE unterstützen und Profinet als Protokoll integriert haben. Ob die einfachere Konfiguration diese Mehrkosten aufwiegt, muss jeder Kunde für sich entscheiden.

Schmidt: In der Ausprägung Ethernet-APL ist diese neue Übertragungstechnik entscheidend für den Zugang in die Prozessautomatisierung. PI hat in den verschiedenen Gremien von der Standardisierung bis hin zu Aufbaurichtlinien mitgewirkt. Nun erleben wir gerade die konkrete Umsetzung in Geräte und Anlagen.

In der Fabrikautomatisierung oder in hybriden Anlagen lassen sich sowohl entsprechend angepasste Prozessautomatisierungs-Geräte einsetzen als auch neue Geräte, die die Vorteile von SPE mit einfacher Verkabelung und integrierter Stromversorgung verbinden. Auch für intelligente Gebäudenetzwerke oder IoT-Anwendungen ist SPE interessant, weil sich hier die Endgeräte – Sensoren oder Aktoren – in der unteren Feldebene mit ausreichender Datenbandbreite kostengünstig betreiben und barrierefrei an bestehende IT-Netze andocken lassen. Allerdings sind hier noch weitere Detailarbeiten notwendig.

Welche Aufgaben wird Ethernet künftig im IIoT erfüllen – in Systemen mit einer Sensor-to-Cloud-Kommunikation?

Döring: Ziel ist es, mit Ethernet als einheitlicher Technologiebasis eine transparente Datenkommunikation vom Sensor in die Cloud zu realisieren. Aufgrund seiner Flexibilität beim Übertragungsmedium kann die Datenkommunikation verkabelt oder wireless sein. Und es bietet die Möglichkeit, von der Sensor-Ebene bis zur Cloud einheitliche Konfigurations-Tools zu verwenden.

Schmidt: Ethernet hat sich als das Standardmedium etabliert. Für die heutigen und zukünftigen Aufgaben ist die volle Nutzung des Potenzials von Ethernet entscheidend. Die PI-Technologien sind offen für die Weiterentwicklungen der Basistechnologie selbst, d. h. TSN, SPE, Multi-Gig. Entscheidend ist die Nutzung der Offenheit für verschiedene Dienste am gleichen Kabel, sodass neben der I/O-Datenübertragung für die Maschinen- oder Anlagen-Funktion der Zugriff auf die Daten für IIoT-Use-Cases einfach möglich ist.

Wie sehen Sie die Zukunft von Industrial Ethernet? Wie wird es Ihres Erachtens mit Industrial Ethernet weitergehen?

Döring: Der Traum aller Anwender, einen einheitlichen industriellen Kommunikationsstandard zu haben, wird wohl weiterhin ein Traum bleiben. Wir werden auch in Zukunft mit dem Nebeneinander verschiedener Industrial-Ethernet-Protokolle leben müssen.

Durch die zunehmende Digitalisierung sollen künftig noch mehr Anlagendaten erfasst werden. Das heißt, die Anforderungen an Bandbreite und Performance werden steigen.

Cybersecurity ist schon heute ein großes Thema. Hier sind die Anwender sensibilisiert und fordern zunehmend mehr Sicherheitsfunktionen. An der verschlüsselten Datenübertragung führt kein Weg vorbei.

Auch die Datenstruktur wird sich ändern. Es wird zu einer standardisierten Darstellung kommen. Wenn die Strukturierung der Informationen vereinheitlicht ist, lassen sich unterschiedliche Geräte und Systeme wesentlich einfacher vernetzen.

Schmidt: Der Bedarf an industrieller Kommunikation wird enorm zunehmen, auch im Hinblick auf neue Applikationen. So werden in einigen Branchen, etwa in Mining-Umgebungen, erst jetzt ältere Feldbustechnologien durch Profinet abgelöst. Es gilt aber auch, neue Anforderungen im Auge zu behalten. Das Thema Security wird uns ebenso wenig loslassen wie Wireless-Anwendungen, Omlox für eine offene, standardisierte Ortungs-Infrastruktur oder Module-Type-Packages (MTPs) als Schlüssel für flexible verfahrenstechnische Produktionsanlagen. PI bietet für diese vielfältigen Anforderungen eine zukunftssichere Strategie auf Grundlage einer offenen Ethernet-Architektur mit Profinet.
 


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