Die nicht-invasive Beatmung (NIV) hilft Patienten, per Überdruck ohne Intubation oder Tracheotomie Luft zu bekommen. Bei dem NIV-Beatmungsgerät Biorespira von IBD dient eine Kombination aus Touchscreen und stromsparendem Single Board Computer von Seco als zentrale Kommunikationsschnittstelle.
In der Medizintechnik sind Qualität und Sicherheit die wichtigsten Parameter für hochwertige und verlässliche Produkte. Der Einsatz von Human Machine Interfaces (HMIs) in den medizinelektronischen Geräten und Systemen stellt somit sehr hohe Anforderungen an Entwickler und Hersteller. Die Medizingeräte müssen komfortabel und präzise bedienbar sein, eine optimale Ablesbarkeit der Parameter sicherstellen sowie ausfallsicher und langzeitverfügbar sein. Bei der Bedienung medizinischer Geräte spielen auch Touchscreens immer häufiger eine wichtige Rolle und ihre Verwendung nimmt seit Jahren stetig zu. HMIs nehmen dadurch die essenzielle Rolle als zentrale Bedienelemente medizintechnischer Geräte ein. Über das Display lassen sich alle Funktionen sehr präzise steuern und das medizinische Personal erhält auf Berührung aktuelle Informationen, wie zum Beispiel Messergebnisse.
Für die finale Phase der Entwicklung eines neuartigen nicht-invasiven Lungenbeatmungsgerätes (NIV) suchte IBD, ein in Italien ansässiger Hersteller biomedizinischer Geräte, Unterstützung bei der Implementierung eines geeigneten HMIs (Bild 1). Die Wahl fiel auf Seco, einen Spezialisten für die industrielle Hardwareentwicklung und Systemintegration. Mit dem aus der Zusammenarbeit entstandenen, neuartigen und vielseitigen NIV-Ansatz für die Unterstützung der Lungenbeatmung kommt das Medizingerät sowohl in der klinischen als auch in der häuslichen oder mobilen Anwendung zum Einsatz.
Bei der NIV wird die Atmung des Patienten unterstützt, ohne dass eine Intubation oder Tracheotomie erforderlich ist. Die NIV bietet Patienten mit Ateminsuffizienz eine wirksame Therapie bei geringerem Infektionsrisiko und verbesserten Überlebensraten. Mit dem Lungenbeatmungsgerät Biorespira hat IBD gemeinsam mit Unterstützung von Seco in kurzer Zeit ein Produkt entwickelt, das die Patienten auch bei der Bewältigung einer COVID-19-Infektion unterstützt. »Mit der Entwicklung dieses Geräts hatten wir die Chance, unseren Beitrag zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie zu leisten und Seco als unser Partner hat einen großen Anteil an diesem Projekt«, erklärt Corrado Ghidini, CEO von IBD.
Grundsätzlich sollte das Beatmungsgerät auf den aktuellsten verfügbaren Technologien aufsetzen. So sollte ein High-Flux-Generator für die nicht-invasive Beatmung von erwachsenen Patienten mit Ateminsuffizienz zum Einsatz kommen. Damit ist es möglich, bei Patienten, die eigenständig atmen können, eine direkte Messung des PEEP, der SpO2-Parameter (Sauerstoffsättigung) sowie der Atemfrequenz durchzuführen und die Werte kontinuierlich anzuzeigen. Das System sollte geschlossen sein, um Infektionen anderer Anwesenden, die durch den Aerosol-Effekt der vom Patienten ausgeatmeten Luft ausgesetzt sind, zu vermeiden.
Bevor die Embedded-Systems-Spezialisten von Seco mit der Entwicklung des HMIs begannen, galt es, die Anforderungen an das Medizingerät zu definieren. Besonderes Augenmerk wurde hierbei auf die Anwenderfreundlichkeit, Kompaktheit und Gewichtsreduktion gelegt. Gerade ein flexibel einsetzbares Gesamtsystem war wichtig für den geplanten Einsatz, nicht nur in Intensivpflege, chirurgischer Intensivstation und Notaufnahme, sondern auch mobil in Pflegeheimen und in der häuslichen Krankenpflege.
Die eingesetzte HMI-Lösung im Biorespira wurde speziell an die Anforderungen des Gerätes angepasst und besteht aus einem 10-Zoll-Touchscreen mit einem stromsparenden Single Board Computer (SBC) und einem ARM-Prozessor der jüngsten Generation. Als Betriebssystem kam ein Yocto Linux zum Einsatz. Yocto ist dabei kein eigenständiges Linux-System, sondern vielmehr ein Baukasten, aus dem sich die Entwickler bedienen können. Es zeichnet sich vor allem durch seine standardisierte Architektur und hohe Anpassbarkeit aus. Auch das GUI-Framework wurde speziell auf die Lösungsanforderungen zugeschnitten und basiert auf der C++-Technologie für ARM/Linux-Umgebungen. Zusätzlich wurde ein CAN-Bus zur Reduzierung der im Gerät verbauten Kabel und somit zur Gewichtsreduktion verwendet. Das eigens für dieses Produkt angepasste HMI wird eingesetzt, um eine einfache Bedienung – auch für unerfahrene Nutzer – zu ermöglichen und darüber hinaus eine optimale Darstellung der Werte wie z.B. PEEP, der SpO2-Parameter und der Atemfrequenz sicherzustellen.
Das Display des NIV-Beatmungsgerätes.
Seco lieferte ein HMI, das zur Überwachung der Funktionen des Beatmungsgeräts dient, wobei das entwickelte Gerät mit einer Größe 291(B) x 259(H) x 203(T) mm3 und einem Gewicht von drei Kilogramm äußerst kompakt und somit tragbar ist. Es verfügt über ein anwenderfreundliches Display und kann sowohl in Kliniken als auch in der häuslichen Pflege eingesetzt werden (Bild 2). Es unterstützt die Sauerstoffversorgung, die dynamische Lungen-Compliance, die Homogenität und Exspirationsvolumen, verkleinert den anatomischen Totraum und generiert einen positiven Atemwegsdruck. Das Lungenbeatmungsgerät ist intuitiv bedienbar und bei der Behandlung nicht störend. Selbst unerfahrene Anwender verstehen schnell, wie das Medizingerät zu bedienen ist.
Seco deckt alle relevanten Normzertifizierungen im medizinischen Bereich ab, sodass klinische Reinheit und medizinische Anwendungssicherheit gewährleistet sind. Besonders zeichnen sich die Embedded-Systeme von Seco dadurch aus, dass die standardisierten Lösungen flexibel auf verschiedene Anwendungsfelder im medizinischen Bereich adaptiert werden können. Dadurch liegt bereits sehr früh in der Entwicklungsphase ein erster Prototyp vor, der Implementierung, Funktionstests und Qualitätssicherung erheblich beschleunigt. Das schnelle Prototyping des HMIs konnte dazu beitragen, das Biorespira zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie deutlich schneller auf den Markt zu bringen, als es üblicherweise der Fall gewesen wäre.
Welche spezifischen Anforderungen muss ein Display für den Einsatz in Medizingeräten erfüllen?
Gemein haben alle Medizinprodukte die Anforderung nach Langzeitverfügbarkeit. Die aufwendigen Zertifizierungsprozesse erlauben es Herstellern nicht, nach z. B. zwei Jahren ein Re-Design durchführen zu müssen. Ansonsten sind auch im Medizinbereich die Anforderungen stark von der Applikation abhängig: Diese reichen von hochauflösenden, farbkalibrierten Displays im Bereich von bildgebenden Verfahren bis hin zu einfacheren Displays zum Ablesen von Informationen. Wenn es dann zu Steuerungsaufgaben kommt, wird es bei den genutzten Touch-Sensoren herausfordernd, da die Hersteller teilweise deutlich höhere interne Anforderungen an die Störfestigkeit haben. Hier bieten wir den Vorteil der Inhouse-Fertigung und des lokalen Supports, um Kunden zu beraten, aber auch vor Ort in der Entwicklung zu unterstützen.
Welche spezifischen Funktionen kommen bei Medical-SBCs und im NIV-Gerät zum Tragen?
All unsere Produkte sind auf größtmögliche Effizienz und Langlebigkeit ausgelegt, das hat uns in diesem Projekt außerordentlich geholfen. Wir haben einige Anpassungen einzelner Komponenten vorgenommen, um eine sogenannte »frozen BOM« zu erstellen – also eine festgeschriebene Stückliste, die teilweise Bestandteil der Zertifizierungsdokumentation ist und nicht ohne weitere Bewertungen geändert werden darf. Hier ist es enorm wichtig, den Lebenszyklus jeder einzelnen Komponente zu kennen und über den Produktlebenszyklus genau zu tracken.
Wie unterstützt Seco als Entwicklungspartner die MDR- bzw. FDA-Zertifizierung?
Durch unsere tiefe Wertschöpfung und unser Know-how – nicht nur im Bereich der Elektronik, wie z. B. bei SBCs, sondern auch in den Bereichen Displays, Touch-Sensoren und mechanischer Integration – können wir jegliche Anforderungen des Kunden realisieren. Um den langwierigen Vorgang der MDR-Zulassung zu beschleunigen, arbeiten wir partnerschaftlich mit unseren Kunden zusammen, um aus Produktsicht und nicht nur nach Spezifikation unserer Komponenten möglichst effizient alle Zertifizierungsanforderungen erfüllen zu können.