Können Sie ein weiteres Beispiel genutzter Cloud-Dienste aus der Praxis nennen?
Etwa einen Schweißvorgang. Die Daten über Stromstärke, die Temperatur des Blechs und den Anpressdruck der Schweißzange werden in die Cloud geschickt und analysiert. Die Ergebnisse wandern dann wieder in die Produktion zurück, um den Schweißprozess zu optimieren und den CO2-Abdruck zu reduzieren. Hierbei kann aufgrund der hohen Bandbreite und Störsicherheit gegenüber elektromagnetischen Impulsen eine Kombination aus 5G und optischen Netzen (F5G) zum Einsatz kommen, wie wir ebenfalls auf der Hannover Messe mit unserem Partner KIT (wbk) gezeigt haben.
Wo kommt dabei 5G ins Spiel?
Mit 5G wird wegen der hohen Datenraten und der niedrigen Latenz erstmals die drahtlose kritische Kommunikation in Echtzeit in der Industrie möglich, für Anwendungen, die absolut zuverlässig und sicher funktionieren müssen. Die Unternehmen können beispielsweise private 5G-Netze installieren, um die drahtlose Vernetzung in der Praxis umzusetzen, sodass sie alles unter eigener Kontrolle haben. An der Produktionsinsel »Kuba« wird mit Partnerunternehmen demonstriert, dass der Aufwand dafür nicht sonderlich hoch ist.
Das zeigt zwei Dinge: Die beiden Industriezweige der fertigenden Industrie und der Telekommunikation verschmelzen und eröffnen damit Innovationen eines kabellosen Designs vernetzter Anlagen und Maschinen. Mobile private Netzwerke können und werden die industrielle Digitalisierung beschleunigen. Aber naturgemäß gibt es Widerstände in den mehr konservativen Industrien, wo Ersatzteile, Technologien und Software teils über Jahrzehnte vorgehalten werden müssen. Auch müssen neue Zertifizierungsverfahren entwickelt werden, um die dynamische Sicherheit drahtlos gekoppelter Module sicherstellen zu können.
Die Unternehmen dürften aber auch aus anderen Gründen davor zurückschrecken, etwa weil im Kommunikationsbereich die Innovationszyklen viel kürzer sind als in Industrieumgebungen. Kaum haben sie etwas installiert, müssten sie dann schon wieder auf neue Standards umstellen…
…das stimmt, jetzt wird ja schon über 6G gesprochen, wobei die Umsetzung bis 2030 erwartet wird. Da wird sich manch einer sagen: Warten wir einfach mal in Ruhe ab, bis 7G kommt. Aber wie gesagt, ein Campusnetz lässt sich schon heute sehr einfach aufbauen, wie wir zeigen: Es besteht aus drei Einschüben und einer Antenne, das funktioniert relativ einfach – ohne dass man hierbei ein Experte sein muss.
Warum sollen aus Ihrer Sicht die Unternehmen sich jetzt sehr schnell mit diesen Themen auseinandersetzen, was rechtfertigt zum Schluss den Aufwand?
In anderen Weltregionen wird intensiv an der Digitalisierung gearbeitet. Wenn wir nicht sehr schnell handeln, ist der Standort Deutschland und damit auch Europa gefährdet. Und die Wertschöpfung in Netzwerken bringt viele Vorteile: Erstens können neue Geschäftspotenziale erschlossen und bestehende optimiert werden und zweitens birgt die Digitalisierung ein enormes Reduktionspotenzial für den CO2-Fußabduck von Unternehmen und Fertigungsprozessen.
Nachhaltigkeit wird hierbei beispielsweise dadurch erreicht, dass die material- und energieintensive Prototypenphase übersprungen werden kann, da viele Funktionen bereits im digitalen Zwilling getestet werden können. Werden sie in der realen Fertigung vor Ort eingesetzt, wird aber erfahrungsgemäß doch noch einiges eintreten, mit dem nicht gerechnet wurde. Beispielsweise scheint zu einer bestimmten Zeit die Sonne durch das Oberlicht einer Produktionshalle genau auf den Sensor einer Kamera und blendet ihn, sodass die Kamera nichts mehr erkennen kann. Das wird man erst vor Ort erfahren, um es dann anzupassen.
Ein weiteres Beispiel ist ein Schweißroboter zur Türmontage in der Autoproduktion, der zeitgleich auch das Spaltmaß kontrolliert. Das funktioniert aber nicht, wenn Schweißperlen auf die Kameralinse fallen, also wurde die Kamera mit einem »Augenlied« versehen. Der Teufel steckt halt im Detail – auch heute noch.
Das hört sich interessant an, sieht aber nicht wirklich nach einem Umbruch aus?
Das ist ja auch längst noch nicht alles: Die Erkenntnisse aus einer Fertigungslinie lassen sich nicht zuletzt mithilfe der 5G-Technik auf weitere Fertigungslinien an unterschiedlichen Standorten übertragen und auch selber nutzen. Das ist für die KI wichtig, denn mit den Daten aus der Produktion wird die KI trainiert. Manche interessanten Daten, z. B. Fehlertypen, aber treten in einer Produktion relativ selten auf. In mehreren Produktionen schon öfter. Mit mehr Daten lässt sich die KI besser trainieren als mit weniger. Dies alles führt dazu, dass etwas Entscheidendes passiert: Es kommt nicht wie früher auf die unveränderbare Perfektion der Maschinen an, sondern eher auf deren Anpassbarkeit. Außerdem führt die KI zu einer neuen Arbeitsteilung im Industrieprozess, das würde ich schon als einen Umbruch bezeichnen.
Was ist damit konkret gemeint?
Aus der Produktspezifikation lassen sich die Anforderungen an die Produktionsmittel ermitteln, die am besten für die Fertigung des Produkts geeignet sind. Dann kann man nach Kriterien wie Preis, Umweltverträglichkeit und Lieferzeiten jeweils den für das Produkt am besten geeigneten Fertigungsprozess aussuchen. Das ist in Zukunft die neue Aufgabe für die KI. Dann werden die Verträge entsprechend den neuen Geschäftsmodellen geschlossen.
Die KI wird aber auch den Engineering-Prozess verändern. Die Ingenieure werden nicht mehr den gesamten Produktionsprozess von Grund auf entwickeln müssen, sondern die KI wird auf Basis der riesigen Datenräume und der digitalen Zwillinge neue Produktionsprozesse generieren können. Da werden sicherlich auch überraschende Vorschläge dabei sein, auf die kein Ingenieur so schnell gekommen wäre. Die Aufgabe der Ingenieure wird es dann sein, die Vorschläge zu bewerten und umzusetzen.
Der Mensch wird aus dem Prozess also nicht verschwinden?
Nein, wir müssen im Gegenteil die Rolle des Menschen als Entscheider in der Entwicklung und der Produktion stärken. Der Mensch steht im Zentrum von Industrie 4.0: Auch in der Produktionsinsel »Kuba« ist ein Arbeitsplatz für einen Menschen vorgesehen, ohne den Menschen geht es nicht.
Es geht also schlussendlich darum, dass die Nutzung von Datenräumen einerseits durch Einziehung regionaler Dienste zu mehr Resilienz und andererseits auch zu Effizienzsteigerung und Nachhaltigkeit führen können, auch in globaler Zusammenarbeit ?
Ja, Datenräume sind selbstverständlich nicht auf Deutschland beschränkt. Bei Catena-X zum Beispiel sehen wir aktuell eine internationale Ausrichtung und Einbeziehung weiterer Partner aus den USA, Frankreich, China, Korea und Japan. Der digitale Produktpass, der auch Informationen zum CO2-Fußabdruck enthalten wird, sollte sicherlich einer der Schwerpunkte sein, der bei Manufacturing-X aufgegriffen wird. Ich bin gespannt, die Veröffentlichung der Ausschreibungen, auf die man sich als Unternehmen und Konsortien bewerben kann, stehen unmittelbar bevor.