Daten managen an der Edge

Darum wird Edge Computing künftig unentbehrlich

27. Mai 2024, 15:00 Uhr | Von Knut Seifert
Edge Computing kann im Zusammenwirken mit Technologien wie Cloud und IoT Potenziale ausschöpfen.
© arrow/stock.adobe.com

Viele Anforderungen der digitalisierten Industrie werden sich nur durch Edge Computing lösen lassen: immer kürzere Reaktions- und Latenzzeiten, ungebremstes Datenwachstum sowie nötige Effizienzsteigerungen.

Diesen Artikel anhören

Auch die Cloud wird aber in Zukunft notwendig sein und ebenso wie 5G, KI und IoT Synergien ermöglichen. Und das Thema Cybersecurity ist auch an der Edge zu beachten. 

Um in der Produktion oder generell in Betriebsabläufen Effizienzsteigerungen zu erzielen, sind Daten heutzutage essenziell. Doch nicht alle Daten sind unternehmensweit und langfristig von Bedeutung. Daher sollten Daten in verschiedene Kategorien unterteilt werden, um zu entscheiden, wo eine zentrale Verarbeitung und/oder Speicherung sinnvoll ist und wo nicht. Unnötige Datenübertragung kann schließlich zu erhöhtem Bandbreitenbedarf und somit wiederum zu vermeidbaren Kosten und Ineffizienzen führen.

Dazu ein Beispiel: In der automatisierten Fertigung überwachen schon heute unzählige Sensoren verschiedenste Variablen wie Temperatur oder die Vibration von Maschinen und generieren unablässig Daten. Im Zuge von Entwicklungen wie Industrie 4.0 und Smart Factories wird sich dies noch weiter intensivieren, und der Bedarf nach Echtzeitanalysen der riesigen Datenmengen wächst. Nur so lassen sich Produktqualität und Höchstleistung der eingesetzten Maschinen sicherstellen.

Die Herausforderung dabei ist allerdings, dass eine große Menge Sensordaten entstehen, die meist nur eine kurzfristige und lokale Relevanz haben. Geht es beispielsweise darum, ein Werkstück automatisch innerhalb einer Maschine zu positionieren, sind die Daten der dafür gemessenen Abstände nicht mehr relevant, sobald das Werkstück richtig liegt. Dies ist natürlich ein vereinfachendes Beispiel, doch es soll zeigen, dass Daten nicht immer übertragen, zentralisiert und langfristig gespeichert werden müssen. Aufgrund ihrer örtlich und zeitlich begrenzten Bedeutung bietet sich gerade bei vielen Sensordaten stattdessen die Ad-hoc-Verarbeitung vor Ort an – die oft sogar direkt innerhalb einer Maschine möglich ist.

Aber auch in übergeordneten Funktionen kann die dezentrale Datenverarbeitung mittels Edge Computing Vorteile bieten. Traditionelle zentralisierte Modelle stoßen aufgrund von Übertragungsbeschränkungen oft an Grenzen, die die Präzision und Aktualität von Datenanalysen beeinträchtigen. Edge-basierte Dienste und Tools können dagegen vor Ort spezialisierte Datenverarbeitungskapazitäten bereitstellen, die sich nahtlos in bestehende Systeme integrieren lassen.

Beispielsweise könnte Edge Computing künftig die Basis für autonome Verkehrsnetze bilden, die auf aktuelle, lokale Anforderungen selbstständig reagieren können. Wenn etwa Rettungskräfte zu einem Notfall fahren müssen, könnten Ampeln für sie automatisch eine grüne Welle bilden, und andere Fahrzeuge könnten umgeleitet werden. Um ein solches Szenario zu realisieren, sind allerdings kurzfristig so viele lokale Daten notwendig, dass es mit einem herkömmlichen zentralistischen Modell nicht umsetzbar wäre.

Das Grundproblem der Latenz

Neben der Vermeidung unnötiger Datenübertragung und -speicherung kommt noch der Faktor der Latenz hinzu. Ganz allgemein handelt es sich dabei um Verzögerungen in der Datenkommunikation, die entweder durch die Verarbeitung, Umwandlung oder Decodierung von Daten entstehen und/oder durch den Übertragungsweg und die dafür benötigte Zeit zustande kommen. Letztere lässt sich niemals auf Null reduzieren, weil sich auch Daten nicht schneller als die physikalisch begrenzte Lichtgeschwindigkeit bewegen können.

Seifert_Knut
Knut Seifert, Kyndryl Deutschland: »In einem sich ständig weiterentwickelnden digitalen Umfeld kann Edge Computing die Datenverarbeitung in Synergie mit anderen Technologien revolutionieren.«
© Kyndryl

Obwohl diese unvorstellbare 300.000 km pro Sekunde beträgt, könnte global gesehen sogar die hypothetische Datenübertragung mit Lichtgeschwindigkeit auf direktestem Weg merkliche Verzögerungen verursachen. Die Latenz, die heutzutage als Maximum für annehmbare User Experience gilt, liegt bei etwa 65 ms. In dieser Zeit legt Licht etwa 19.500 km zurück. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass innerhalb des Zeitfensters Hin- und Rückweg stattfinden müssen, dürfte die maximale Distanz zwischen Sender und Empfänger in diesem Beispiel also höchstens 9750 km betragen. Zum Vergleich: Die direkte Luftlinie von New York nach Tokio beträgt etwa 10.800 km.

In sensiblen Bereichen gelten allerdings wesentlich strengere Latenzanforderungen: Ein prominentes Beispiel wäre etwa das autonome Fahren. Darüber, wie gering die Latenzzeiten für die Kommunikation zwischen Fahrzeugen mit umgebender Infrastruktur tatsächlich sein müssen, gehen die Meinungen zwar auseinander, meist werden hier aber einstellige Millisekundenbereiche genannt.

Noch dramatischer wird es im Hochfrequenzhandel, wo bisweilen Mikrosekunden über geschäftliche Erfolge und Misserfolge entscheiden können. So gibt es in der Finanzindustrie bereits seit Jahren Konkurrenz um Standorte, die möglichst nahe an neuralgischen Punkten der Datenkommunikationsinfrastruktur liegen. Dies können beispielsweise Anschlussstellen von Seekabeln sein.

Weil sich die Zeitverzögerung für Datenübertragung nie ganz umgehen lässt, ist der einzige Weg, um die wachsenden Latenzanforderungen zu erfüllen, Rechenkapazitäten näher an Anwendungen und Nutzer zu bringen. Anders ausgedrückt: Wenn sich die Geschwindigkeit nicht mehr steigern lässt, muss der Weg verkürzt werden.

Mit Edge Computing lässt sich Datenverarbeitung somit fast in Echtzeit realisieren. In Produktionsumgebungen entstehen dadurch Analysen ohne merkliche Verzögerung, entweder direkt in der Maschine oder in lokalen Edge-Knoten, was sofortige Anpassungen zur Optimierung der Produktqualität und Minimierung von Ausfallzeiten ermöglicht.

Sicherheit durch Dezentralität

Durch die Expansion digitaler Plattformen in unterschiedlichen Sektoren, wie der Industrie, dem Gesundheitswesen, der Finanzbranche oder der öffentlichen Infrastruktur, wachsen die Anforderungen an den Schutz sensibler Daten. Zentralisierte Systeme bieten zwar robuste Datenmanagementfähigkeiten, schaffen aber auch Schwachstellen, vor allem durch die notwendige Datenübertragung. Jede Schnittstelle, an der Daten von lokalen Geräten an zentrale Server übermittelt werden, wird somit zu einer potenziellen Angriffsfläche für Kriminelle.

Diese Risiken lassen sich durch die lokale Verarbeitung und Speicherung von Daten minimieren. Ein Beispiel dafür wäre die Videoüberwachung im öffentlichen Raum. Strafverfolgungsbehörden können Edge-Computing-Knoten in Verbindung mit intelligenten Überwachungssystemen einsetzen. Innerhalb dieser Knoten ließen sich Gesichtserkennung und Verhaltensmusteranalysen durchführen, ohne dass die sensiblen persönlichen Daten von Passanten übertragen werden müssen.

Andersherum könnten die Knoten aber regelmäßig mit Datenbanken gesuchter Verdächtiger synchronisiert werden, sodass das System Alarm schlagen kann, sobald es eine Person von der Fahndungsliste oder verdächtige Aktivitäten erkennt. Die Aufnahmen unbeteiligter Passanten müssen so nicht übertragen werden, wodurch diese sensiblen Daten vor Angriffen geschützt sind.

Letztlich bedeutet Edge Computing also eine grundsätzlich andere Herangehensweise an Datenmanagement und -verarbeitung als traditionelle, zentralistische Ansätze. Dadurch lassen sich einige Herausforderungen in einer Zeit der fortschreitenden Digitalisierung lösen. Datenverarbeitung und -analyse vor Ort ermöglicht die Beschränkung der Übertragung auf wirklich relevante Daten und schont so die Bandbreiten. Enorme Latenzanforderungen durch moderne Technologien wie autonome Fahrzeuge werden erst durch Rechenkapazität in der Fläche realistisch. Nicht zuletzt sorgen die dezentrale Datenverarbeitung und Reduzierung von Übertragungen auch für stärkere Sicherheit.

Synergien mit anderen Technologien nutzen

Wie kann Edge Computing nun mit anderen innovativen Technologien zusammenwirken, und welche Anwendungen lassen sich dadurch realisieren?

Edge Computing sorgt für Verteilung von Rechenleistung in der Fläche und rückt so die Verarbeitung von Daten näher an die Quelle heran. Damit ist das Konzept ein wertvoller Ansatz für viele Unternehmen: Sie profitieren von verkürzten Reaktionszeiten, effizienterer Nutzung der Bandbreite und gesteigerter Sicherheit. Doch auch Edge Computing existiert nicht im luftleeren Raum und kann sein volles Potenzial nur in Wechselwirkung mit anderen Technologien entfalten.

ML und KI: Edge-Umgebungen werden intelligent

Durch Edge-Computing-Implementierungen lassen sich auch Technologien wie Machine Learning (ML) und künstliche Intelligenz (KI) näher an die Datenquellen heranrücken. So sind automatisierte Analysen in nahezu Echtzeit möglich, ohne die Latenzprobleme, die bei zentralisierten, Infrastrukturen auf Cloud-Basis auftreten.

Dank der Datenverarbeitung unmittelbar an der Datenquelle eignet sich die Symbiose von Edge Computing und KI für verschiedene Branchen, um Leistung zu steigern, Sicherheit zu erhöhen und Innovation zu fördern. Sogar in so sensiblen Bereichen wie dem Gesundheitswesen wäre ein Einsatz denkbar. KI-Lösungen könnten beispielsweise automatisch Vitalzeichen und weitere Parameter von Patienten auswerten und den Chirurgen blitzschnell aufbereitete Informationen und Empfehlungen zur Verfügung stellen. Verzögerungen durch Datenübertragung oder gar der Ausfall von Leitungen sind hier selbstverständlich untragbar.

photon_photo/stock.adobe.com
Edge Computing wird künftig für viele verschiedene Anwendungen unentbehrlich sein.
© photon_photo/stock.adobe.com

Hinzu kommt, dass es sich um sehr sensible Patientendaten handelt, die keiner Gefahr ausgesetzt werden sollten. Aufgrund der minimalen Latenz und der örtlichen Datenhaltung bietet sich Edge Computing als Host-Umgebung für derartige kritische KI-Anwendungen an.

5G: hochperformante Vernetzung der einzelnen Elemente

Innerhalb von Edge-Umgebungen spielt auch die möglichst effiziente Vernetzung einzelner Nutzer, Geräte und Bauteile eine entscheidende Rolle. Hier kommt der Funkstandard 5G ins Spiel, der in lokalen Netzen mit vielen Teilnehmern anderen Technologien weit überlegen ist. 5G bietet zuverlässige Connectivity mit minimaler Latenz und kann daher Edge-Anwendungen optimal unterstützen. Speziell entwickelte Plattformen ermöglichen erstaunliche Datenverarbeitungsgeschwindigkeiten. Beim autonomen Fahren könnte 5G die Kommunikation zwischen einzelnen Fahrzeugen und der umgebenden Verkehrsinfrastruktur sicherstellen. Edge Computing liefert die Rechenleistung, die notwendig ist, um in Sekundenbruchteilen Entscheidungen zu treffen, die das Verkehrsgeschehen beeinflussen. Dabei könnte es sich etwa um die Anpassungen von Routenplanungen als direkte Reaktion auf aktuelle Ereignisse handeln. Unabhängig von möglicherweise weit entfernten Rechenzentren könnten autonome Fahrzeuge so auf Verkehrsverhältnisse, Wetterbedingungen oder Notfallsituationen reagieren.

Zero Trust: keine Schwachstellen am Netzwerkrand

Einerseits kann die Reduktion von Datenübertragung durch Edge Computing zu mehr Sicherheit beitragen, andererseits könnten Edge-Infrastrukturen aber auch selbst zu Einfallstoren in Netzwerke werden, oder Kriminelle könnten direkt in Edge-Nodes gespeicherte Daten erbeuten. Daher sind starke lokale Sicherheitsmaßnahmen für Edge-Strukturen erste Pflicht. Dafür bieten sich Zugriffskontrollen auf Identitätsbasis im Rahmen eines Zero-Trust-Modells an. Die Identität wird dabei bei jeder Anmeldung geprüft. Dies muss nicht nur für menschliche Nutzer gelten; mit kryptografischen Methoden lassen sich auch Edge-Geräten eindeutige und sehr sichere digitale Identitäten zuweisen. Durch strikte Authentifizierungsprotokolle kann Sicherheit sehr tief in den Betrieb der Edge-Infrastruktur eingebettet werden.

Cloud: eine optimale Ergänzung

Edge Computing ist kein Gegensatz zu Cloud Computing. Vielmehr ergänzen sich die beiden Technologien in einer symbiotischen Beziehung. Die jeweiligen Stärken und Schwächen gleichen sich komplementär aus. Daher wäre es in den meisten Fällen ein Fehler, ausschließlich auf eine der beiden zu setzen. Die Cloud kann ihre Stärken vor allem bei der Datenspeicherung und bei komplexen, aber nicht besonders zeitkritischen Rechen-Workloads ausspielen. Edge Computing tritt dagegen immer dann in den Fokus, wenn Unmittelbarkeit und räumliche Nähe gefragt sind.

Unternehmen, die die Synergien beider Technologien richtig zu nutzen wissen, können dadurch ihre Datenmanagementstrategien diversifizieren und somit höhere betriebliche Effizienz, Kosteneinsparungen und Leistungssteigerungen erreichen.

Dazu ein Beispiel: Innerhalb eines weltweiten Lieferketten-Managementsystems könnten langfristige Analysen, Trenderkennung und Routenoptimierung in der Cloud bearbeitet werden. Auf der Ebene einzelner Lieferungen und deren digitaler Begleitung würde allerdings eher Edge Computing zum Einsatz kommen. Wenn etwa eine bestimmte Lieferung an einem Hafen ankommt und unmittelbar Entscheidungen bezüglich Freigabe und Routing erforderlich sind, lässt sich Edge Computing nutzen. Entsprechende Knoten direkt im Hafen können sehr schnell Daten von verschiedensten Sensoren und Dokumenten verarbeiten und Entscheidungen treffen. Die lokale, unmittelbare Datenverarbeitung trägt dazu bei, Verzögerungen zu vermeiden, die entstehen können, wenn alle Daten zur Entscheidungsfindung an eine zentrale Cloud übermittelt werden müssen.

IoT: Datenverarbeitung beim Gerät

Es gibt wohl kaum eine Technologie, die häufiger mit Edge Computing in Verbindung gebracht wird als das Internet of Things (IoT). Nicht ohne Grund: schließlich erzeugen IoT-Geräte unablässig riesige Datenmengen, deren Übertragung oft gar nicht, und wenn, dann nur ineffizient realisierbar ist. Auch in diesem Fall spielen wieder Begrenzungen der Bandbreite und Latenzanforderungen eine Rolle. Es ist also nur logisch, diese Daten mittels Edge Computing möglichst nah an der Quelle zu verarbeiten.

Ein Beispiel dafür sind Smart Cities. Sensoren, die im Stadtgebiet verteilt sind und Verkehr, Umweltverschmutzung und Energieverbrauch überwachen, könnten Daten erzeugen, die von Edge-Knoten lokal verarbeitet werden. Die Knoten sind sowohl mit der Cloud verbunden als auch in der Lage, lokale Verarbeitung durchzuführen. Sie liefern in Echtzeit relevante Informationen für fundierte Entscheidungen. Diese Infrastruktur ermöglicht intelligente und dynamische Anpassungen an Ampelschaltungen, Energieversorgungsnetze und mehr, was die Belastung zentraler Server und Rechenzentren verringert.

Es zeigt sich also, dass Edge Computing in einem sich ständig weiterentwickelnden digitalen Umfeld die Datenverarbeitung in Synergie mit anderen Technologien revolutionieren kann. Die Integration von 5G, KI und IoT mit Edge Computing bewältigt Herausforderungen im Zusammenhang mit Latenz, Sicherheit und Effizienz. Sie fördert Innovationen in verschiedenen Bereichen, vom Gesundheitswesen bis hin zu Smart Cities. Im digitalen Zeitalter ist Edge Computing unentbehrlich für wettbewerbsfähige und flexible Organisationen. Die Technologie erweitert die Möglichkeiten und bildet einen fundamentalen Grundpfeiler für die digitale Transformation.

 

Der Autor:

Knut Seifert ist Direktor für technische Geschäftsentwicklung beim IT-Infrastruktur-Dienstleister Kyndryl Deutschland.


Lesen Sie mehr zum Thema


Jetzt kostenfreie Newsletter bestellen!

Weitere Artikel zu elektroniknet

Weitere Artikel zu IoT / IIoT / Industrie 4.0

Weitere Artikel zu Fog-/Edge-/Cloud-Computing

Weitere Artikel zu Edge-/Fog-Controller