Welche Rolle spielt die Technische Spezifikation ISO TS 15066 bei der Risikobeurteilung von MRK-Applikationen? Was ist bei ihrer Anwendung zu beachten?
Wie schon erwähnt, ergänzt diese Spezifikation die bestehende Norm EN ISO 10218. Sie soll Anwendern und Integratoren als Hilfestellung bei der Risikobeurteilung einer kollaborierenden Roboteranwendung dienen – besonders für Anwendungen, bei denen Mensch und Maschine direkt neben- oder miteinander arbeiten und eine Leistungs- und Kraftbegrenzung der Roboter für Sicherheit sorgt.
Dafür müssen Sie sich vorstellen, dass das Risiko der MRK-Anwendungen auf Grundlage aller möglichen Kollisionsszenarien von Mensch und Roboter beurteilt wird. Das kann etwa eine Klemmung oder freie Kollision im Kollaborationsraum sein, also im gemeinsamen Arbeitsbereich. Mit verschiedenen Verfahren – genauer gesagt mit Messungen bei Klemmung oder durch Berechnung bei freiem Einschlag – muss festgestellt werden, dass die Kräfte und Drücke einer Kollision keine Verletzungen verursachen. In der Vergangenheit definierte die inzwischen nicht mehr gültige Vorgängerversion der EN ISO 10218 aus dem Jahre 2008 dafür pauschal eine maximal zulässige Kontaktkraft von 150 Newton bei einer Kollision zwischen Mensch und Roboter. Die aktuelle Norm verweist hier auf die ISO TS 15066: Deren Anhang A führt ein optionales Körperzonenmodell ein, das 29 unterschiedliche Körperstellen sowie die Stellen betreffende „Schmerzgrenzen“ definiert. Es gilt dabei allerdings zu beachten, dass der Anhang A der ISO TS 15066 den Zusatz „Informativ“ trägt. Die hier beschriebenen Kraftwerte sind daher keine verbindlichen Grenzwerte, sondern als Hilfestellung bei einer Risikobeurteilung zu verstehen.
Wie lässt sich die Kraft- und Druckausübung MRK-fähiger Roboter auf den Menschen einschätzen und bestimmen – bei einklemmenden und bei freien Kollisionen mit menschlichen Körperteilen?
Grundsätzlich muss man in diesem Zusammenhang zwei mögliche Kollisionsszenarien unterscheiden.
Während sich der erste Fall durch Kraft- und Druckmessung bestimmen lässt, machen wir immer wieder die Erfahrung, dass es bei der Bewertung des zweiten Falls zu Fehlern kommt. Denn oft wird dabei das Messgerät zur Kraftmessung im freien Raum fixiert und die Kraft wie bei einer Klemmung gemessen. Dies ist physikalisch betrachtet natürlich falsch und kann somit nicht einmal im Ansatz einen realen Wert wiedergeben. Ein viel geeigneterer Ansatz ist dagegen, die Transferenergie zu berechnen, die vom Roboter in die getroffene Körperregion übertragen wird. Dies ist ebenfalls in TS 15066 beschrieben, wird jedoch noch nicht oft angewendet.
Welche Rolle spielt die Beschaffenheit der vom Roboterarm zu greifenden Gegenstände für die Risikobeurteilung von MRK-Applikationen?
Eine ganz entscheidende – bei allen MRK-Anwendungen sind ja über den Roboterarm hinaus immer auch das angebrachte Werkzeug und die bewegten Objekte zu betrachten. Eine Risikobeurteilung bestimmt dann die sicherheitstechnischen Anforderungen. Da ist es natürlich etwas ganz anderes, ob der Roboter etwas Weiches oder einen spitzen, scharfen oder anderweitig für den Menschen potenziell gefährlichen Gegenstand greift: Wenn eine Kollision mit dem Mitarbeiter möglich ist, kann das dazu führen, dass Sicherheitsmaßnahmen wie ein Schutzzaun, der Mensch und Roboter räumlich voneinander trennt, erforderlich sind.
Welchen PL (Performance Level) bzw. SIL (Safety Integrity Level) müssen kollaborative Roboter bzw. deren Steuerung erfüllen?
EN ISO 10218-1 gibt dazu eine Aussage im Abschnitt 5.4.2. Er fordert den PL d gemäß EN ISO 13849-1 bzw. den SIL 2 gemäß IEC 62061. Zunächst muss man in diesem Zusammenhang aber noch einmal auf die Maschinenrichtlinie selbst zurückgehen. Sie besagt, dass Sicherheitsanforderungen nur dann gelten, wenn von der Maschine auch eine entsprechende Gefährdung ausgeht. Betrachtet man hier einen kollaborierenden Leichtbauroboter wie den UR3 von Universal Robots oder den YuMi von ABB, muss man sich die Frage stellen, ob eine potenzielle Gefährdung durch diese Geräte tatsächlich so groß ist, dass sie den PL d rechtfertigt. Hier lässt EN ISO 10218:2011 im Abschnitt 5.4.3 daher Sicherheitssteuerungen zu, deren sicherheitsbezogene Leistungsfähigkeit abweicht, sofern im Rahmen einer Risikobeurteilung festgestellt wurde, dass sie ausreicht.
Leider wird auch diese Möglichkeit zu wenig beachtet oder scheint die Regelung vielen nicht bekannt zu sein. Dies führt in der Praxis zum berühmten Äpfel-und-Birnen-Vergleich, bei dem für einen tonnenschweren herkömmlichen Industrieroboter meist der gleiche Performance Level PL gefordert wird wie für einen kleinen Leichtbauroboter mit beispielsweise 0,5 kg Traglast.
Die neue Norm EN ISO 10218, die sich derzeit in Überarbeitung befindet, wird hier hoffentlich eine klarere Regelung schaffen, im Rahmen derer unterschiedliche Produkte auch unterschiedlich bewertet werden.