Was »Manufacturing X« bringt

»Die Industrieprozesse werden sich grundlegend ändern!«

30. Mai 2023, 9:30 Uhr | Heinz Arnold
Jürgen Grotepass, Chief Strategy Officer Manufacturing Standardization & Industry Development Europe von Huawei: »Es kommt nicht wie früher auf den Bau perfekter, nur in kleinen Bereichen veränderbarer Maschinen an, sondern auf ihre Nachhaltigkeit und Anpassbarkeit für neue Produktvarianten. Vor allem werden Cloud-Dienste und die KI zu einer neuen Arbeitsteilung im Industrieprozess führen.«
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Im Interview erklärt Jürgen Grotepass von Huawei, was sich hinter dem Begriff »Manufacturing X« verbirgt, und zeigt am Beispiel eines Demonstrators zur vernetzten Produktion, wie das Ganze in der Praxis funktioniert und wie tiefgehend sich die Arbeitsteilung im gesamten Industrieprozess ändern wird.

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Markt&Technik: Huawei ist einer der Partner an der Shared-Production-Plattform, die unter der Federführung der SmartFactory-KL entwickelt wurde. Auf der Hannover Messe hatte die SmartFactory-KL auch in diesem Jahr die Fertigungsinsel »Kuba« aufgebaut und gezeigt, wie eine vernetzte und kundenindividuelle Produktion in der Praxis funktionieren kann. Was genau wurde dort gezeigt?

Jürgen Grotepass: Die Produktionsinsel »Kuba« – eine von insgesamt vier Inseln, die als Production-Level-4-Demonstrator in Kaiserslautern arbeiten – hat gezeigt, wie Modelllastwagen auf Basis der Shared Production, also der vernetzten Produktion, kundenindividuell gefertigt werden können. Einer der gezeigten Use Cases: Wie sich der CO2-Fußabdruck durch alle Fertigungsprozesse erheben lässt, beispielsweise in Abhängigkeit von den verwendeten Prozesstechniken wie CNC oder 3D-Druck.

Das kann ziemlich komplex werden, denn es müssen weitere Parameter einfließen. Etwa, welche Werkstoffe verwendet werden. Je nachdem, ob es Plastik, Metall oder Holz ist, ändert sich der CO2-Ausstoß. Das Ziel besteht darin, den CO2-Fußabdruck durch die gesamte Lieferkette zu verfolgen und zu bilanzieren. Jede Komponente wird hier über seine Verwaltungsschale, die den digitalen Zwilling in der Cyberwelt repräsentiert, beschrieben. Jedem Produkt kann so der CO2-Fußabdruck zugeordnet werden, indem alle Beiträge sämtlicher Komponenten aufsummiert werden. Wohin wird die Reise gehen?

Wir sehen, dass sich digitale Marktplätze entwickeln, in denen auch kleine Unternehmen ihre Fertigungsmittel anbieten können. Kunden können dann ihre Fertigungspartner in der Lieferkette je nach Wunsch und Prioritäten – Regionalität, Energie- und CO2-Verbrauch, Kosten, Lieferzeit – wählen.

Mit »Manufacturing X« gehen wir also jetzt einen wichtigen Schritt weiter, um Industrie 4.0 tatsächlich in die breite Industrie zu bringen, das heißt, dass die kleinen und mittleren Unternehmen, die bisher vielleicht noch davor zurückgeschreckt sind, Industrie 4.0 in Netzwerken umsetzen können.

Was ist mit »Manufacturing X« genau gemeint?

»Manufacturing X« steht als Kurzform dafür, dass künftig digitale Zwillinge, künstliche Intelligenz, Cloud-basierte Dienste und die Weiterentwicklung industrieller Netzwerke wie 5G, optischer Netze und später 6G zu Kerntechnologien werden, die eine Wertschöpfung in Datenräumen entlang der Wertschöpfungskette ermöglichen. Das Augenmerk gilt hier nicht mehr allein dem Shopfloor wie bisher, sondern jetzt zunehmend auch den digital verbundenen Produktionsnetzwerken und Datenräumen – regional, national und global. Hierdurch wird auch die angestrebte Resilienz der Lieferketten erreicht.

Wie wird der CO2-Fußabdruck erhoben?

Am Beispiel der Produktionsinsel »Kuba« geht das noch recht einfach: Es lassen sich zumindest für die einzelnen Produktionsschritte berechnen, welchen CO2-Ausstoß sie jeweils generieren. In die Rechnung muss aber auch eingehen, wo jedes Einzelteil herkommt, wie es produziert und wie weit es transportiert wurde. In einer realen Produktion müsste beispielsweise auch bekannt sein, ob ein verbautes Teil mithilfe von Energie aus Kohle in China oder mit Hilfe von Wasserkraft in Brasilien hergestellt wurde.

Insgesamt wird sich dies nicht im Einzelnen berechnen lassen. Man wird sich also anfangs auf Schätzwerte einigen müssen, die in einer Datenbank zusammengestellt werden. Damit beschäftigen sich gerade Arbeitsgruppen beim ZVEI, VDMA, und in der Industrial Digital Twin Association. Bei »Catena-X« wird bereits an ersten globalen, cloud-basierten Lösungen zur Ermittlung gearbeitet.

Inwieweit lassen sich hier die Erfahrungen aus »Catena X« übernehmen?

»Catena-X« ist das erste kollaborative, offene Datenökosystem für die Automobilindustrie der Zukunft. Es vernetzt globale Akteure zu durchgängigen Wertschöpfungsketten. Mit »Manufacturing X« sollen nun Datenräume aller Industriesegmente erreichbar und vernetzbar werden, vor allem auch für kleinere und mittlere Unternehmen. Da lässt sich selbstverständlich einiges übernehmen. Die Ermittlung des CO2-Fußabdrucks für Produkte und auch Fertigungsverfahren in der gesamten Lieferkette ist eines der Fallbeispiele.

Dazu müsste also vollkommen transparent sein, wer die Zulieferanten sind und wie hoch ihr Fußabdruck jeweils ist. Geht diese Transparenz den Unternehmen nicht zu weit?

Der Ausweg besteht darin, dass nur in kleinsten Lieferketten Daten zwecks Geschäftsabschluss geteilt werden, die nur den Vor- und Nachlieferanten angehen. Ein Beispiel: Der Sitzlieferant eines Automobilherstellers wird nur die Daten des Automodells kennen, um den Sitz maßgeschneidert liefern zu können, und natürlich die seines Stofflieferanten. Aber darüberhinaus kennt der Stofflieferant nicht das Automodell in das der Sitz geliefert wird und umgekehrt. In dieser Struktur können ganze Lieferketten abgebildet werden.

Was trägt Huawei konkret zur Produktionsinsel »Kuba« bei?

Wir beschäftigen uns damit, wie sich KI-Dienste in einer verteilten Produktion nutzen lassen. Wie ein datensouveränes Lernen (Federated Learning) über ein Cloud-Modell dazu führt, dass sich die Qualitätsinspektion bei allen Produktionsstandorten verbessert.

Aber auch wenn keine Konnektivität besteht, können Anlagen davon profitieren. Über das sogenannte »Brownfield Updating« von Maschinen wird gezeigt, wie sich Sensoren über 5G integrieren lassen, damit Daten zur Optimierung von Prozessen und zur Qualitätsoptimierung genutzt werden können.

Innerhalb des Shared-Production-Demonstrators »Kuba« zeigen wir, wie datensouveränes Lernen in der verteilten Produktion funktioniert. Die Produktionsinsel ist mit unserem europäischen Forschungszentrum in München mit einer Fertigungsinsel vernetzt. Eine dort integrierte, mobile Kamera sendet über 5G Daten an ein lokales Edge-Device, das die Fertigungsqualität am Standort München überwacht. Dies geschieht mit einem lokal vortrainierten KI-Modell, das seine Gewichte mit einem übergeordnetem Cloud-Modell teilt. Dieses speist sich dann aus den Gewichten aller lokalen KI-Modelle der teilnehmenden Produktionspartner. Im übergeordneten Cloud-Modell findet dann die Optimierung statt, sodass optimierte Parameter allen wieder lokal zur Verfügung gestellt werden können.

Als Partner im »Gaia-X«-Projekt »smartMA-X« zeigen wir, wie dieser zentrale Use Case über KI-Dienste aus der Cloud nicht nur zu einer verbesserten Gesamtleistung aller Partner führt, sondern auch zur Einsparung bisher sonst lokal vorgehaltener Rechenleistung, die für die Qualitätssicherung an den einzelnen Standorten notwendig wäre, was auch eine erhebliche Reduzierung des CO2-Fußabdruckes bedeutet.


  1. »Die Industrieprozesse werden sich grundlegend ändern!«
  2. »Der Mensch steht im Zentrum von Industrie 4.0«

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