Die Nervenstränge, die unseren Körper durchziehen, sind zu »Faszikeln« gebündelt und damit geschützt. Sie ähneln den in Kabelkanälen gebündelten Steuer- und Nachrichtenleitungen in einem Gebäude. Unsere Arme und Beine werden von zwei solchen Bündeln gesteuert, dem medianen und dem ulnarischen Faszikel. Eine vielversprechende Technik, die im Haptix-Programm entwickelt und getestet wird, besteht im Einbau von Elektroden innerhalb eines Schutzschlauchs für die 5 mm dicken Nerven-Kabelbündel. Die Herausforderung besteht in der Signalerfassung und der Stimulation der exakt richtigen Nerven, ohne diese direkt zu kontaktieren – von Nerven, die sich auch noch innerhalb des Faszikels bewegen und verschieben. Daher gibt es eine Obergrenze der Präzision, die sich mit dieser Vorgehensweise erzielen lässt.
Ein Ansatz für mehr Präzision bestünde im Einfügen der Elektronik in den Faszikel, um einzelne Nerven direkt zu kontaktieren. Diese Methode ist allerdings risikoreicher, denn sie setzt eine gute Mikrochirurgie voraus, mit der man Elektroden im Faszikel platziert, ohne dabei Nerven zu schädigen. Vor vier Jahren wurde eine erste derartige Elektrode einem Patienten temporär implantiert. Der Test war erfolgreich, zeigte aber auch die Notwendigkeit, kompakte Implantate zu schaffen, die sehr viel mehr Intelligenz enthalten und sehr dicht benachbarte Kontaktstellen realisieren – also Elektroden, die einzelne Nerven stimulieren und deren Signale lesen können..
Reine Nervensache: 64 Elektroden auf 35 µm
An dieser Stelle kommt ein kürzlich von Imec vorgestellter Chip ins Spiel. Er wurde mit derselben Siliziumtechnik gefertigt, die für heutige fortschrittliche Computerchips verwendet wird. Der neue Biochip ist nur 35 µm dick und damit dünner als ein menschliches Haar. Auf seiner Oberfläche sind 64 Elektroden untergebracht, die die Stimulation und die Aufnahme von Nervensignalen zulassen, mit der Option einer Erweiterung auf 128 Elektroden. Mit einer am Chip befestigten Nadel kann der Chip innerhalb eines Nervenbündels so genau platziert werden, dass die Elektroden einzelne Nerven kontaktieren.
Die Imec-Forscher haben diesen Chip in enger Zusammenarbeit mit Kollegen von der University of Florida hergestellt, die ein Hauptauftragnehmer des Haptix-Programms ist. Imec wurde ausgewählt, weil das Unternehmen gegenüber anderen Forschungseinrichtungen zwei Vorteile bietet: Anders als die meisten mit Chiptechnologie befassten F&E-Labors verfügt Imec über die Gerätschaft und die Prozesse für eine qualitativ hochwertige Fertigung. Und anders als die meisten Fertigungsbetriebe hat Imec die Flexibilität zur Einrichtung dedizierter Prozesse für derart innovative Designs.
Ein bioverträgliches Gehäuse
Als größte Herausforderung erwies sich jedoch nicht die Herstellung des Halbleiterchips, sondern dessen Gehäuse. In den vergangenen Jahren war Imec bereits die Entwicklung einer Reihe vergleichbarer Biochips gelungen, beispielsweise Neuro-Sonden mit Hunderten von Elektroden auf einem langen und flexiblen Schaft.
Die Imec-Entwickler wussten daher, wie man den prothetischen Chip am besten entwickelt. Doch nie zuvor mussten sie ein hermetisch dichtes, biokompatibles und dazu flexibles Package entwickeln, das als langlebiges Implant für Menschen geeignet ist.
Zur Lösung der Aufgabe schichteten die Entwickler eine Anzahl von Nanolayern mit exzellenten Sperreigenschaften abwechselnd mit sehr dünnen flexiblen Polymer-Layern übereinander. Das Ergebnis ist eine ultradünne, flexible Komponente mit der Dicke eines Menschenhaars – und damit tauglich für eine Implantation mit minimal-invasiven Nebenwirkungen.
Die erste Phase des Projekts wurde mittlerweile erfolgreich abgeschlossen. Jetzt folgt eine Testphase, in der ein Prototyp des Chips in größeren Stückzahlen gefertigt wird. Der neue prothetische Chip wird anschließend an der University of Florida und möglicherweise auch in anderen Labors weiterhin getestet, um festzustellen, wie er sich in biologischer Umgebung verhält – ob er dicht bleibt und über längere Zeiträume hinweg zuverlässig funktioniert. In der Zwischenzeit kümmern sich die Entwickler um die Frage, wie man die empfangenen Nervensignale in brauchbare Kommandos für die Prothese umsetzen kann. Umgekehrt können sie herausfinden, welche Signale der Sensoren in der Prothese man in das Nervensystem injiziert und an welchen Stellen genau diese Signale eingespeist werden sollten.
Erste Ergebnisse sind ermutigend
Die genannten Studien sind ein erster Schritt in die Richtung einer sensorisch verbesserten Prothetik. Obwohl es sicher noch einige Jahre dauern wird, bis ein kommerziell verwertbarer künstlicher Arm vorliegt, zeigen die Ergebnisse der Forschung an der University of Florida und bei Imec, dass diese Art von Prothetik machbar ist, und dass die Patienten damit Prothesen erhalten, die ihnen ein besseres Körpergefühl vermitteln. Denkbar ist, dass sich daraus eine vollständige bionische Prothetik entwickelt, die der in Science-Fiction-Filmen gezeigten nahe kommt.