Kommentar

Warum die »Vision Pro« ein Durchbruch ist

13. Juni 2023, 9:30 Uhr | Heinz Arnold
Heinz Arnold, stv. Chefredakteur Markt&Technik, HArnold@weka-fachmedien.de
© Componeers GmbH

Die neue Brille für »Spatial Computing« von Apple ist kein Consumer-Produkt. Warum jetzt die Ankündigung? Das ist die Strategie hinter der »Vision Pro«.

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AR oder VR? Vollkommen egal – Apple vermeidet die Begriffe genauso wie natürlich den Begriff Metaversum, den ein Wettbewerber geprägt hat, und spricht nur von »Spatial Computing«, also räumlichen Computing. Das ist die neue Produktkategorie, die Apple mit der Vision Pro initiieren will – ähnlich wie das Unternehmen dies schon mit dem iPhone und der Apple Watch getan hat. Das bedeutet: Exzellente, gut aussehende und funktionierende Hardware, die bei den Endverbrauchern ankommt, ist die Voraussetzung, damit sie die Geräte kaufen, auch für einen hohen Preis. Das tun sie aber vor allem wegen der Use-Cases – Die Geräte bieten ihnen einen echten Mehrwert, wegen der vielen Apps. Das Geld verdient Apple also vor allem über den App-Store. 

Da stellt sich die Frage: Warum stellt Apple ein Gerät vor, das mit 3500 Dollar sicherlich nicht massenmarkttauglich ist – und immer noch recht klobig wirkt, also nicht so selbstverständlich im Alltag getragen wird wie ein iPhone oder eine Apple Watch. Hätte Steve Jobs eine solche Ankündigung gemocht oder eher als schädlich für das Marken-Renomee betrachtet? 

Doch was oft übersehen wird: Auch das iPhone hat sich nicht von Anfang an in riesigen Stückzahlen verkauft, sondern erst als genügend Apps vorhanden waren, so ab 2010. Und auch der Preis des iPhons galt zu seiner Einfühlung als exorbitant hoch. Richtig wird allerdings sein, dass Apple in den ersten Jahren von der »Vision Pro« nur geringe Stückzahlen verkaufen wird, die selbst unter denen des anfänglichen iPhones oder der anfänglichen Apple Watch liegen werden.  Warum also jetzt die Ankündigung? Ist das nicht doch zu früh?

Nein. Denn erstens ist die Aufgabe, die vor Apple liegt, eine gewaltige. Und wie das Unternehmen es schon heute geschafft hat, all die verschiedenen Technologien in einer doch relativ kleinen Bauform zu integrieren, ist bewundernswert. Das ist aber erst der Anfang. Analysten meinten, dass die »Vision Pro« ein sehr teures Entwicklungs-Kit ist. Jetzt sollen also die App-Entwicklungen losgehen – und der Markt kann richtig Fahrt aufnehmen. Auch die Wettbewerber werden den Druck verspüren, jetzt mit neuen Geräten auf den Markt zu kommen. Denn ihre Geräte – es gibt ja bereits AR- und VR-Brillen unterschiedlicher Anbieter – sind zwar billiger, können aber auch wesentlich weniger und werden den Nutzern kaum das Erlebnis bieten, das von Apple anvisiert – und dem das Unternehmen mit der »Vison Pro« auch schon näher gekommen ist als jeder andere, wenn auch zu einem erklecklichen Preis. Das spielt aber im Moment noch keine Rolle. Und wer weiß, vielleicht finden sich ja doch mehr Enthusiasten als gedacht, die auf einer langen Zugfahrt oder Flugreise in die virtuelle Welt abtauchen wollen. Oder auch Nutzer zu Hause, die die vielen Displays mit einem Gerät zumindest für begrenzte Zeil ersetzen wollen und gewillt sind, den Preis dafür zu bezahlen. 

Eines ist klar: Die Vision Pro ist keine AR-Brille, es handelt sich um eine VR-Brille. Warum? VR-Brillen schließen die Umwelt aus. Der Betrachter taucht mit ihnen in eine rein virtuelle Welt ab. Augmented Reality heißt, dass der Betrachter die reale Welt durch eine normale Brille sieht und die virtuellen Bilder als Zusatzinformationen eingeblendet bekommt. Diese Brillen müssen deshalb transparent sein wie Sonnenbrillen und sie sind allways on. Auf den Gläsern sind sogenannte Wafeguides – Nanostrukturen auf dem Glas – aufgebracht, die die Augmentend Reality-Bilder einkoppeln und in die Augen des Trägers projizieren. Trotzdem wirken die Brillen sowohl für den Träger als auch für Außenstehende vollkommen durchsichtig. 

Die »Vision Pro« macht das Gegenteil: Sie filmt die Außenwelt und projiziert sie auf zwei 23-MPixel-microOLEDs, eines für jedes Auge. Diese Brille ist also nicht transparent, ein Gegenüber kann die Augen des Brillenträgers nicht sehen. Bei der Vision Pro aber doch, denn außen ist ein Display angeracht. Kameras übertragen die Augen des Trägers auf dieses Display, so dass der Eindruck entsteht, dem Träger direkt in die Augen blicken zu können. Es handelt sich also um »simulierte« AR. 

Dennoch wird Apple nicht nur den VR- sondern auch den AR-Brillen einen gewaltigen Schub gegeben. Die meisten Bauelemente und Technologien, die in den VR-Brillen stecken, sind auch in den AR-Brillen zu finden. Was den AR-Brillen heute noch fehlt, sind die geeigneten Displays. Die microLEDs haben die ursprünglich in sie gesetzten Erwartungen noch nicht erfüllt, sie sind in der Fertigung zu teuer, nicht hell genug und bringen zu wenig Auflösung.  Deshalb nutzt Apple wohl auch die microOLEDs für die »Vision Pro«. 

Über die letzten Jahre hat sich die Laser Beam Scanning-Technik als ein vielversprechender Kandidat entwickelt, um AR-Brillen realisieren zu können. Auch im deutschsprachigen Raum gibt es mit OQmented und Trilite zwei Start-ups, die auf diese Technik setzen. 

Und wer weiß – vielleicht wird ja Apple in absehbarer Zeit auch mit einer durchsichtigen AR-Brille auf den Markt kommen. Die Hersteller der LBS-Light-Engines jedenfalls zeigen sich – obwohl sie den Unterschied zwischen AR und VR betonen – hochgefreut über das Engagement von Apple. Denn die »Vision Pro« könnte tatsächlich die Initialzündung für eine neue Produktgeneration werden – egal ob wir sie später Augmented Reality, Virtual Reality, Mixed Reality, X-Reality oder nach dem von Apples Marketing-Abteilung geprägten Begriff Spatial Computing nennen werden. Dabei ist wie beim iPhone und der Apple Watch die Hardware nur die Voraussetzung, der Erfolg kommt über das Ökosystem. Beides kann sich nun Hand in Hand entwickeln: Das ist das Neue, das Apple mit der »Vision Pro« auf den Weg bringt. 
 

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